Rosenblüth-Dengler Amalia M.
*10.5.1892 Sanok, Galizien (Ukraine), † 1979 Seattle, Washington, USA
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Michael (Meilech) Rosenblüth, Kaufmann und Unternehmer (1869–1937), Mutter: Ruth, geb. Fink (1868–1933). Amalia war das älteste von vier Kindern. Geschwister: Edmund, Kardiologe (*1901), Rosa, Zahnärztin (1895–1944), Alexander, Kinderarzt (1898–1970). Die Brüder Edmund und Alexander änderten ihren Familiennamen in den 1930er Jahren auf „Ronald“. Beiden gelang es, nach Calcutta, Indien zu emigrieren. Trotzdem im Mai 1939 auch für Rosa und Amalia eine Einreisebewilligung vorlag, konnte die Flucht aus finanziellen Gründen nicht mehr realisiert werden.
Ausbildungen: 1904–1910 Privatistin der Gymnasialkurse am k. k. Gymnasium Sanok, ab 1910 Privat-Mädchen-Gymnasium d. Sophia Strzalkowska in Lemberg, 9. Juni 1910 Reifeprüfung als ordentliche Schülerin ebd. 1910–1914 Studium der Philosophie an der k. k. Universität Lemberg (u. a. bei den Philosophen und Logikern Kazimierz v. Twardowski und Jan Lukasiewicz). Ab dem Studienjahr 1914/15 Fortführung des Studiums an der Universität Wien. Einige Semester auch an der Medizinischen und der Juridischen Fakultät inskribiert (u. a. Vorlesungen bei Hans Kelsen und Carl Grünberg). 1914/15 Absolvierung eines einjährigen Abiturientenkurses an der „Neuen Wiener Handelsakademie“ in Wien 8, Hamerlingplatz 5–6. 1916 Beendigung des Studiums der Philosophie mit der Dissertation „Über das sogenannte disjunktive Urteil in der neueren Logik“ (bei Alfred Stöhr, Zweitbegutachter: Robert Reininger). Die Promotion erfolgte am 21. Dezember 1917 auf Mehrheitsbeschluss „mit Auszeichnung“.
Laufbahn: Langjährige unbezahlte Mitarbeiterin von Adolf Stöhr und dessen Nachfolger Robert Reininger am Philosophischen Institut der Universität Wien (nach eigenen Angaben übte Amalia Rosenblüth zwischen 1915 und 1937 folgende Tätigkeiten aus: Bibliothekarin der philosophischen Bibliothek, Assistentin des Direktors der Philosophischen Institute, Abhaltung der philosophischen Proseminare). Laut Personalakt der Universität Wien lautet die offizielle Anstellung: Von 1932/33 bis 1936/37 Bibliothekarin am Philosophischen Institut. Das – nun besoldete − Beschäftigungsverhältnis war alsbald antisemitischen Attacken ausgesetzt, denen der Leiter des Instituts Robert Reininger vorerst durchaus erfolgreich entgegentrat. Zwar galt Reininger als großdeutsch und national gesinnt, war aber offensichtlich dem in diesen Kreisen weit verbreiteten Antisemitismus nicht zugeneigt und er drohte mit dem Austritt aus diversen Verbindlichkeiten (z. B. als Vorsitzender der Wahlkommission der „Deutschen Studentenschaft“). Nach der im Frühjahr 1937 von der erfahrenen Bibliothekarin durchgeführten Übersiedlung und Neuaufstellung der Bibliothek in neuen Räumlichkeiten wurde die Weiterbestellung seitens des Unterrichtsministeriums nicht mehr genehmigt. 1939 Mitarbeit in der von Theodor Heller geleiteten „Erziehungsanstalt für geistig abnorme und nervöse Kinder“ in Wien-Grinzing. Ende 1940 Verlust der Wohnung. Danach gemeinsam mit Schwester Rosa Unterkunft bei der Schriftstellerin Thekla Merwin und deren Tochter Magda. Ab dem 18. August 1942 sind die vier Frauen in einer Sammelwohnung (Wien 1, Marc Aurel Straße 5) gemeldet. Nur Amalia Rosenblüth gelingt es, den Nationalsozialismus als „U-Boot“ unter dem Namen „Margarete Dengler“ zu überleben (nachweisbar ist ein Anmeldezettel in Wertheim, einer Stadt im Nordosten des Bundeslandes Baden-Württemberg). Magda und Thekla Merwin sowie Rosa Rosenblüth werden am 24. September 1942 mit dem 11. Transport vom Wiener Aspangbahnhof nach Theresienstadt und schließlich im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 1947 emigriert Amalia Rosenblüth in die USA, wo sie u. a. als Mitarbeiterin in René A. Spitz‘ Hauptwerk „Vom Säugling zum Kleinkind. Naturgeschichte der Mutter-Kind-Beziehungen im ersten Lebensjahr“ genannt wird. 1948/49 Instructor of Psychology/Philosophy sowie Bibliothekarin am Idaho State College, 1955 Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft. Zuletzt Bibliothekarin an der University of Washington, Seattle.
Werke
Über das sogenannte disjunktive Urteil in der neueren Logik. Diss. Univ. Wien 1916.
Literatur / Quellen
Literatur
Exenberger, Herbert (Hg.): Als stünd‘ die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen. Wien 2000. http://www.doew.at/thema/thema_alt/holocaust/jellinek/jellinek.html
Franz, Margit: German-Speaking Medical Exile to British India. In: Konrad, Helmut/Benedik, Stefan (Hg.): Mapping Contemporary History II. Exemplary fields of research in 25 years of Contemporary History Studies at Graz University. Exemplarische Forschungsfelder aus 25 Jahren Zeitgeschichte an der Universität Graz. Wien u. a. 2010. S. 61–86.
Institut Theresienstädter Initiative / Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Theresienstädter Gedenkbuch. Österreichische Jüdinnen und Juden in Theresienstadt 1942–1945. Prag 2005.
Korotin, Ilse: Amalia Rosenblüth. In: Gelehrte Frauen. Wien 1996. S. 23–25.
Korotin, Ilse: Amalia Rosenblüth. In: Keintzel, Brigitta/Korotin, Ilse (Hg.): Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken. Wien 2002, S. 626-627.
Korotin, Ilse: „[…] vorbehaltlich eines jederzeit zulässigen Widerrufes genehmigt.“ Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Wissenschafterinnen und Bibliothekarinnen. In: Korotin, Ilse (Hg.): Österreichische Bibliothekarinnen auf der Flucht. Verfolgt, verdrängt, vergessen? (= biografiA. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung Band 4). Wien 2007, S. 103–126.
Nawratil, Karl: Robert Reininger. Leben − Wirken − Persönlichkeit. Wien 1969.
Verzeichnis über die seit dem Jahre 1872 an der philosophischen Fakultät der Universität Wien eingereichten und approbierten Dissertationen. Bd. 1. Hg. v. Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität in Wien 1935.
Quellen
Universitätsarchiv Wien: Rigorosenprotokoll, Personalakt. Österreichisches Staatsrachiv: Akten der Vermögensverkehrsstelle, Archiv der ETH Zürich, Stadtarchiv Wertheim.
Neuerscheinung:
Korotin, Ilse: Amalia M. Rosenblüth-Dengler (1892-1979). Philosophin und Bibliothekarin. Biografische Spuren eines Frauenlebens zwischen Aufbruch und Resignation. (= biografiA. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung Bd. 27). Praesens Verlag, Wien Wien 2021.
Rezension von Manfred Komorowski:
http://informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=10943