Wehinger Anna Maria, geb. Kirchmann; Gastwirtin, Köchin und Kochbuchautorin
Geb. Gestratz, Bayern, 2.6.1854
Gest. Dornbirn, Vbg., 4.5.1922
W. entstammt einem Westallgäuer Bauerngeschlecht. Ihr Mädchenname war Anna Maria Kirchmann. Der Vorname lautet meist nur Anna, insbesondere auch im Zusammenhang mit ihrer Autorschaft am „Dornbirner Kochbuch“.
W. wurde am 2.6.1853 in Gestratz (Lkr. Lindau, Schwaben, Bayern) geboren. Sie war das erste von sieben Kindern; fünf von sechs Töchtern haben sich nach Österreich (Dornbirn, Nenzing, Bludenz) verheiratet. W. war die Tochter des Augustin Kirchmann und seiner Ehefrau Anna Maria Bildstein. Kirchmann betrieb in Gestratz bei Franzebube im Ried eine Landwirtschaft. W.s Geburtshaus steht heute noch. W. ist am 4.5.1922 in Dornbirn gestorben.
Am 2. Januar 1874 heiratete W. den Bäcker und Wirt Josef Hermann Wehinger, geboren in Dornbirn am 17.4.1847, gestorben in Dornbirn am 10.1.1911. Im August 1875 wurde als erstes Kind eine Tochter Maria geboren, die jedoch bereits im Februar 1876 verstarb. Am 10.7.1876 wurde ihr Sohn Josef geboren, ein Jahr später ihre Tochter Anna. Von ihrem Sohn Josef hatte W. drei Enkelkinder Friedrike Eugenia (*1906), Hertha Franziska (*1907) und Maria Anna Antonia (*1908). Ihr Sohn Josef (†8.5.1934) gab 1924 nach ihrem Tod die achte Auflage des „Donbirner Kochbuchs“ heraus.
W. führte ein Leben für die Gastronomie. Sie begann nach dem Besuch der Volksschule in Gestratz ihre berufliche Laufbahn in dem heute noch führenden Hotel „Bayerischer Hof“ in Lindau, wo sie ihre grundlegenden Fachkenntnisse erwarb. Nach ihrer Heirat 1874 mit einem Mann, der ebenfalls vom Fach war, führte sie mit diesem, teilweise auch selbständig das Gasthaus „Rössle“ an der Sägen in Dornbirn bis 1879, um sich dann der Erziehung ihren Kindern zu widmen. 1889 riefen Industrielle in Dornbirn Koch- und Haushaltungskurse für Fabrikarbeiterinnen ins Leben. Die ersten (dreiwöchigen) Kurse führte seit dem 2.9.1889 die Schweizerin Alwine Bosshart nach schweizerischem Vorbild durch. Von Anbeginn an stand ihr W. als Assistentin zur Seite. Vom 3. Kurs an übernahm W. die Leitung, die sie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 innehielt. In 25 Jahren hat W. 82 mehrwöchige Tageskurse und 70 Abendkurse mit insgesamt 1.500 Teilnehmerinnen durchgeführt. Die Teilnehmerinnen kamen zur Hälfte aus Vorarlberg, zur anderen Hälfte aus den benachbarten Ländern. Die Kurse fanden zunächst in der Küche des Armenhauses (Stadtspital) statt, seit 1893 in der k. k. Stickereifachschule in Hatlerdorf, mit dem 12.2,1894 in der „Koch- und Haushaltungsschule“ in der Kirchgasse in Dornbirn. Neben diesen Kursen führte W. auch andere Weiterbildungsveranstaltungen für den Bedarf der heimischen Gastronomie durch. Zudem bildete sie künftige Lehrerinnen für Haushaltungsschulen aus. Sie selbst wirkte auch immer wieder in den Ferien als Küchenchefin in Hotels im Montafon und in Liechtenstein.
Ihren eigentlichen Ruhm verdankt W. ihrem Kochbuch, das von 1891 bis 1924 acht Auflagen und in jüngerer Zeit zwei Reprints erlebte. Entstanden ist dieses Kochbuch als ein Lehrbehelf, um das Mitschreiben in den Kursen zu sparen. In der Folge wurde es aber von Auflage zu Auflage überarbeitet und um neue Rezepte erweitert, sodass aus dem Lehrbehelf ein Kochbuch wurde. Die Anzahl der Kochrezepte war von Anfang an in den Titel des Buches integriert und damit ein wesentlicher Bestandteil des „Dornbirner Kochbuches“. Der Titel „Dornbirner Kochbuch“ setzte sich erst 1903 mit der vierten Auflage durch. Die 1. Auflage von 1891 enthielt 181 Rezepte, die zweite Auflage von 1894 422 Kochrezepte. Die dritte Auflage von 1899 wurde noch einmal um fast hundert neue Kochanleitungen auf 513 Rezepte ausgeweitet. In der vierten Auflage von 1903 erschienen dann bereits 800 Rezepte, bei denen es in der fünften Auflage von 1908 verblieb. Die sechste Auflage von 1912 brachte noch einmal eine leichte Steigerung auf 850 Rezepte. Die beiden folgenden Ausgaben vermehrten noch einmal die Zahl der selbst erprobten Rezepte: die 7. Auflage von 1921 enthielt 956 Rezepte, die achte Auflage von 1924 1038 Rezepte. Mit den zusätzlichen Rezepten stieg auch der Umfang des Kochbuches bedeutend an. Auch andere Zusätze wurden aufgenommen, beispielsweise Speisepläne oder auch eine Anleitung zur Erlernung der Kochkunst. Hatte die erste Auflage noch einen bescheidenen Umfang von 58 Seiten, so wuchs 1899 die dritte Auflage auf 226 Seiten, 1908 die fünfte Auflage auf 319 Seiten an. Wo immer heute im Handel Exemplare des „Dornbirner Kochbuches“ auftauchen, sind diese durch den täglichen Gebrauch abgegriffen oder fingerfleckig. Auch sind infolge der Aufbewahrung des Buches in der Küche die Klammerungen oft gerostet. Der tägliche Gebrauch hatte zur Folge, dass sich einzelne Seiten gelöst haben, gelegentlich auch verloren gegangen sind. Fast immer enthalten die Bücher auch irgendwelche Notizen, meist mit Bleistift geschrieben, oder eingelegte Zettel mit Nachträgen von persönlichen Kochrezepten ihrer Besitzer.
Die bibliographischen Daten des „Dornbirner Kochbuches“ lauten wie folgt (sämtliche Ausgaben sind in der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz vorhanden): (1) 181 Kochrecepte, Nach der Kochweise der Frau Anna Wehinger, hg. v. Heinrich Mäser, 1. Aufl., Dornbirn: Verlag Feuerstein, 1891, 58 S.; (2) 422 Kochrezepte nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln für gewöhnlichen und besseren Mittagstisch, 2., verm. u. verb. Aufl., Dornbirn: Friedrich Rusch, 1894, 180 Seiten; (3) 513 Kochrecepte nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln für gewöhnlichen und besseren Mittagstisch, 3., verm. u. verb. Aufl., Dornbirn: Friedrich Rusch, 1899, kl.-8°; 226 Seiten; OLwd mit Rückentitel und Deckelvignette in Goldschnitt; (4) Dornbirner Kochbuch, 800 selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt, nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln und einer Anleitung zur Erlernung der Kochkunst, 4., verm. u. verb. Aufl., Dornbirn: Friedrich Rusch, 1903, kl.-8°; 274 Seiten; OLwd mit Rückentitel und Deckelvignette; (5) Dornbirner Kochbuch, 800 selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt, nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln und einer Anleitung zur Erlernung der Kochkunst, 5., verm. u. verb. Aufl., Dornbirn: Friedrich Rusch, 1908, kl.-8°; 319 Seiten, OHLwd, mit Rückentitel und Deckelvignette; (6) Dornbirner Kochbuch, 850 selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt, nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln und einer Anleitung zur Erlernung der Kochkunst, 6., verm. u. verb. Aufl., Dornbirn: Friedrich Rusch, 1921, kl.-8°; 334 Seiten, OHLwd, mit Rückentitel und Deckelvignette in Goldschnitt; (7) Dornbirner Kochbuch, 956 selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt, nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln und einer Anleitung zur Erlernung der Kochkunst, 7., verm. u. verb. Aufl., Dornbirn: Vorarlberger Buchdruckerei-Ges. m.b.H., 1921, 8°, 321 Seiten, m. 1 Frontispiz, OHLwd, mit Rückentitel und Deckelvignette; (8) Dornbirner Kochbuch, 1038 selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt, nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln und einer Nährmitteltabelle, 8., verb. Aufl., Dornbirn: Vorarlberger Buchdruckerei-Ges. m.b.H., vormals Friedr. Rusch, 1924. 8°, 321 Seiten, m. 1 Frontispiz, OHLwd; (9) Dornbirner Kochbuch, 850 selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt, nebst zwei vierwöchentlichen Speisezetteln und einer Anleitung zur Erlernung der Kochkunst, textlich unveränderter Nachdruck der 6. Aufl., 1921, Dornbirn: Hugo Sedlmayer, 1995, kl.-8°; 330 Seiten, Hardcover; (10) Dornbirner Kochbuch 1889 bis 1924, Köstlichkeiten der Vorarlberger Küche, Über 1000 „selbsterprobte Kochrezepte für gewöhnlichen und besseren Haushalt“ von Anna Wehinger, überarbeitet und ergänzt von Susanne Neier, 1. Aufl., Norderstedt: Books on Demand, 2008, Format 2,5 x 22,7 x 18 cm, 324 Seiten, 12 farbige Illustr., Hardcover.
Dornbirn, seit 1901 zur Stadt erhoben, im 19. Jahrhundert der Vorort der expandierenden Vorarlberger Industrie und bevölkerungsreichste Stadt des Landes Vorarlberg, bot die besten Voraussetzungen dafür, dass W. zu einer Pionierin der Kochlehre werden konnte. Ihr legendäres „Dornbirner Kochbuch“ begeistert bis heute nicht nur die Sammler von Vorarlbergensien, es liefert auch für die heutige Küche eine Fülle von Köstlichkeiten an, wie das der Reprint von 2008 bestätigt.
Zu W. gibt es eine Reihe von bildlichen Dokumenten. Es existieren zwei Porträts: ein Foto um 1895, ein Foto von 1909. Häufig findet man Aufnahmen, die sie im Kreise ihrer Schülerinnen zeigt.
Qu.: VLA Bregenz, Misc. 283/10; Stadtarchiv Dornbirn.
L.: Methler 2001, Neier 2008, Platzgummer 1995, Wehinger 2009
Karl Heinz Burmeister