Weinhardt, Brigitte
Montanistin, erste Vizerektorin an einer österreichischen Universität
Besuch der Eleonorenschule, Gymnasium für Mädchen in Darmstadt, Deutschland. Im Anschluss Studium der Chemie an der TH (heute TU) Darmstadt. Dort 1970 Graduierung zum Dipl.-Ing. und 1973 Promotion zum Dr.-Ing. . 1977 Anstellung als Univ.-Assistentin am neu gegründeten Institut für Lagerstättenphysik und –technik der Montanuniversität Leoben. Dort 1987 Habilitation – erst als zweite Frau in der Geschichte der Montanuniversität – für das Fach Experimentelle Lagerstättenphysik. Danach Einstieg in die Hochschulpolitik, Wahl und Wiederwahl zur Vorsitzenden des Leobener AssistentInnenverbands, damit Kuriensprecherin des Mittelbaus gemäß dem damals gültigen UOG. Mit Inkrafttreten des UOGs 93 von 1995 bis 2003 gewählte Vizerektorin der Montanuniversität als erste Frau in Österreich in dieser Funktion. Zuständigkeitsbereich: Öffentlichkeitsarbeit und internationale Beziehungen in der Lehre. Im Anschluss an das Vizerektorat bis Ende 2005 mit Erfolg Leiterin des Departments für Petroleum Engineering der Montanuniversität, gewählt von den drei Ordinarien des Departments. Nach der Überführung des Departments in ein größeres Department Ignorierung ihrer Bewerbung um die Leiterfunktion in der größeren Einheit zu Gunsten eines männlichen Bewerbers ohne höhere Qualifikation desselben. Pensionierung mit 1.1.2008.
Mit einem jüngeren Bruder Kind des Arbeiters Fritz Jacob und seiner Ehefrau Margarethe, die als Nebenerwerbslandwirtin und Marktfrau zum Familieneinkommen beitrug. Trotz „Bildungsferne“ Aufgeschlossenheit der Eltern gegenüber einer höheren Bildung der Tochter. Deshalb ab 1954 Besuch eines Gymnasiums, damals noch nicht eine Regelschule wie jetzt, in der nahen Kreisstadt. Obwohl Arbeiterkind, beste Erfahrungen mit der Förderung durch ausnahmslos alle LehrerInnen ihrer Schulzeit. Während ihres folgenden Studiums an der TH Darmstadt als einzige Studentin der Chemie unter den Studenten ihres Studienjahrgangs niemals Erfahrung einer Diskriminierung durch die Professoren oder ihre Studienkollegen.
Seit ihrer Promotion 1973 verheiratet mit dem österreichischen Staatsbürger Hans Weinhardt, eine Tochter (geb. 1976). Mit der Verehelichung Übersiedelung nach Österreich und Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft.
In Österreich schwerer Einstieg in das Berufsleben. Eventuelle Gründe dafür: Ihr Geschlecht und fehlende Unterstützung auf Grund nicht vorhandener Vernetzung mit hochgestellten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Große Ausnahme: Ermunterung durch BeamtInnen des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, allen voran durch die damalige Ministerialrätin Dr. Edith Stumpf-Fischer, jetzt enge Freundin. Durch die Schilderung von Dr. Stumpf-Fischer der eigenen negativen Erlebnisse Öffnung ihrer Augen dafür, wie schlecht es noch um die Gleichstellung von Frauen und Männern bestellt war. Ebenfalls von Bedeutung für ihren späteren Lebensweg: Einführung in die ihr fremde Welt der Arbeits- und Sozialgesetzgebung durch ihre Freundin Dr. Monika Klobassa, jetzt Senatspräsidentin am OLG Graz. Bis heute immer wieder Diskussionen mit der Freundin über eine von ihr als Fachfremde gefühlten Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit.
Erst nach fast vierjährigen Wanderschaft durch Grazer Universitätsinstitute auf Positionen ohne jegliche Zukunftsperspektive 1977 Anstellung an der Montanuniversität als Univ-Assistentin am Institut für Lagerstättenphysik und –technik. Dort in den ersten Jahren vor allem voller Einsatz für den Aufbau des neu gegründeten Instituts, um überhaupt für eine experimentelle Forschung ausgerüstet zu sein. Absoluter Glücksfall von Anfang an: Ihr aus Ungarn berufener Institutsvorstand und wissenschaftlicher Mentor O. Univ. Prof Dr. Dr.h.c. Zoltán Heinemann. In den folgenden 30 Jahren Begleitung von Professor Heinemann während des Aufstiegs der von ihm vertretenden Forschung und Lehre zu internationalem Rang, was sie mit Stolz erfüllt.
Von Anfang an Schwerpunkt ihrer beruflichen Aktivitäten an der Montanuniversität: Zukunftsorientiertheit durch Förderung der Studierenden, nicht nur als akademische Lehrerin, sondern auch als Vertrauensperson bei allen Problemen während des Studiums, auch den privaten. Zwei besondere Anliegen: Erstens Ermunterung von Frauen zu einem technischen Studium und deren Hinführung zu mehr Selbstbewusstsein, zweitens tatkräftige Unterstützung von ausländischen Studierenden aus armen, nicht-europäischen Ländern, zum Beispiel bei der Suche nach gut honorierten Ferialjobs in der Erdölindustrie, die nicht nur Bestandteil des Studiums waren, sondern auch unverzichtbar für die Sicherung des Lebensunterhalts.
Bis heute Ernte der Früchte ihres Einsatzes für die Studierenden in Form eines regen Schriftverkehrs mit AbsolventInnen, die über ihren beruflichen Lebensweg, oft bis in Spitzenfunktionen der internationalen Industrie, berichten, wobei die Dankbarkeit der AbsolventInnen sie mit größerer Befriedigung erfüllt, als es eine weitere Fokussierung auf die eigene wissenschaftliche Karriere getan hätte. Deshalb keine Reue darüber, sich in vollem Einvernehmen mit ihrem Mentor Professor Heinemann nach ihren schlechten Erfahrungen rund um ihr von einigen Professoren nicht fair geführten Habilitationsverfahren in den Jahren danach neben dem weiteren Ausbau des Instituts für Lagerstättenphysik und –technik, der permanenten Überarbeitung ihrer Lehrveranstaltungen, ihrem Beitrag zur wissenschaftlichen Betreuung von Diplomarbeiten und Dissertationen sowie einer vorbildlichen Betreuung der Studierenden voll der Hochschulpolitik gewidmet zu haben..
Als rechte Hand des Vorsitzenden der Curriculum-Kommission ab 1991 Leistung eines bedeutenden Beitrags zum frühen Beginn der Totalrevision des Studienplans für Erdölwesen und Einführung von Englisch als Unterrichts- und Prüfungssprache in allen Vorlesungen des Fachs, beides gegen große Widerstände an der traditionsbewussten Montanuniversität. Auf diese Weise lange vor der Einführung des Bakkalaureat-Studiums in Österreich 1991 Unterzeichnung eines Übereinkommens mit der Colorado School of Mines (CSM), einer U.S. Universität von Weltruf, in dem die Gleichwertigkeit der ersten sieben Semester des damals 10-semestrigen Diplomstudiums Erdölwesen in Leoben mit dem 8-semestrigen B.Sc.-Studium Petroleum Engineering der U.S. Partneruniversität verbrieft wurde. Seit 1992 ein von ihr koordinierter reger Studentenaustausch mit der U.S. Partneruniversität. Zusätzlich immer mehr internationale Studierende mit einem in ihrem Herkunftsland erworbenen B.Sc.-Grad, die an der Montanuniversität ihre akademische Ausbildung fortsetzen wollen. Seitdem schwindender Zweifel internationaler Konzerne an der Gleichwertigkeit des akademischen Grads „Dipl.-Ing.“ mit dem an internationalen Universitäten verliehenen „M.Sc.“, wovon auch österreichische AbsolventInnen profitieren.
Zwischen 1992 und 2007 Abschluss von mindestens einem Austauschsemesters an der Colorado School of Mines durch 83 StudentInnen der Montanuniversität. Weitere große Erfolge: Vermeidung eines von ihr strikt abgelehnten sozialen Numerus Clausus für das Austauschsemester an der Colorado School of Mines (Befreiung von den dort üblichen hohen Studiengebühren nur für 1:1 Austausch) durch Stipendien auf der Basis ihres erfolgreichen Fund Raising bei der Erdölindustrie. 1995 Ausweitung des StudentInnenaustauschs zwischen der Montanuniversität Leoben und der Colorado School of Mines auf alle Studienrichtungen an beiden Universitäten, 2002 Aushandlung eines „Corporate Degree‘s“ mit der Möglichkeit, mit einer an beiden Universitäten betreuten Master Thesis sowohl in Österreich als auch in den USA graduiert zu werden. 2002 Auszeichnung für ihre Verdienste um die Kooperation der CSM mit der Montanuniversität mit der Verleihung der „Mines Medal“ durch die Colorado School of Mines.
Mitglied des Kollegiums und des Senats der Montanuniversität Leoben bis 1995, Mitglied der Studien- bzw. Curriculum-Kommission des Erdölwesens, Mitglied der Society of Petroleum Engineers und der Österreichischen Gesellschaft für Erdölwissenschaften und Mitglied des Verbands der Akademikerinnen Österreichs.
Werke
Retention von 60Co-Rückstoßatomen bei der Reaktorbestrahlung von Co(aca)3 in Lösung. Diplomarbeit, vorgelegt an der Technischen Hochschule Darmstadt, Deutschland, zur Erlangung des akademischen Grads Dipl.-Ing., November 1970.
Untersuchung der 105Ru-Retention bei der Neutronenbestrahlung von Ruthenocen in Lösung. Dissertation, vorgelegt an der Technischen Hochschule Darmstadt, Deutschland, zur Erlangung des akademischen Grads Dr.-Ing.
Erwartungen in die Chemie bei der Projektierung tertiärer Entölungsverfahren, Erdöl-Erdgas 95, 5/1979, S.150-154.
Gem. mit Heinemann, Z.: Bestimmung der Restphasenverteilung in konsolidierten Sandsteinen, Erdöl-Erdgas 98, 11/1982, S. 393-399.
Das Phänomen Restöl in seiner mikroskopischen Verteilung. Habilitationsschrift, vorgelegt an der Montanuniversität Leoben, Oktober 1985.
Die Genität permeabler poröser Medien: Eine Übersicht“, Erdöl-Erdgas-Kohle 103, 11/1987, S. 475-480.
Gem. mit Shtepani, E. / Potsch, K. T.: A New Modification of Cubic EOS Improves Prediction of Gas Condensate Phase“, SPE Paper 36924, prepared for presentation at the European Petroleum Conference of the Society of Petroleum Engineers, Milan, Italy, 22-24 October 1996, S. 459 ff
Gem. mit Shtepani, E.: „Improvement in Predicting Constant Composition Expansion Data of Gas Condensate Systems Using Methods of Statistical Mechanics“, Erdöl-Erdgas-Kohle 113, 3/1997, S. 119-122.
Studiengang Petroleum Engineering an der Montanuniversität Leoben – Entwicklung und Vorausschau, Vortrag zur Herbstveranstaltung der ÖGEW/DGMK, Wien, 3. – 4. November 2005.
Erdölwesen (Petroleum Engineering) an der Montanuniversität Leoben – 50 Jahre des Erfolgs in Ausbildung, Wissenschaft und Forschung“, Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Studiengangs, 2006.
Gender Mainstreaming an österreichischen Universitäten. Allheilmittel oder Placebo? –Streitschrift einer desillusionierten Frau, Schriften zum Bildungsrecht und zur Bildungspolitik 12, Prisching / Lenz / Hauser (Hg.), Verlag Österreich, 2008, S. 141-152.
Literatur / Quellen
www.brigitte-weinhardt.com