Mannlicher Edith
* 22.6.1908, Krems an der Donau, NÖ † 4.12.2008, Oberalm, Sbg.
Herkunft, Verwandtschaften: Edith Mannlicher entstammte einer großbürgerlichen Familie, die in Böhmen bis 1525 zurückzuverfolgen ist und aus der überwiegend Beamte und Militärangehörige im Dienste der österreichischen Monarchie hervorgingen. Ferdinand Ritter von Mannlicher (1848–1904), der Erfinder des Mannlicher-Gewehres, war Edith Mannlichers Urgroßonkel; ihr Vater, der namhafte Jurist Dr. Egbert Mannlicher (1882–1973), war maßgeblich an der Ausarbeitung der Verwaltungsverfahrensgesetze (1925) sowie gemeinsam mit Hans Kelsen an der Ausarbeitung (1920) und den Novellierungen (1925 und 1929) der Österreichischen Bundesverfassung beteiligt und wurde 1930 als Senatspräsident an den Verwaltungsgerichtshof berufen, 1934 jedoch seiner großdeutsch-nationalen Gesinnung wegen vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Von den Nationalsozialisten wurde er 1938 rehabilitiert und in leitende Positionen berufen. Nach seiner Amtsenthebung 1945, seiner Internierung (1946–1947) und der Einstellung der Voruntersuchung 1948 war er bis 1971 als Rechtsanwalt in Salzburg tätig.
Großbürgerlichem Milieu entstammte auch ihre Mutter Hermine Mannlicher, geb. von Vallner. Edith Mannlicher und ihre jüngere Schwester Trude wuchsen als „höhere Töchter“ behütet und unbeschwert auf.
LebenspartnerInnen, Kinder: Edith Mannlicher schloss in den Nachkriegsjahren eine Partnerschaft, blieb aber unverheiratet und kinderlos.
Ausbildungen: Edith Mannlicher besuchte in Wien die fünfklassige Volksschule, anschließend zwei Jahre die Bürgerschule in Döbling und wurde nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung in die dritte Klasse des Wiedner Mädchen-Reformgymnasiums des Christlichen Vereins zur Förderung der Frauenbildung aufgenommen, wo sie am 30.6.1927 die Reifeprüfung mit Auszeichnung ablegte. Dann absolvierte sie – ebenso wie ihre Schwester – ein Studium an der Universität Wien, und zwar in den Fächern Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte, und promovierte am 19.5.1933 zum Dr. phil.
Vom 1.10.1933 bis 30.9.1934 war sie zur praktischen Ausbildung für den wissenschaftlichen Bibliotheksdienst an der Bibliothek im Kriegsarchiv tätig, besuchte anschließend vom 1.10.1934 bis 30.4.1935 den Ausbildungskurs für Anwärter des wissenschaftlichen Dienstes an der Österreichischen Nationalbibliothek und legte am 17.,18. und 25.6.1935 die Prüfung für den Höheren Bibliotheksdienst mit „sehr gutem Erfolg“ ab.
Laufbahn: Vom 1.9.1935 bis 31.12.1936 war sie als freiwillige Hilfskraft in der Porträtsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek beschäftigt und wurde mit 1.1.1937 am Haus-, Hof- und Staatsarchiv als Aspirant des Verwaltungsdienstes zunächst auf eine Stelle des mittleren Dienstes (MaturantInnen) aufgenommen. Am 2.8.1939 wurde sie in den Höheren Dienst (AkademiikrInnen) übernommen. Davor wurde eine ausführliche politische Beurteilung über sie angefordert, die bemerkenswerterweise widersprüchlich ausfiel: während die Gauleitung − Amt für Beamte mitteilte, Edith Mannlicher stamme aus einer national eingestellten Familie und habe ihre nationalsozialistische Gesinnung stets offen bekannt, schrieb der S.D.-Führer des SS-Oberabschnittes Donau: „Dr. Edith Mannlicher war betont christlich eingestellt. In der Familie soll Gesandter von Papen sehr häufig verkehrt haben. Die Aufnahme in die NSDAP wurde von der zuständigen Ortsgruppe abgelehnt. Auch charakterlich wird Mannlicher ungünstig beurteilt.“ Diese Beurteilung ging auf die Stellungnahme des Blockleiters in der Döblinger Hauptstraße zurück, in der es u. a. hieß: „[…] Ihre sozialistische Haltung ist mangelhaft. Es berührt mich überhaupt merkwürdig, wieso Dr. Edith Mannlicher überhaupt in Stellung ist, bei derartig günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen, die ja bei einem Senatspräsidenten des O.G.H. als notorisch angenommen werden müssen. Bei Mannlicher verkehrt nachweisbar Franz von Papen […]. Familie lebt außerordentlich abgeschlossen, das wäre aber nicht mit zurückgezogen zu verwechseln. […] Es besteht sowohl in Bezug auf die politische als auch moralische Eignung keine Veranlassung die umseitig genannte (sic) in irgendeiner gehobenen Stellung im Staatsdienst zu belassen“. Ein Beispiel missgünstig gehässiger Bespitzelung. In diesem Fall freilich wurde vom Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich die Gauleitung Wien um rasche Klärung ersucht und diese teilte umgehend mit, die neuerlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass Dr. Edith Mannlicher wohl im religiösen Sinn erzogen, doch als verlässlich national eingestellt galt. Sie sei von der Ortsgruppe nicht befürwortet worden, weil sie keine besonderen Verdienste für die Bewegung nachweisen könne. In persönlicher und moralischer Hinsicht könne sie als absolut einwandfrei bezeichnet werden. Anschließend wurde auf ihren Vater eingegangen, der gegenwärtig beim Reichsministerium in Berlin tätig sei.
Mit 27.9.1939 wurde Edith Mannlicher zum Bibliotheksassessor ernannt. Nach neuerlicher Einholung einer politischen Beurteilung, die diesmal von der Ortsgruppe vorbehaltslos befürwortet wurde, erfolgte mit 27.12.1944 ihre Ernennung zur Bibliotheksrätin (hier findet sich die weibliche Form des Titels!).
Inzwischen war sie über ihr Ansuchen mit 1.6.1940 in die NSDAP aufgenommen worden (Mitgliedsnummer: 7.684.118). Was bewog sie zu diesem Schritt? Ihre Nichte nannte gesellschaftliche Gründe und vermutete auch berufliche Rücksichten. Für die Richtigkeit dieser Einschätzung sprechen die oben erwähnten politischen Stellungnahmen und die warme schriftliche Fürsprache ihrer BerufskollegInnen nach dem Krieg, die ihr größte Hilfsbereitschaft für alle ohne Beachtung der politischen Einstellung bescheinigten, sowie ihr weiteres Verhalten in den folgenden Jahren.
Ihre Mutter starb 1941, viele ihrer Freunde fielen im Krieg. Sie selbst war im Luftschutz tätig. 1945 flüchtete sie vor dem Einmarsch der Russen in Wien mit ihrem Vater nach Großgmain bei Salzburg (ihre Schwester hatte 1938 geheiratet und war nach Erlangen gezogen). Als sie im Jänner 1946 nach Wien zurückkehrte, fand sie ihre Wohnung ausgebombt und geplündert vor. Mit 4.7.1947 wurde sie wegen ihrer NSDAP-Mitgliedschaft aus dem Staatsdienst entlassen. Während des laufenden Verfahrens vor der Sonderkommission arbeitete sie bis September 1947 als unbezahlte wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Wien. Ihrem Gesuch um Wiedereinstellung und der Berufung durch den Rechtsanwalt Dr. Emmerich Hunna wurde nicht stattgegeben.
Sie fand eine Anstellung im Buch- und Kunstverlag Wolfrum, wo sie bald zur Sortimentsleiterin aufstieg. Dort lernte sie ihren Partner Hugo kennen, mit dem sie eine innige Beziehung verband; er starb jedoch bereits in den Sechzigerjahren.
Mit 1.6.1959 trat sie wieder in den Bundesdienst, und zwar an der Universitätsbibliothek Wien, wo sie Fachreferentin für Kunst- und Theaterwissenschaft, Volks- und Völkerkunde und später auch Leiterin der Sachkatalogisierung war. Mit 1.1.1971 wurde sie zum Vizedirektor (sic!) der Bibliothek ernannt; unter den Bediensteten der Universitätsbibliotheken und der Österreichischen Nationalbibliothek war sie die erste Frau, die diese Funktion erhielt, dank der sie mit 1.1.1972 auch zum Wirklichen Hofrat ernannt wurde. Neben dem Beruf betreute sie liebevoll ihren Vater und unternahm zahlreiche Reisen. Mit 31.12.1973 trat sie in den dauernden Ruhestand.
Auf Einladung von Univ.-Prof. Dr. Ludwig Jedlicka arbeitete sie noch zwei Jahre ehrenamtlich an der Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, wo sie von ihren Kollegen ebenso wie vorher an der Universitätsbibliothek Wien wegen ihres freundlichen und fröhlichen Wesens, ihrer Einsatz- und Hilfsbereitschaft sowie ihrer Lebensklugheit geschätzt wurde. Ihren Hauptwohnsitz verlegte sie jedoch bereits Anfang 1974 in die Seniorenresidenz Kahlsperg in Oberalm bei Hallein, wo schon ihr Vater gewohnt hatte. Sie verwaltete dort die hauseigene Bibliothek und pflegte als stets kontaktfreudiger Mensch weiterhin ihre verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen, bis sie sich im hohen Alter aus gesundheitlichen Gründen immer mehr zurückzog.
Literatur / Quellen
Quellen
Gespräche mit Edith Mannlicher und mit BerufskollegInnen; schriftliche Mitteilungen ihrer Nichte Renate Bedall; Akten im ÖStA (Standesverzeichnis u. a. Personalakten aus dem BKA und dem BMU sowie AdR, Gauakt 02125 Edith Mannlicher).
Literatur
Rennhofer, Friedrich: Personalnachrichten UB Wien. In: Biblos 23. Wien 1974.
Stumpf-Fischer, Edith: Frauen im Bibliotheksdienst der Universität Wien. In: Artibus atque modis. Festschrift z. 60. Geb. v. Ilse Dosoudil. Wien 2001, S. 203.
Stumpf-Fischer, Edith: Edith Mannlicher 1908–2008. In: Mitteilungen der VÖB 62/1 (2009). S. 75–77.
Stumpf-Fischer, Edith: Mannlicher, Bibliothkarin. In: Korotin, Ilse (Hg.): biografiA. Lexikon österreichischer frauen. Bd. 2. Wien 2016, S. 2095–2097.
Werke
Gustav Freytag − Wilh. Heinr. Riehl. Ein Vergleich. Diss. Univ. Wien, 1933.