Rotenberg Stella, geb. Siegmann, Sigmann; Schriftstellerin und Lyrikerin

Geb. Wien, 27.3.1916

Gest. Leeds, Großbritannien, 3.7.2013

Herkunft, Verwandtschaften: Die Eltern, Bernhard Siegmann (1877-1942 und Regine (†1942) betreiben einen Textilbetrieb und werden beide bei Sobibor ermordet; der ältere Bruder Erwin versucht erst nach Liechtenstein, in die Schweiz und nach Holland zu fliehen, bis ihm schließlich in Schweden Asyl gewährt wird; nahezu ihre ganze Verwandtschaft fällt der Verfolgung durch das NS-Regime zum Opfer.

LebenspartnerInnen, Kinder: Heiratet 1940 den ehemaligen Wiener Studienkollegen und nun britischen Arzt Wolf Rotenberg (†1992); ein Sohn (*1951).

Ausbildungen: Legt 1936 die Matura in Wien ab; Studium der Medizin an der Universität Wien, wird 1938 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zwangsexmatrikuliert; später Lehre zur Krankenpflegerin in Großbritannien.

Laufbahn: Im 9. und 20. Wiener Gemeindebezirk in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, entwickelt S. R. früh eine Leidenschaft für Literatur, liest gerne Franz Kafka und Thomas Mann und beschäftigt sich später auch mit Mathematik. Sie tritt der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler bei und nimmt 1931 an der Sommerkolonie in Zeltweg teil, wo sie Jura Soyfer kennen lernt. Nach dem „Anschluss“ wird der Betrieb der Eltern geplündert und enteignet. S. R. landet mit ihren Eltern in einer Massenunterkunft in der Wiener Zelinkagasse. Als ihr Bruder Erwin nach Schweden emigrieren kann, drängt er in Briefen seine Familie zur Flucht. S. R. bemüht sich über 9 Monate lang um die Möglichkeit der Ausreise; u. a. versucht sie über das Home Office ein Stipendium für Medizin in London zu erhalten. Am 14.3.1939 kann sie mit einem Hausgehilfinnen-Visum Österreich verlassen. Sie flieht nach Holland, wo sie zunächst in Leiden als private Haushälterin bei einem alleinstehenden Herrn arbeitet. Nachdem dieser sie belästigt, spricht sie beim Flüchtlingskomitee in Den Haag vor und wird als unbezahlte Betreuerin in einem Waisenhaus beschäftigt. Als sie im August desselben Jahres über das britische Home-Office ein Hausgehilfinnen-Permit erlangen kann, emigriert S. R. nach Großbritannien. Sie kann aufgrund ihrer finanziellen Situation ihr Studium nicht wieder aufnehmen und macht eine Lehre zur Krankenpflegerin. Während ihrer Ausbildung arbeitet sie als Pflegerin in einer Psychiatrischen Klinik in Colchester, Essex. Sie beginnt 1940 schriftstellerisch tätig zu werden und schreibt in ihrer Muttersprache v. a. Gedichte. Da ihr Ehemann dem Militär beigetreten ist, lebt sie die restlichen Kriegsjahre über in verschiedenen Garnisonstädten in der Provinz in Untermiete und betätigt sich u. a. als Arzthelferin und Büroangestellte. Ihr Schreiben geschieht also in einer gewissen Isolation; S. R. kommt nicht in Kontakt mit der hiesigen Literaturszene und kann sich auch nicht mit den jungen KünstlerInnen des Austrian Centre in London austauschen. Nach Kriegsende muss S. R. erfahren, dass bis auf ihren Bruder Erwin alle Verwandten im Zuge des NS-Regimes ermordet wurden. Ihre Eltern wurden am 20.5.1942 nach Polen verschleppt und noch auf der Zugreise Richtung Izbica in der Nähe von Sobibor während eines Stopps im Wald erschossen. Die Figur der Mutter wird nun zentral in S. R.s Texten. Im Jahr 1946 wird S. R. britische Staatsbürgerin und zwei Jahre später lässt sie sich mit ihrem Mann in Leeds nieder. Sie fühlt sich in England wohl, aber nirgendwo zuhause. Sie hat Angst, ihre Muttersprache zu verlieren und bemüht sich, die deutsche Sprache und insbesondere das wienerische Deutsch als Teil ihres Lebens zu erhalten. Die ersten Texte werden in den sechziger Jahren publiziert. In den achtziger Jahren wendet sich S. R. von der Lyrik zur Prosa und schreibt Kurzgeschichten, ab nun steigert sich das allgemeine Interesse an ihrem Werk. Zu dieser Zeit beginnen AkademikerInnen, v. a. im Vereinigten Königreich, in Irland, Deutschland und Österreich, sich wissenschaftlich mit R. S.s Texten auseinanderzusetzen. Die Werke von S. R. verarbeiten in einfachem, klarem Stil die traumatischen Ereignisse der Verfolgung, des Krieges und des Exils. Sie werden mit dem allerersten Theodor Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil gewürdigt; bei der Verleihung in Wien ist S. R. persönlich anwesend und hält eine Lesung. S. R. lebt in Leeds.

Ausz., Mitglsch.: Mitglied des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland; 1996 Ehrenkreuz Erster Klasse für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich; 2001 Theodor-Kramer-Preis; 2002 Ehrendoktorat der Heriot Watt University Edinburgh.

Qu.: Tagblattarchiv (Personenmappe).

W.: Veröffentlicht Gedichte und Prosa in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften (wie „Aufbau“ und „Mnemosyne“), u. a.: „Gedichte“ (1972), „Die wir übrig sind. Gedichte“ (1978), „ Scherben sind endlicher Hort. Hg von Primus-Heinz Kucher und Armin A. Wallas“ (1991), „Ungewissen Ursprungs. Gesammelte Prosa. Hg. von Siglinde Bolbecher“ (1997), „Meine wahre Heimat/My true Homeland“ (1999), „An den Quell. Das lyrische Werk. Hg. v. Siglinde Bolbecher u. Beatrix Müller-Kampel“ (2003), „Stella Rotenberg: Shards. Gedichte. Translated by Donal Mc Laughlin & Stephen Richardson“ (2003)

L.: Bolbecher/Kaiser 2000, ÖNB 2002, Wall 1995, Wall 2004, Wimmer 1993, www.aeiou.at, http://www.lettertothestars.at, http://www.theodorkramer.at