Steiner, Mona Lisa
* 30.10.1915, Wien, † 10.4.2000, Wien
Botanikerin
1934 Matura am Akademischen Gymnasium; anschließend Studium der Botanik und Zoologie, Universität Wien; Abschluss des Studiums aufgrund jüdischer Herkunft nicht möglich; Oktober 1938 Emigration auf die Philippinen; Inskription an der University of the Philippines, Manila, Stelle als wissenschaftliche Assistentin am Department of Botany; März 1940 Graduierung zum Bachelor of Science; Masterstudium und Forschungstätigkeit am Botany Department bis zur Schließung der Universität nach japanischer Invasion im Dezember 1941; Vernichtung des wissenschaftlichen Werks aufgrund der Kriegshandlungen; nach Kriegsende Gründung einer Pflanzenzucht zu wissenschaftlichen und kommerziellen Zwecken; grundlegende Forschungen zur philippinischen Orchideenflora; 1954 Erlangung des Doktortitels an der Universität Wien; 1965 Rückkehr nach Wien; Entwicklung und Vermittlung der „Wiener Schule des Blumensteckens“; 1999 Initiierung einer mehrsprachigen Internet-Datenbank für Nutz- und Kulturpflanzen an der Wiener Universität für Bodenkultur.
L. L. wurde 1915 in Wien als Tochter von Ignaz und Therese Lindenberg geboren und wuchs in Wien-Hietzing auf. Die Mutter war Konzertsängerin und schriftstellerisch tätig, der Vater war Bankbeamter und aktiver Sozialdemokrat. L. L. besuchte zuerst die Mittelschule in der Meidlinger Ruckergasse, danach das Akademische Gymnasium, wo sie 1934 maturierte. Anschließend inskribierte sie Botanik und Zoologie an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Ab 1937 forschte sie im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens an der Biologischen Versuchsanstalt der Akademie der Wissenschaften („Vivarium“). Ein Abschluss des Studiums war trotz fertiggestellter Dissertation für L. L., die nach den Nürnberger Gesetzen als Jüdin galt, im Sommersemester 1938 nicht mehr möglich. Anfang Oktober 1938 emigrierte sie auf die Philippinen und ließ sich in Manila nieder. Sie inskribierte an der University of the Philippines und erhielt wenig später eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin (graduate assistant) am Department of Botany. L. L. machte sich mit der philippinischen Flora vertraut, begann mit der Systematisierung der Pflanzen und legte eine Sammlung von selbst gemalten Pflanzenaquarellen an. Im März 1940 graduierte sie zum Bachelor of Science. In der Folge forschte sie am Botany Department u. a. über Viruserkrankungen bei Pflanzen. 1940 veröffentlichte L. L.s Doktorvater Josef Kisser, der nach dem „Anschluss“ aus politischen Gründen in den Ruhestand versetzt worden war, ihre Dissertation als gemeinschaftliche Arbeit in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Botanik“. Im September 1940 heiratete L. L. den ebenfalls aus Wien stammenden Rechtsanwalt Hans Steiner (1908-1980). Nach der Besetzung der Philippinen durch japanische Truppen im Dezember 1941 wurde die Universität geschlossen, sodass M. L. St. ihren Arbeitsplatz verlor und ihr Masterstudium abbrechen musste. 1942 und 1944 wurden ihre Töchter Helen und Ruth geboren. Die Kämpfe um Manila im Februar 1945, als japanische Truppen die Stadt zu einem großen Teil durch Brandlegungen verwüsteten und zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung anrichteten, überlebte die Familie nur knapp. M. L. St.s wissenschaftliches Werk, ein Manuskript über die philippinische Flora samt Hunderten von Aquarellen, war mit ihrer gesamten Habe vernichtet worden. Nach dem Krieg kehrte M. L. St. nicht mehr an die Universität zurück. Sie gründete eine kommerzielle Pflanzenzucht („Monas Botanical Garden“), in der sie Pflanzenmaterial zu wissenschaftlichen Zwecken sowie zur Neubepflanzung Manilas und für den Export kultivierte. Daneben begann sie sich mit der bis dahin wenig bearbeiteten Spezies der philippinischen Orchideen zu befassen, die sie auf Expeditionen in verschiedene Teile des Landes erforschte. M . L. St., mittlerweile dreifache Mutter – 1948 kam Tochter Elisabeth zur Welt –, wurde zu einer international anerkannten Autorität auf dem Gebiet der Orchideenforschung und legte mit ihrem 1952 (mit Reg. S. Davis als Co-Autor) erschienenen Buch „Philippine Orchids“ ein Standardwerk vor. Sie war Mitbegründerin der bis heute bestehenden „Philippine Orchid Society“. Seit Ende der vierziger Jahre schrieb sie wöchentliche Kolumnen über verschiedene Aspekte einheimischer Pflanzen in zwei großen philippinischen Tageszeitungen, die bis 1961 erschienen und zu einem Teil die Basis für ihr zweites Buch „Philippine Ornamental Plants and their Care“ bildeten, das 1952 in erster Auflage erschien. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit war die Taxonomie von Pflanzen. Im Rahmen ihrer regen Vortrags- und Reisetätigkeit nahm sie u. a. 1954 am 8. Pacific Science Congress teil, wo sie eine Arbeitsgruppe über volkstümliche Bezeichnungen pazifischer Nutzpflanzen leitete. 1961 lag schließlich ein Wörterbuch vor. Sie war überdies Gründerin der „Philippine Society of Plant Taxonomy“. 1954 erlangte sie aufgrund ihrer Dissertation von 1938 das Doktorat an der Universität Wien. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit bemühte sich M. L. St. um die Weckung eines Bewusstseins für Natur und Umwelt bei der philippinischen Bevölkerung. So gab sie etwa den Anstoß zu einer Art Verschönerungsverein-Bewegung, die in den Provinzen des Inselstaats die Errichtung von Parks auf kriegsbedingt zerstörten Flächen zum Ziel hatte. Auch an der Neugestaltung des Botanischen Gartens von Manila hatte sie maßgeblichen Anteil.
Die aufgrund der beruflichen Tätigkeit ihres Mannes erfolgte Rückkehr nach Wien im Jahr 1965 bedeutete für die Tropenbotanikerin M. L. St. den Verlust ihres wissenschaftlichen Umfelds. Eine Fortsetzung ihrer Laufbahn in Österreich scheiterte. Ihre Erfahrungen mit der asiatischen Kultur und Pflanzenwelt verarbeitete sie in der von ihr entwickelten „Wiener Schule des Blumensteckens“, eine vom japanischen Ikebana inspirierte Technik des Blumenarrangements, die sie im Rahmen der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft über zwanzig Jahre lang in Kursen unterrichtete. 1999 initiierte M. L. St. eine vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Auftrag gegebene mehrsprachige Internet-Datenbank („foodplants database“) an der Wiener Universität für Bodenkultur, die Nutz- und Kulturpflanzen in Englisch, Deutsch oder Spanisch sowie in lokalen Sprachen des asiatisch-pazifischen Raums verzeichnet. M. L. St. war Trägerin des Banaag Award, eine der höchsten Auszeichnungen der Philippinen. 1998 wurde ihr der Berufstitel „Professor“ verliehen. Ihre umfangreiche Sammlung philippinischer Pflanzen übergab sie 1986 an das Herbar der Universität Wien. Sie starb 2000 in Wien.
Werke
Untersuchungen über die Wirkungen karzinogener Substanzen auf höhere Pflanzen, Phil. Diss, Universität Wien, 1952.
Gem. mit Davis, R. S.: Philippine orchids. A Detailed treatment of some one hundred native species, 1952.
Philippine Ornamental Plants and their care, 1952. (2. überarb. u. erw. Aufl. 1960, 3. Aufl. 1986)
A dictionary of vernacular names of Pacific foodplants, 1961.
Blumenstecken. Wiener Schule, 1982.
Trockengestecke. Wiener Schule. Anleitungen zum Trocknen und Haltbarmachen von Blumen und Pflanzenmaterial, 1982.
A new and illustrated flora of Manila. I. Zingiberaceae. In: Philippine journal of science, Vol. 88, no. 1, 1950.
zahlreiche weitere Fachartikel sowie Artikel in Tageszeitungen
Literatur / Quellen
Kanzler, Ch.: „Ich kann überall Wurzeln treiben …“. Einblicke in das Leben und Werk der Wiener Botanikerin Mona Lisa Steiner. In: Blumesberger, S. (Hg.): Frauen schreiben gegen Hindernisse II. Zu den Wechselwirkungen von Biografie und Schreiben im weiblichen Lebenszusammenhang. Wien, 2010. S. 103 – 111.
Posch, H. / Ingrisch, D. / Dressel, G.: „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien. Wien, 2008, S. 229, 341f., 430.
Steiner, H.: Nie wieder Wien? Erinnerungen an Jugend und Exil. Hg. v. Ruth Steiner. Wien, 2009.
Lise Lindenberg (verh. Mona Lisa Steiner), Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien, http://gedenkbuch.univie.ac.at
Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, http://www.oeaw.ac.at/online-gedenkbuch/gedenkbuch/personen/q-z/mona-lisa-steiner/