Mendrochowicz, Severa Wjera
*4.1.1891 Lemberg, Galizien (Lwiw, Ukraine), † vor dem 10.7.1942 Pressbaum, NÖ
Herkunft, Verwandtschaften: Der Vater, Ingenieur der österreichischen Staatsbahnen Leo Mendrochowicz, starb schon 1898. Die Vormundschaft hatte die Mutter Renate Romanczuk, geb. Blau aus Brünn. Sie wohnten ab 1905 in Wien im 7. Bezirk in der Burggasse 100a. In der Nationale der Universität Wien für das Wintersemester 1911/12 ist der Stiefvater, Dr. Julian Romanczuk, k.k Rats-Sekretär beim Obersten Gerichtshof Wien, angegeben.
Ausbildungen: Mendrochowicz besuchte in Lemberg 5 Klassen Volksschule, ab 1902 das Gymnasium. Ab der 5. Klasse war sie in Wien, besuchte das Mädchengymnasium des Vereines für erweiterte Frauenbildung in Wien I, Hegelgasse 19, legte dort am 5. Juli 1910 die Reifeprüfung mit Auszeichnung ab und inskribierte Geschichte und Geographie an der Universität Wien. 1915 Abschluss mit der Dissertation „Beiträge zur Geschichte und Beurteilung des Templerprozesses“. Am 22. Jänner 1916 promovierte sie mit Auszeichnung.
Laufbahn: Am 16. März 1916 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin ohne Entgelt in den Bibliotheksdienst des Ministeriums des Inneren eingetreten; kurz danach der niederösterreichischen Statthalterei zugeteilt. Am 11 Juli 1918 zur Bibliothekspraxis zugelassen und in das Ministerium des Inneren rückversetzt.
Zur Zulassung zur Bibliothekspraxis musste eine für den Verwaltungsdienst vorgeschriebene Prüfung abgelegt werden, die am Institut für Österreichische Geschichtsforschung stattfand. Mendrochowicz war nach Melitta Winkler und Anna von Netoliczka-Baldenhofen aus Graz (1915) erst die dritte Frau, die sich um Zulassung zur Ergänzungsprüfung bemühte.
Vom Institutsdirektor Ottenthal wurde Mendrochowicze zunächst abgewiesen, weil ihre dauerhafte Zulassung zum Archivdienst noch nicht erfolgt war und sie – zumindest nach Meinung von Ottentahl – die Kriterien somit nicht erfüllte. Mendrochowicz erhob in einem Schreiben an das Ministerium für Kultus und Unterricht gegen die Ablehnung Einspruch. Doch Ottenthaler war weiterhin nicht bereit, Mendrochowicz zur Prüfung zu akzeptieren, wobei festzuhalten ist, dass Ottenthaler prinzipiell gegen die Zulasssung von Frauen zur Prüfung (und in weiterer Folge zur Arbeit im Archivdienst) war. Erst eine Weisung des Ministers für Kultus und Unterreicht ermöglichte es Mendrochowicz, diese Prüfung abzulegen, und konnte so im Staatsdienst bleiben.
Mit Beschluss des Kabinettsrates vom 23. November 1918 wurde Severa Mendrochowicz – als Bibliothekspraktikantin – in den Österreichischen Staatsdienst übernommen. Mit Erlass des Staatsamtes des Inneren, 18 Juni 1919, Zl. 14905 wurde sie zum Staats-Bibliotheks-Konzipisten II. Klasse, mit Erlass des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht vom 28. Dezember 1920 (Zl. 102.965-1920) zum Staats-Bibliotheks-Konzipisten I. Klasse ernannt. 1923 wurde ihr der Titel Staatsbibliothekar verliehen (Entschluss des Bundespräsidenten vom 24.5.1923, Zl. 30.230). 1925 wird Dr. Severa Mendrochowicz zur Stellvertreterin des Vorstands der Administrativen Bibliothek ernannt. Mit 1. Jänner 1937 Oberstaatsbibliothekar (Entschluss des Bundespräsidenten vom 31.12.1936, Zl. 266-Pr.).
Mendrochowicz wurde mit 17. März 1938 auf Grund ihrer jüdischen Abstammung bis auf weiteres beurlaubt. Die Nürnberger Rassegesetze, in Deutschland 1935 eingeführt, traten am 20. Mai 1938 in der nun so genannten Ostmark in Kraft, doch schon kurz nach dem „Anschluss“ schieden Juden aus der Verwaltung aus, da sie den Diensteid der Beamten nicht leisten durften. Zwar gab es seitens der Bibliotheksleitung Überlegungen, Mendrochowicz im Hinblick auf die baldige, nämlich für Mai 1939 erwartete, Auflösung der Administrativen Bibliothek als selbständiger Anstalt im Dienst zu belassen und somit die Einstellung und Schulung eines neuen Beamten zu ersparen, bzw. das Funktionieren der Bibliothek nicht zu gefährden. Doch Mendrochowicz wurde mit 29. Oktober 1938 auf Grund von §3 der Verordnung zur Neuordnung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt.
Unterlagen zum Todesdatum widersprechen einander. Laut Auskunft Standesamt Pressbaum wurde Dr. Severa Mendrochowicz am 10.7.1942 im Waldgebiet der Gemeinde Pressbaum tot aufgefunden.
Literatur / Quellen
Quellen
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Unterricht, Personalakt; Archiv der Universität Wien, Nationale, Rigorosenakt; Jahresbericht des Vereines für erweiterte Frauenbildung in Wien, XXII Vereinsjahr 15. Juli 1909 – 15. Juli 1910.
Literatur
Feigl, Helmuth: Das Archiv für Niederösterreich und seine Archivare 1893 – 1940. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Bd. 28/1975. Festschrift Walter Grondinger. Hg. v. d. Generaldirektion. Wien 1975. S. 361–377, 372.
Fellner, Fritz: Geschichtsschreibung und nationale Identität. Probleme und Leistungen der österreichischen Geschichtswissenschaft. Wien 2002, S. 92–128, v. a. 103.
Fleissner-Rösler, Katharina: „Im strengen Archivdienste“ – Lebenswelten österreichischer Archivarinnen 1910 bis 1960. Dissertation Wien 2007.
Fleissner-Rösler, Katharina: Die Archivarinnen und das Institut für Österreichische Geschichtsforschung: In: MIÖG Bd.117. Innsbruck 2009. S. 358–378, v. .a. 362–364.
Ternyak, Heidemarie: Die administrative Bibliothek und österreichische Rechtsdokumentation im Bundeskanzleramt. Ein Überblick über ihre Entwicklung und Aktivitäten seit 1849. Hausarbeit im Rahmen der Grundausbildung für die Verwendungsgruppe A – Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationsdienst, Wien 1989.