Stumpf Edith Brigitte

geb. Fischer, Stumpf-Fischer; Bibliothekarin, Beamtin und Frauenforscherin
* 1.2.1942, Wien

Herkunft, Verwandtschaften: Ediths Vater Dr. iur. Rudolf Fischer (1908–2001) war Bundesbeamter, von 1954 bis 1956 Staatssekretär im Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau und danach bis 1973 Sektionschef im Verkehrsministerium. Ihre Mutter Emma, geb. Königsberger (1908–1990), war zuerst Büroangestellte, dann Hausfrau. Ihr Bruder Dr. iur. Heinz Fischer (geb. 1938) war von 2004 bis 2016 österreichischer Bundespräsident.
LebenspartnerInnen, Kinder: MR Dr. Edith Fischer schloss am 19.3.1992 die Ehe mit MR Dr.iur. Eduard Stumpf (geb. 1931), dessen erste Frau Leopoldine 1985 verstorben war. Eduard Stumpf leitete im Innenministerium die Gruppe Zivildienst. Keine Kinder.
Ausbildungen: Besuch des Mädchenrealgymnasiums Wien/Hietzing, Reifeprüfung 1960, Studium der Klassischen Philologie und der Klassischen Archäologie an der Universität Wien, nach einer krankheitsbedingten Studienunterbrechung Promotion zur Dr. phil. 1969. 1970 Ablegung der Dienstprüfung für den Höheren Bibliotheksdienst (Reifeprüfung, Rigorosen und Dienstprüfung mit Auszeichnung).
Laufbahn: 1968 trat Edith Stumpf in die Universitätsbibliothek Wien ein. Sie war als Fachreferentin für Klassische Philologie und Archäologie, Allgemeine Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Indogermanistik tätig; auch arbeitete sie an dem Handschriftenkatalog und an einem neuen Regelwerk der UB Wien für die Sacherschließung sowie in der Öffentlichkeitsarbeit mit.
Ende 1973 wurde sie in das 1970 gegründete Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung einberufen, und zwar in die neu geschaffene Abteilung für das wissenschaftliche Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationswesen. Diese war von Bundesministerin Hertha Firnberg mit der Reform des wissenschaftlichen Bibliothekswesens beauftragt und in den folgenden Jahren u. a. intensiv mit der Umsetzung des Universitätsorganisationsgesetzes 1975 im Bereich der Bibliotheken beschäftigt. Dabei kam Edith Stumpf die intensive Bemühung der Frauenpolitikerin Hertha Firnberg zugute, Frauen auf Akademikerposten des Ministeriums zu holen, damals noch eine Ausnahme im Bundesdienst. Ein Schwerpunkt von Edith Stumpfs Aufgabengebiet war die begleitende Beratung und Kontrolle bei Neu-, Um- und Ausbauten der Bibliotheken des Ressortbereiches hinsichtlich Raum- und Funktions- sowie Einrichtungsplanung, wobei sie von einem bibliothekarischen Fachgremium unterstützt wurde (1970 bis 1995 wurden rund 75.000 m² zusätzlicher Nutzflächen geschaffen). Den zweiten Schwerpunkt bildete die Reform der beruflichen Ausbildung und Dienstprüfung für den Wissenschaftlichen Bibliotheksdienst durch Ausarbeitung eines inhaltlichen und organisatorischen Konzeptes, den Entwurf einer neuen Ausbildungsverordnung und die organisatorische Umsetzung; die Verordnung wurde 1978 erlassen, die neuen Lehrgänge begannen 1979. Edith Stumpf wurde ab 1979 mit der Funktion der Ausbildungsleiterin betraut; auch war sie Vortragende des Faches „Einführung in die Bau- und Raumplanung wissenschaftlicher Bibliotheken“ und später Vorsitzende der Prüfungskommission für AkademikerInnen (Verwendungsgruppe A).
1981 wurde sie von Bundesministerin Dr. Hertha Firnberg zur Leiterin der Abteilung ernannt. Diese war für Grundsatzfragen des wissenschaftlichen Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationswesens sowie für alle fachlichen und organisatorischen Angelegenheiten der Universitäts- und Hochschulbibliotheken, der Österreichischen Nationalbibliothek (bis Ende 1994) sowie der Bundesanstalten für audio-visuelle Medien zuständig. Damit war sie für die Verwaltung und Zuteilung des Budgets, für einschlägige internationale sowie Rechtsangelegenheiten und Forschungsaufträge und bis 1989 für die Verwaltung der Planstellen sowie für allgemeine und Grundsatzangelegenheiten des Bibliothekspersonals verantwortlich. Ab 1986 wurde Edith Stumpf überdies mit der Vertretung des Sektionsleiters für ihren Kompetenzbereich betraut. 1987 wurde sie zur Ministerialrätin ernannt.
Ziel ihrer Bemühungen war es, in enger Zusammenarbeit mit den Bibliotheken die möglichst ungehinderte und uneingeschränkte Benützung der wissenschaftlichen Literatur und sonstigen wissenschaftlichen Informationen für alle Interessierten sicherzustellen und laufend zu verbessern. Zu den Schwerpunkten ihrer Tätigkeit als Leiterin zählte die Weiterführung der Strukturreform der Universitätsbibliotheken auf der Grundlage des UOG 75, vor allem im Sinne des Ausbaues der Serviceleistungen. Diesem Ziel diente auch der Aufbau des österreichischen EDV-unterstützten Bibliothekenverbundes ab 1987 und damit die einschneidende Umstellung und Vereinheitlichung der bibliothekarischen Tätigkeiten an allen teilnehmenden Bibliotheken zum Einsatz eines gemeinsamen EDV-Systems sowie die Schaffung einer zentralen österreichischen Datenbank; die zur fachlichen Unterstützung eingerichtete Stelle sollte sich später zur OBVSG (Österr. Bibliothekenverbund und Service GmbH) entwickeln. Ein Anliegen war Edith Stumpf auch der Ausbau des Zugriffes zu internationalen Datenbanken sowie die Dokumentation österreichischer Forschung und deren Input in internationale Datenbanken; daher initiierte und förderte sie z. B. die Einrichtung der SOWIS Abteilung der Universitätsbibliothek der Wirtschaftsuniversität Wien für den Aufbau einer Forschungsdatenbank für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die Österreichische Dissertationsdatenbank und die Einrichtung für frauenspezifische Literatur und Dokumentation „ARIADNE“ an der Österreichischen Nationalbibliothek. Von ihrer Abteilung wurden die Bestimmungen im Forschungsorganisationsgesetz (FOG) ausgearbeitet, mit denen die Aufgaben der Österr. Nationalbibliothek 1981 erstmals eine gesetzliche Grundlage erhielten. Gemeinsam mit GD Magda Strebl betrieb Edith Stumpf die Errichtung des Tiefspeichers für die Österreichische Nationalbibliothek (Eröffnung 1992). Sie war stets bemüht, die Erwerbung bedeutender österreichischer Kulturgüter (vor allem Autographen und Nach- bzw. Vorlässe) durch die ÖNB mit Sondermitteln zu ermöglichen bzw. zu unterstützen. Den Ankauf der Nachlässe von Manès Sperber und von Erich Fried leitete sie selbst durch persönliche Kontakte ein und führte die Verhandlungen erfolgreich zu Ende. 1989 wurde das Österreichische Literaturarchiv an der ÖNB gegründet. Erwähnt sei noch die Vorbereitung eines Konzeptes für das Sammeln, Bewahren und Erschließen des österreichischen non-book-material.
Darüber hinaus setzte sie sich stets für eine Zusammenarbeit der verwandten Berufe der Informationsfachleute ein, wie der BibliothekarInnen an Wissenschaftlichen und an Öffentlichen Bibliotheken, der DokumentarInnen und der ArchivarInnen; so gewann sie Vertreter dieser Berufsgruppen als Vortragende und Prüfer in der 1978 reformierten bibliothekarischen Ausbildung des Bundes, nachdem sie die Ein- und Durchführung der Grundkurse „Einführung in Dokumentation und Information“ an der Arbeiterkammer Wien ab 1974/75 unterstützt hatte. Auch initiierte und förderte sie die Publikationsreihe „Daten, Fakten, Zitate“, die von der VÖB (Vereinigung Österr. Bibliothekarinnen und Bibliothekare) gemeinsam mit der ÖGDI (Österr. Ges. für Dokumentation und Information) herausgegeben wurde, ebenso die Schriftenreihe „Fachinformationsführer“.
Die für das wiss. Informationswesen so wichtigen internationalen Kontakte pflegte sie durch ihre Mitgliedschaft in internationalen Organisationen sowie durch Tagungsbesuche und –vorträge; 1979 wurde sie zum Mitglied der Section for Library Education and Training in der IFLA (International Federation of Library Associations and other Institutes) gewählt, später zu deren Vorsitzender. Sie war Mitglied der Working Group Libraries der EU und Vorsitzende des österreichischen National Focal Point.
Im Personalwesen war sie um faire Berufschancen bemüht; so setzte sie durch, dass in Tätigkeitsbereichen wie z. B. „Erwerbung“ und „Formalerschließung“, die von MaturantInnen (überwiegend von Frauen) ausgeübt wurden, diese im Unterschied zur bisherigen Praxis auch die Leitungsposten erreichen konnten.
Ein besonderes Anliegen war ihr die Gleichbehandlung der Frauen, für die sie sich u. a. in ihrer Funktion als Vorsitzende der Ausschreibungskommission für Leitungsposten wiss. Bibliotheken einsetzte; das Signal, das seitens der Ressortleitung mit der Ernennung der ersten Frauen zur Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek (1983) und zur Bibliotheksdirektorin der Wirtschaftsuniversität Wien (1985) gegeben wurde, betrachtete sie als wichtigen Erfolg und Wendepunkt; tatsächlich wurden zunehmend Frauen zu Bibliotheksdirektorinnen ernannt.
Für die Frauen setzte sie sich auch als Zentralausschussmitglied für die sonstigen Bediensteten sowie als Vorsitzende der Kommission zur Förderung der Frauen im Bundesdienst des BMWF (1985–1993) ein.
Ende 1995 musste sie aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand treten. Sie war Jahrzehnte hindurch treibende und innovative Kraft in der Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Bibliotheks- und Informationswesens in Österreich.
Dank ärztlicher Behandlung konnte sie sich nach einiger Zeit der ehrenamtlichen Beschäftigung mit frauenbiografischen Forschungsprojekten zuwenden, die sie schon länger interessiert hatten. Mit organisatorischer und finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsministeriums rief sie das Projekt „biografiA – biografische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen“ ins Leben (Leitung Dr. Ilse Korotin; Sitz: IWK- Institut für Wissenschaft und Kunst), das 1998 startete und bei dem sie auch mitarbeitet − die Zahl ihrer biografischen Beiträge beläuft sich derzeit auf etwa 130. Neben der Datenbank (derzeit rund 20.000 Datensätze) und dem 2016 erschienenen „Lexikon österreichischer Frauen“ mit Eintragungen zu rund 6.500 Frauen wird auch eine Buchreihe „biografiA – Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung“ herausgegeben, in der 2009 die von ihr verfasste Biografie der Diplomatin und Kinderbuch-Forscherin Johanna Monschein mit dem Titel „Man ist immer allein…“ erschien; ein weiterer Band, die Herausgabe der Lebenserinnerungen von Rosa Marie Ebner, ist in Vorbereitung. Weiters fungierte sie als Projektleiterin des Forschungsprojektes „Der Weg zur beruflichen Gleichstellung am Beispiel Bibliothekarinnen“ (Projektkoordinatorin: Ilse Korotin). Gemeinsam mit Gertrude Enderle-Burcel veranstaltete sie 2011 einen Workshop zum Thema „Bibliotheken im Umbruch 1938/1945″, dessen Ergebnisse einen Teil der Publikation „Brüche und Kontinuitäten 1933–1938–1945“ (s. u. Werke) bilden.
Auszeichnungen und Mitgliedschaften: Dr.-Josef-Bick-Ehrenmedaille (Förderungsmedaille) für Verdienste um das österreichische Bibliothekswesen durch die VÖB (1980); Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik (1985); Goldener Ehrenring mit Bundeswappen, verliehen vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung (1995); Ehrenmitgliedschaft bei der VÖB (1996); Ehrenmitgliedschaft der ÖGDI (1997); Dr.-Josef-Bick-Ehrenmedaille (Große Würdigungsmedaille) für große Verdienste um das österreichische Bibliothekswesen durch die VÖB (2002); Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse (2013).
Mitglied des Ausschusses der VÖB; Vorstandsmitglied der ÖGDI; Mitglied, ab 1986 Vorsitzende der Section for Library Education and Training in der IFLA; Mitgliedschaft bei internationalen Organisationen s. o. Mitglied des Zentralausschusses des BMWF für die Sonstigen Bediensteten für die FSG (1979–1987); Vorsitzende der Kommission zur Förderung der Frauen im Bundesdienst des BMWF (1985–1993); Mitglied des Österreichischen Frauenrates und des Vereins frida; Mitglied der SPÖ und des BSA (Vorsitzende der Frauenarbeitsgemeinschaft 1985–1990).

Literatur / Quellen

Wehrmann, Gertraud: Min.-Rätin Dr. Edith Stumpf-Fischer im Ruhestand. In: Mitteilungen der VÖB 49 (1996), 1, S. 187–191.
Huemer, Hermann/Wala, Carola (Hg.): Chronik einer wunderbaren Feindschaft: 60 Jahre ÖGDI – 1951 bis 2011. Wien 2012, S. 285–288.
Laudatio von Univ.-Prof. Dr. Sigrid Jalkotzy-Deger für Frau Min.-Rätin i.R. Dr. Edith Stumpf […]. In: Mitteilungen der VÖB 66 (2013), Nr.3/4, S. 408–412.

Werke

Bis 1992 unter dem Namen „Edith Fischer“, von ihrer Eheschließung an unter „Edith Stumpf-Fischer“.
Österreichischer Bibliotheksbau. Gemeinsam mit Walter Jaksch und Franz Kroller. Bd. 1: Von der Gotik bis zur Moderne. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1992; Bd. 2: Von 1945 bis 1985. Wien, Graz 1986.
Der wohlinformierte Mensch – Eine Utopie. Festschrift für Magda Strebl. Hg. Edith Stumpf-Fischer, Graz 1997.
„Man ist immer allein…“. Johanna Monschein (1907–1997), Diplomatin und Forscherin. Wien 2009 (biografiA – Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung. Bd. 7).
Brüche und Kontinuitäten 1933–1938–1945. Fallstudien zu Verwaltung und Bibliotheken. Hg. gem. mit Gertrude Enderle-Burcel und Alexandra Neubauer-Czettl. Wien 2013 (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 12).
Beiträge über das österr. wiss. Bibliothekswesen sowie zu frauenbiografischen Themen, z. B. Ausbildung von Bibliothekaren und Dokumentaren in Österreich. Wien 1979, S.184–191 (In: Internationale Informationsnetzwerke. 3. Österreichischer Dokumentationstag. Graz 1979).
Die Planung der Bibliotheksautomation aus der Sicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung. Lochau bei Bregenz 1987, S. 141–152 (In: Zum Einsatz der EDV in österreichischen Bibliotheken. Informationsbuch. Kleine Reihe. Nr. 14).
Bibliotheksreformen in Österreich. Wien 1991, S. 113–123 (In: Information gestern, heute, morgen. Festschrift für Ferdinand Baumgartner. Hg. Ilse Dosoudil, Paul Rauchbauer).
Frauen im Bibliotheksdienst der Universität Wien. Wien 2001, S. 202–222. (In: Artibus atque modis. Festschrift für Ilse Dosoudil. Hg. Renate Klepp, Maria Seissl).
Verlegerinnen in Österreich. Wien 2001. S. 227–256 (In: kolloquiA. Frauenbezogene/feministische Dokumentation und Informationsarbeit in Österreich. Lehr- und Forschungsmaterialien. Materialien zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft. Bd. 11).
Kultursektion (1970–1994) und Kunstsektion (1995–1997). Wien 2010, S. 126–139 ( In: 40 Jahre Wissenschaftsministerium 1970–2010); Die politische Rolle der Wissensspeicher und –vermittler Bibliotheken. Potenzial und Perspektiven für klassische Think Tanks (gem. mit Bruno Bauer). Wien 2011, S.165–180 (In: Jahrbuch für politische Beratung. Eine klassische Alternative. 2010/2011. Hg. Thomas Köhler und Christian Mertens).

BiografieautorIn:

Gertraud Wehrmann