Laurin Gertraut

Klassische Philologin, Bibliothekarin und Schriftstellerin
*20.6.1904 Wien, † 20.4.1973 Graz, Stmk.

Herkunft, Verwandtschaften: Tochter des Linienschiffkapitäns Franz Laurin († 1930) und Margarete Rosegger (1883–1948), Enkelin des Schriftstellers Peter Rosegger (1843–1918).
Ausbildungen: 5 Klassen Volksschule, 1916–1923 Akademisches Gymnasium Graz (Reifeprüfung mit Auszeichnung), 1923–1928 Studium der Klassischen Philologie, Alten Geschichte, Archäologie, Epigraphik und Völkerkunde an der Universität Graz (Promotion mit Auszeichnung), Dissertation „Kaiserkult in Ägypten“.
Laufbahn: Gertraut Laurin ging mit Prof. Friedrich Oretel 1929 als Assistentin an die Universität Bonn und arbeitete dort zwei Jahre lang als wissenschaftliche Hilfskraft mit Lehrauftrag am Seminar für Alte Geschichte und auch als Assistentin für Prof. Dr. Fritz Kern. Bald nach dem Tod ihres Vaters 1930 kehrte sie auf Wunsch ihrer kranken Mutter nach Graz zurück. Nach wenigen Monaten ging sie nach Wien und arbeitete für Prof. Ludwig und Prof. Egger, 1932 war sie im österreichisch-ausländischen Studentenklub in Wien tätig. Nach dem Tod ihrer Großmutter Anna Rosegger im Jahr 1932 kehrte sie nach Graz zurück, um den Nachlass Peter Roseggers zu ordnen. Im gleichen Jahr trat sie in den Bibliotheksdienst der Steiermärkischen Landesbibliothek ein und brachte zum Diensteintritt das reichhaltige Rosegger-Archiv als Dauerleihgabe in die Bibliothek ein. In den ersten beiden Jahren war sie als freiwillige wissenschaftliche Hilfskraft tätig, von 1934 bis 1937 als Aspirant des wissenschaftlichen Dienstes an der Landesbibliothek. Danach wurde sie provisorischer Unterbibliothekar, 1941 zum Assessor ernannt. Sie betrieb die Modernisierung, besonders der Katalogisierung, voran, indem sie die Preußische Instruktion übernahm, und schon nach wenigen Dienstjahren wurde sie mit der Buchrevision und Ausbildung des Nachwuchses betraut. 1943 organisierte sie eine Rosegger-Ausstellung in der Steiermärkischen Landesbibliothek und gab mit Otto Janda und Friedrich Pock zum 100. Geburtstag von Peter Rosegger „Ausgewählte Werke“ heraus. Neben Rosa Holler war Gertraut Laurin die einzige Frau unter den neun Mitarbeitern Julius Schütz’, der von 1937 bis 1954 Direktor der Steiermärkischen Landesbibliothek war. Auf dem Gebiet der Bucheinbandkunde veröffentlichte sie mehrere beachtete Arbeiten, u. a. zu steirischen Kräuterbüchern.
Anfang der 1940er Jahre organisierte sie die Aufnahme der steirischen Stiftsbibliotheken und überwachte die Auslagerung wertvoller Bestände der Landesbibliothek aus Graz. Im Juli 1944 lernte SS-Hauptsturmführer Friedrich Wolffhardt Gertraut Laurin in Graz kennen und sah sie als seine künftige Stellvertreterin als Bibliothekarin in der Parteikanzlei Grundlsee der NSDAP, damit er in den Krieg ziehen konnte. Schütz wollte den Weggang Laurins verhindern, hatte aber gegen Wolffhardt keine Chance. Mit 15. November 1944 wurde sie zur Dienstleistung als Bibliothekarin nach Grundlsee zugewiesen und blieb bis Anfang März 1945 dort tätig. Sie scheint – im Gegensatz zu anderen – zu ihrer Tätigkeit mit geraubten Büchern in der „Führerbibliothek“ von den Alliierten nicht befragt worden zu sein. Nach dem Krieg wurde die Bibliothekarin kurzerhand von ihrem Arbeitgeber – weil sie nicht zur Arbeit erschienen sei – suspendiert, aus ihrer Sicht zu Unrecht, denn sie hätte sich am 4. Mai 1945 unter Zurücklassung des gesamten Aktenmaterials der Partei-Kanzlei auf der Gemeinde Grundlsee abgemeldet und konnte erst als eine totale Reisesperre der englischen Besatzung aufgehoben wurde, wieder in ihr Amt zurückkehren und sich zum Dienstantritt melden. Die Suspendierung wurde später aufgehoben.
Im August 1945 meldete sich Gertraut Laurin zum Dienstantritt in der Landesbibliothek Graz und beeinspruchte ihre einstweilige Suspendierung vom Dienst. Nach ihrer Rehabilitierung 1948 wurde sie in den neuen Personalstand der Steiermärkischen Landesbibliothek als Bibliothekarin 1. Kl. wieder aufgenommen.
In den Jahren 1950, 1952 und 1958 war sie Ersatzmann der Disziplinarkommission (Fachsenat Archiv- und Bibliotheksbeamte). 1955 wurde sie zum Bibliotheksrat der Steiermärkischen Landesregierung ernannt, zwei Jahre später zum Oberbibliotheksrat und Direktor-Stellvertreter. Im Jahr 1958 war sie Ersatzmann eines außerordentlichen Mitgliedes der Qualifikationskommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung. Mit 31. Juli 1958 trat sie aus gesundheitlichen Gründen in den dauernden Ruhestand.
Erst nach ihrer Pensionierung konnte sie ihr umfangreiches Wissen, v. a. im Bereich alter steirischer Bucheinbände, veröffentlichen. In einem Nachruf heißt es, sie sei ein „Vorbild gesammelter Geisteskraft und innigster menschlicher Anteilnahme“ gewesen.
Sie starb an den Folgen eines Verkehrsunfalls, den sie am Abend des Gründonnerstags auf dem Heimweg von der Kirche erlitten hatte. Wenige Schritte von ihrem Wohnhaus entfernt war sie beim Überqueren des Opernringes von einem Auto niedergestoßen worden und erlag am frühen Morgen des Ostersonntags, ohne zu sich zu kommen, ihren Verletzungen.
Freundschaften: Sie pflegte ausgedehnte Korrespondenzen mit Freunden und Nachfahren von Peter Rosegger und war besonders mit Franz Nabl und Paula Grogger gut bekannt.
Auszeichnungen, Mitgliedschaften: Seit 1923 Mitglied der Christlichen Studentenbewegung in Graz. Seit 2.8.1938 Mitglied der NSDAP, außerdem Mitglied von NSV, RDB, VDA, DRK und Kolonialbund.

Literatur / Quellen

Quellen
Steierm. Landesarchiv, LReg. 82 La 17-1960, Standesausweis Gertraut Laurin und 82/I Go 3-1960, Personalakt Gertraut Laurin; Universität Graz, Universitätsarchiv, Datenbank der Forschungsstelle „Österreichische Literatur im Nationalsozialismus“, Teilnachlass in der Steiermärkischen Landesbibliothek.

Literatur
Baur, Uwe/Gradwohl-Schlacher, Karin: Literatur in Österreich 1938–1945. Bd. 1: Steiermark. Böhlau, Wien 2008.
Hall, Murray G./Renner, Gerhard: Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren. Böhlau, Wien 1992.
Hegenbarth, Hans: Nachruf Gertraut Laurin. In: Biblos 22, 1973, S. 355f.
Reichl, Kurt: Lexikon der Persönlichkeiten und Unternehmungen. Steiermark 1955, S. 419.
Smola, Gertrud: In Memoriam Gertraut Laurin. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Graz. 5/6 Tl. 1. 1974, S. 223–225.

Werke

Kaiserkult in Ägypten. Phil. Diss. Univ. Graz 1926.
Rosegger, Peter: Ausgewählte Werke [Zum 100. Geburtstag hrsg. von Friedrich Pock in Gemeinschaft mit Otto Janda und Gertraut Laurin]. Staackmann, Leipzig 1943.
Peter Rosegger. Erwerbungen der Steierm. Landesbibliothek am Joanneum 1943. Sonderh. 2, Graz 1943.
Beiträge zur Geschichte des blindgedruckten Einzelstempel-Einbandes des XV. und XVI. Jahrhunderts. In: Festgabe der Steiermärkischen Landesbibliothek zum 60. Geburtstag des Hofrates Julius Franz Schütz 1949.
Blindgedruckte Einzelstempelbände des XV. und XVI. Jahrhunderts im Zisterzienserstift Rein bei Graz. In: Sutter, Berthold (Hg.): Beiträge zur Geschichte des blindgedruckten Einzelstempeleinbandes des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. Ein Überblick über die in den steirischen Klöstern und Bibliotheken vorhandenen Bestände. Festschrift für Julius Franz Schütz. Böhlau, Graz, Köln 1954.
Admonter gotische Blinddruckstempelbände. In: Gutenberg Jahrbuch 31, 1956.
Zur Einbandkunst des Salzburger Illuminators Ulrich Schreier. In: Gutenberg-Jahrbuch 34, 1959.
Der Salzburger Einbandstil Ulrich Schreiers. In: Gutenberg-Jahrbuch 35, 1960.
Material aus steirischen Bibliotheken zur Geschichte der Werkstatt des Wiener Buchbinders Mathias. In: Gutenberg-Jahrbuch 36, 1961.
Die Blindstempelbände des ehemaligen Zisterzienserstiftes Neuberg in Obersteiermark. In: Festschrift Ernst Kyriss. Stuttgart 1961.
Ein „Buchbinder Kaiser Friedrichs III.“ In: Biblos 11, 1962.
Die Lederschnittbände des Salzburger Illuminators Ulrich Schreier für den Erzbischof Bernhard von Rohr. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 4, 1962.
Bemerkenswerte Einbände der Bibliothek des Franziskanerklosters in Graz. In: Gutenberg-Jahrbuch 38,1963.
Ein Einband aus der Salzburger Werkstatt Ulrich Schreiers in der Spencer Collection der New York Public Library. In: Gutenberg-Jahrbuch 39, 1964.
Einbände Ulrich Schreiers als Zeugen seines Wirkens in Wien. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 5, 1964.
Preßburger Lederschnittbände des Ulrich Schreier. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 5, 1964.
Die gotischen Blindstempeleinbände des ehem. Dominikanerklosters Pettau (Untersteiermark). In: Gutenberg-Jahrbuch 40, 1965.
„Der Binder mit dem Arma-Christi-Stempel. Zur Geschichte der Franziskanerbuchbinderei in Graz. In: Gutenberg-Jahrbuch 45, 1970.

Biografieautor:

Christina Köstner-Pemsel

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