Spitz Maria (Mia); Kindergärtnerin
Geb. Wien, 25.5.1903
Sp. wird als Maria Heybey am 25. Mai 1903 in Wien geboren. Die gelernte Kindergärtnerin arbeitet ab 1919 im amerikanischen Kinderheim in den „Grinzinger Baracken.“ Dort lernt sie auch ihren späteren Mann, Markus Spitz, kennen. Der am 18. Mai 1899 in Lodz geborene Sohn eines reichen Textilfabrikanten studierte zunächst in Berlin, wo er 1922 der KPD beitrat. Er bekommt bald darauf eine Stelle in der Wiener Handelsvertretung der UdSSR, übersiedelt nach Wien und wohnt in den „Grinzinger Baracken“. 1923 treten M. H. und Markus Spitz der KPÖ bei. Im selben Jahr, am 15. Jänner 1923, lassen sich die beiden in der sowjetischen Gesandtschaft registrieren, eine Ehe im herkömmlichen Sinn kommt für sie nicht in Frage, da beide den bürgerlichen Staat und seine Institutionen ablehnen. Nach Lohnkämpfen verliert M. Sp. ihre Stelle im amerikanischen Kinderheim und wird auf eine Schwarze Liste gesetzt. Trotzdem findet sie bald darauf Arbeit im Montessori-Kindergarten. Markus Spitz wird 1928 von der Partei in die Sowjetunion abkommandiert und arbeitet dort als Chefingenieur im Volkskommissariat für Schwerindustrie. M. Sp. begleitet ihn und ist vorerst für die Betreuung ausländischer Arbeiter bei der Meshrabpom-Film zuständig. Später arbeitet sie in der Moskauer Uhrenfabrik. M. Sp. wird Mitglied der KPdSU, ihrem Mann wird der Beitritt wegen seiner bürgerlichen Herkunft verweigert.
1930 fährt M. Sp. nach Österreich und bringt dort ihren Sohn zur Welt. Noch im selben Jahr kehrt sie nach Moskau zurück. Sie erkrankt an Typhus und ist einige Zeit arbeitslos. Das Ausländerbüro des Zentralkomitees vermittelt ihr schließlich eine Stelle als Deutschlehrerin eines Kindes von einem „verantwortlichen Mitarbeiter“, die sie am 8. Jänner 1933 antritt. Ihr Schüler ist der Sohn des gefürchteten GPU-Chefs Heinrich Jagoda. Der 1891 als Herrschel Jehuda geborene Jagoda war ab 1905 Mitglied der Kommunistischen Partei, arbeitete zunächst für die Tscheka, wurde in den 20er Jahren Chef der Nachfolgeorganisation GPU und ab Juli Leiter des Volkskommissariats des Inneren (NKWD). Im Februar 1937 wurde er verhaftet und 1938 beim 3. Moskauer Schauprozess verurteilt und hingerichtet.
Wegen des allgemein üblichen konspirativen Verhaltens der Kommunistischen Partei, besonders an deren Führungsspitze, wurde die Identität des Dienstgebers vor M. Sp. streng geheim gehalten. Sie hat auch nie versucht dieses Geheimnis zu lüften, ist jedoch im Laufe ihrer Dienstzeit in Jagodas Villa immer mehr von dem dort herrschenden Luxus angewidert und ersucht deshalb um Versetzung. Am 23. Oktober 1933 wird ihrem Gesuch stattgegeben. Zu dieser Zeit steht Jagoda in der Gunst Stalins noch hoch. M. Sp. lehnt mehrere Angebote ab, die Kinder des Führungskaders der KPdSU zu unterrichten und arbeitet stattdessen im Kindergarten des Ministeriums für Außenhandel und im Hotel Lux, dem Wohnort vieler Mitglieder der Komintern. Sie betreut dort die Kinder von KommunistInnen aus aller Welt, die sich aus beruflichen Gründen oft für längere Zeit im Ausland aufhalten.
Am 7. September 1937 wird M. Sp. wegen „Nichtentlarvung des Volksfeindes Jagoda“ aus der KPdSU ausgeschlossen und darf ihren Arbeitsplatz nicht mehr betreten. Auch Markus Spitz, als ihr Angehöriger, verliert am Tag darauf seinen Posten. Am 3. Mai 1938 werden die beiden verhaftet und ins Moskauer Lubjanka-Gefängnis gebracht. Nach einer sogenannten Verhandlung − einer Farce, die nur drei Minuten dauert, da das Urteil, wie M. Sp. von dem Untersuchungsrichter des NKWD erfährt, schon vor der Verhandlung festgestanden ist − wird sie zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt. Obwohl sie sich weigert das Urteil zu unterschreiben, muss sie zur Zwangsarbeit in das sibirische Gefangenenlager Akmolinsk. In diesem Lager trifft sie ihre Bekannte und Parteigenosssin aus Wien, Hilda Vitzthum, wieder, die ebenfalls ohne Begründung hierher verschickt worden ist. Der weitere gemeinsame Leidensweg der beiden Frauen durch die stalinistischen Zwangsarbeitslager führt sie im Februar 1939 nach Spassky und von dort nach Dolinki. Hier trennen sich die Wege der beiden Frauen. M. Sp. kommt zuerst nach Karatschar und wird später zum nahegelegenen Strafpunkt Wolkowski geschickt.
Nach Beendigung ihrer Haftzeit wird M. Sp. nicht entlassen, sondern muss noch weitere acht Jahre im Gebiet Karaganda, einem Lagerkomplex in der Größe der Schweiz, als Verbannte verbringen. 1954, nach Stalins Tod, kehrt sie aus der Verbannung nach Österreich zurück. Sie erfährt, dass ihr Mann die Lagerhaft nicht überlebt hat. Laut sowjetischer Behörden ist Markus Spitz am 12. November 1942 gestorben. M. Sp. wird am 7. Mai 1955 von der neuen sowjetischen Führung unter Nikita Chruschtschow rehabilitiert.
L.: Leonhard 1956, Mayenburg 1978, Schafranek 1991, Vitzthum 1984
Karin Nusko