Ruttner-Kolisko Agnes, geb. Kolisko; Zoologin und Limnologin
Geb. Wien, 17.7.1911
Gest. bei Mombasa, Kenia, 22.11.1991
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Staatsanwalt; Mutter: stammt aus einer Seidenfabrikantenfamilie. Aufgewachsen in Gmunden am Traunsee.
LebenspartnerInnen, Kinder: Heiratet 1938 Dr. Anton Ruttner (1911-2006), böhmischer Geologe aus dem heutigen Cheb, Tschechien; 5 Kinder (*1940, 1941, 1943 (2), 1945).
Ausbildungen: Matura 1929 am BRG Gmunden; 1920-1936 Studium an der Universität Wien, 1934 Lehramtsprüfung für Naturgeschichte und Physik, 1936 Promotion zum Dr. phil. 1957 Habilitation für Limnologie und Süßwasserzoologie an der philosophischen Fakultät der Universität Wien.
Laufbahn: Während ihrer Studienzeit nimmt A. R.-K. an Spezialkursen über Limnologie in der Biologischen Station Lunz am See und über Marine Hydrobiologie in Helgoland teil; während dieser Zeit findet sie in ihren Lehrern Prof. Jan Versluys und Prof. Wilhelm Marinelli Vorbilder. A. R.-K. arbeitet v. a. im Bereich der Hydrobiologie und beschäftigt sich insbesondere mit der Ökologie der Binnengewässer. Ihr zentrales Forschungsgebiet ist die Biologie der Rädertiere (Rotatoria), mit denen sie sich bereits in ihrer Dissertation befasst; in Weiterführung der Studien O. Storchs fragt sie nach deren Fortpflanzungsbiologie, d. h. nach den Ursachen des Wechsels von der parthenogenetischen zur sexuellen Fortpflanzung. A. R.-K. ist 1937-1943 zunächst wissenschaftliche Hilfskraft, dann wissenschaftliche Assistentin am II. Zoologischen Institut der Universität Wien. In den Jahren 1944-1945 fungiert sie als Vertretung des zur Wehrmacht eingezogenen Assistenten Dr. F. Berger an der Biologischen Station Lunz. Im Leiter der Station, ihrem Schwiegervater Franz Ruttner, findet sie einen Mentor. Ab 1948 ist A. R.-K. vier Jahre lang beim Gesundheitsamt der Gemeinde Wien angestellt, wo sie als Trink- und Abwasserbiologin tätig ist. Ab 1952 ist sie wissenschaftliche Assistentin in Lunz; ab 1955 als Vertragsbedienstete des Bundesministeriums für Unterricht bzw. des Bundesministeriums für Wissenschaft und Kunst. Im Jahr 1970 wird A. R.-K. der Titel der außerordentlichen Universitätsprofessorin verliehen. Sie kommt ihrer damit verbundenen Lehrverpflichtung nach, indem sie jeweils im Wintersemester Vorlesungen am II. Zoologischen Institut der Universität Wien hält und im Sommer Kurse an der Biologischen Station Lunz anbietet. Forschungsstipendien des British Council, der „International Association of Univerity Women“ (Ohio-State Fellowship und Winifred Cullis Grant), der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Österreichischen Forschungsrats ermöglichen ihr Untersuchungen am Psammon in Lappland, Mittelschweden und am Lago Maggiore, zur vergleichenden Untersuchung der Populationsdynamik von Rädertieren in Seen des English Lake Districts und zur Mitarbeit am Bodensee-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In Begleitung ihres Gatten bei dessen geologischen Arbeiten in Ostpersien im Rahmen eines UN-Projektes untersucht sie 1959/1960 Salzgewässer der ostpersischen Wüste als Biotop und in ihrer Abhängigkeit von dem jeweils gegebenem geologischem Untergrund. A. R.-K.s experimentelle Arbeiten auf der Basis von jahrelangen Individualzuchten gelten später nicht nur der Fortpflanzungsbiologie, sondern auch den Fragen der Taxonomie (als Folge der Formenfülle einzelner Rotatorienarten), der Genetik (im Zusammenhang mit Kreuzungsversuchen), sowie allgemein dem Metabolismus der Rädertiere. Dem intensiven Studium dieser Tiergruppe entspringt eine Publikation, die später zum Standardwerk der Hydrozoologie wird: „Rotatoria in der Serie Binnengewässer“ (Stuttgart 1972), das zwei Jahre später in englischer Übersetzung als „Plankton Rotifers“ erscheint. A. R.-K. interessiert sich auch für sehr allgemeine Themen der Limnologie, wie Populationsdynamik des Zooplanktons in Seen, das Leben im Lückensystem (hyporheisches Interstitial) des zuvor wenig beachteten Ufersandes von Gewässern (Psammon) oder die Lebensgemeinschaften in Binnen-Salzgewässern. Während der letzten 20 Jahre ihres Lebens hat sie sich in zunehmendem Maße mit Umweltproblemen, zum Beispiel mit Sanierungsvorschlägen für alpine Seen, beschäftigt, dies vorwiegend im Rahmen des „Forums Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz“. Ab 1972 ist A. R.-K. bis zu ihrer Pensionierung vier Jahre später mit der Leitung der Biologischen Station Lunz betraut und danach bis zu ihrem 78. Lebensjahr im Rahmen dieses Institutes wissenschaftlich tätig. R.-K. pflegt Freundschaften zu international namhaften BiologInnen und hat mit ihren Arbeiten zum wissenschaftliche Ansehen der Biologischen Station Lunz beigetragen. Sie verstirbt achtzigjährig, als sie im Urlaub mit ihrem Sohn und dessen Familie beim Baden südlich von Mombasa einen Herzschlag erleidet. Ihre Asche wird in Gmunden beigesetzt.
W. u. a.: „Beiträge zur Erforschung der Lebensgeschichte der Rädertiere auf Grund von Individualzuchten. Archiv f. Hydrobiol., Bd. 33“ (1938), „Das Verhalten niederer Süßwasserkrebse im elektrischen Felde. Intern. Rev. ges. Hydrobiol., Bd. 43“ (1943), „Über das Auftreten unbefruchteter „Dauereier“ bei Anuraea aculeata (Keratella quadrata). Österr. Zool. Zeitschr. Bd. I/1-2“ (1946), „Zum Formenwechsel- und Artproblem von Anuraea aculeata (Keratella quadrata). Hydrobiologia, Bd. I/4“ (1949), „Porenraum und kapillare Wasserströmung im Limnopsammal, ein Beispiel für die Bedeutung verlangsamter Strömung. Schweiz. Zeitschr. f. Hydrobiologie, Bd. XXIV/2“ (1962), „Genetische Untersuchungen zur Fortpflanzungsbiologie der Rotatoria. Verh. Deutsch. Zoolog. Ges. Innsbruck“ (1968), „Kreuzungsexperimente zwischen Brachionus urceolaris und Brachionus quadridentatus, ein Beitrag zur Fortpflanzungsbiologie der heterogenen Rotatoria. Arch. Hydrobiol. Bd. 65/4“ (1969), „Rotatorien als Indikatoren für den Chemismus von Binnensalzgewässern. Sitz. Ber. Österr. Akad. Wiss. Math.-Nat. Kl., Abt. I, Bd. 179/8-10“ (1971), „Plankton Rotifers: Biology and Taxonomy. Special edition of „Die Binnengewässer“, Bd. 26“ (1974), „Professor Gertrud Pleskot, 1913 – 1978. Nachruf. Wasser und Abwasser. Bd. 76/77“ (1978), „Genetische Experimente mit drei verschiedenen Stämmen von Brachionus plicatilis II. Jber. Biol. Stn. Lunz, Bd. 5“ (1982), „Der Einfluss von Quantität und Qualität des Futters auf Lebensparameter, Klonwachstum und Körpermaße einiger planktischer Rotatorienarten. Jber. Biol. Stn., Bd. 7“ (1984), „Fütterungsversuche an einigen planktischen Rädertierarten. Wasser und Abwasser, Bd. 30“ (1986)
L.: Adamicka 1993, Dumont 1993, King 1993, Lesnik 1990, Löffler 1999, Ruttner 2002, Schmid-Araya 1993, Schönlaub/Cernajsek 2007