Kreisky, Eva
Geb. 8.9.1944, Wien
Gest. 14.8.2024
Politikwissenschafterin
Geb. am 8.9.1944 in Wien. 1963 bis 1964 Studium der Mathematik an der TU Wien, 1964 bis 1971 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien; Promotion zur Dr.iur. 1971; 1970 bis 1972 Scholarin am Wiener Institut für Höhere Studien (IHS), Abteilung Politikwissenschaft; 1972 bis 1978 Assistentin in der Abteilung Politikwissenschaft des IHS; 1979 bis 1989 Leiterin der Abteilung Politikwissenschaft des IHS; Habilitation für Politikwissenschaft an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien im Jahr 1986; 1989 bis 1993 Professorin für Politikwissenschaft unter Berücksichtigung der Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich Politikwissenschaft/Otto-Suhr-Institut der Freien Universität (FU) Berlin; 1993 bis 1995 Stiftungsprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien; 1995 bis 2012 ordentliche Universitäts-Professorin für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien; Gastprofessuren in Klagenfurt und Zürich.
E. Z. war bereits als Schülerin politisch interessiert und aktiv: In einem Aufsatz aus dem Jahr 1986 schrieb sie rückblickend, dass ihre „Politisierung“ „als einsamer persönlicher Kampf“ verlief, in dem sie zunächst, als junge Frau nur „selten Abstützung bekam“. Gegen das Unverständnis des familiären Umfeldes, aber auch der Freundinnen schloss sie sich 1959/60 dem „Verband sozialistischer Mittelschüler“ (VSM) an – und machte dort ihre ersten Erfahrungen als „Fremde“ – nämlich als Mädchen und Frau in einem Männerumfeld. Die Zeit bis zur Studentenbewegung 1968 war eine Durststrecke – wurde doch Frauen auch in diesem Umfeld vornehmlich die Rolle als Mutter bzw. Gefährtin von Männern zugedacht. Erst die neue Frauenbewegung bedeutete eine Zäsur in der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die 1960er Jahre, auch die ersten Studienjahre blieben prägend für E. Z.s politisches, wissenschaftliches und wissenschaftspolitisches Engagement wie auch für ihr Privatleben. Im Jahr 1971 heiratete sie Peter Kreisky, den Sohn des damaligen Bundeskanzlers. Im Jahr 1978 wurde der gemeinsame Sohn Jan geboren.
Die politische Sozialisation in einer „männlich bestimmten politisch-harten Organisationswelt“ und die Erfahrung, dass sich Männer in diesem Umfeld stets als die „besseren“ Theoretiker empfanden, bildeten den Ansporn für ein politikwissenschaftliches Aufbaustudium am Wiener IHS. E. K.s politisches Engagement in der österreichischen autonomen Frauenbewegung, beispielsweise in der Frauensolidaritätsbewegung mit Lateinamerika führten sie gleichsam notwendig zu ihren beiden zentralen wissenschaftlichen Themenfeldern, der politikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung und der politischen Demokratie- und Staatstheorie.
Das IHS bot ihr ein wissenschaftliches Umfeld, das offen war für politik- und sozialwissenschaftliche Innovation, war doch die Politikwissenschaft als Fach an österreichischen Universitäten erst im Jahr 1971 etabliert worden, ganz maßgeblich unter Beteiligung einer am IHS politikwissenschaftlich ausgebildeten Gruppe junger Männer. Wenn auch die Jahre am IHS durch Prekarität, also durch immer nur befristete Arbeitsverträge geprägt waren, so bot sich dennoch die Chance, diese Jahre für die Forschung an ihrer Habilitation zu nutzen. Mit ihrer Studie über Frauen in der österreichischen Ministerialbürokratie („Bürokratie und Politik. Beiträge zur Verwaltungskultur in Österreich“), die den argumentativen Grundstein für das Österreichische Gleichbehandlungsgesetz für den öffentlichen Dienst legte, begann für E. K. die wissenschaftliche geschlechterkritische Auseinandersetzung mit einer Zentralinstitution der Politikwissenschaft, dem Staat.
E. K. wurde mit ihren staatstheoretischen Überlegungen im Anschluss an ihre empirische Bürokratiestudie zur Pionierin einer genuin politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum. Die von ihr wissenschaftlich-historisch aufgearbeitete Figur des „Staat als Männerbund“ wurde in der deutschsprachigen feministischen Politikwissenschaft seit den 1990er Jahren zu einer zentralen Argumentationsfigur. In einer genauen historischen Rekonstruktion der Männerbundliteratur – einem deutschsprachigen Phänomen des späten 19. und 20. Jahrhunderts – machte E. K. den Begriff des Männerbundes zu einem analytisch-politikwissenschaftlichen Begriff. Damit vollzog sie auch einen Wandel von der Frauen- zur Geschlechterforschung, denn die historische Institutionenarchäologie war mit einer methodischen Inversion verknüpft: Nicht die Frauen bzw. deren Unterrepräsentation als das „Problem“ demokratischer Institutionen zu begreifen, sondern vielmehr die Männer – oder besser „Männlichkeit als Standardform des Politischen“ zu kritisieren und zu problematisieren. Dies bildet bis heute eine Provokation für die Politik wie auch die Politikwissenschaft und führte zu einer Randposition auch innerhalb ihres Faches der Politikwissenschaft, die sich bis heute einer „Vergeschlechtlichung“ verweigert. „Es war nicht immer lustig, draußen zu stehen“, bekennt sie in einem Interview aus Anlass ihres 60. Geburtstages.
Allerdings wird die Beschreibung von E. K. lediglich als Außenseiterin ihrem wissenschaftlichen Werdegang nicht gerecht. Sie sah und sieht es als ihre Aufgabe, sich aktiv in die Debatten der politikwissenschaftlichen Disziplin einzumischen und sich mit den zentralen Begriffen, Konzepten und Theorien auseinanderzusetzen. Zudem hat sie schon früh, trotz fehlender beruflicher Absicherung, professionspolitische Verantwortung übernommen: Von 1982 bis 1983 war sie als erste Frau Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW).
Ihren ersten Ruf auf eine politikwissenschaftliche Professur erhielt E. K. im Jahr 1989 nicht in Österreich, sondern an der FU Berlin, wo es eine aktive Gruppe von feministischen Studierenden und akademischem Mittelbau gab. E. K. fand in ihren Berliner Jahren Anschluss an eine gerade entstehende deutsche feministische Politikwissenschaft, die sie mit ihrem Drang zur Theoretisierung und kritischen Begriffsarbeit inspirierte. Im Jahr 1994 wurde sie Mitherausgeberin der ersten politikwissenschaftlich-feministischen Buchreihe im deutschsprachigen Raum „Politik der Geschlechterverhältnisse“ im Campus Verlag.
1993 kehrte sie an die Universität Wien zurück, zunächst auf eine Stiftungsprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung, von der aus sie schließlich 1995 einen Ruf auf die ordentliche Professur für Politische Theorie erhielt. Sie war damit die erste Frau auf einer ordentlichen politikwissenschaftlichen Professur in Österreich. Die folgenden Jahre sind geprägt vom produktiven wissenschaftlichen Schaffen. Die Figur des politischen Männerbundes blieb die Kompassnadel ihrer gesellschafts- und politiktheoretisch angeleiteten Analysen – des Militärs, der Mafia, des Fußballs und neuerdings der Börsianer und Finanzspekulanten. Diese geschlechterkritischen Arbeiten führten sie schließlich zur intensiven Auseinandersetzung mit Demokratietheorie, doch die Sorge um Demokratie nicht zuletzt in Österreich war freilich schon immer der Ausgangspunkt ihres wissenschaftlichen Arbeitens. Dies schlug sich auch in der Mit-Herausgabe der Reihe „Politik und Demokratie“ im Peter-Lang-Verlag nieder.
Sowohl ihre jüngsten demokratietheoretischen Arbeiten wie auch ihre frühen Arbeiten zum Konzept des Männerbundes hatten nie allein einen nur thematisch-inhaltlichen Bezug, sie waren vielmehr stets theoretisch-konzeptuell und methodisch angelegt. In diesem Sinne ist E. K.s wissenschaftliches Werk auch das einer politischen Theoretikerin. In ihren jüngsten Arbeiten hat sie dies als „Theoriearbeit“ bezeichnet, der kritischen Arbeit an der politischen Theorie und mit der politischen Theorie. Auch in diesen Arbeiten spürt man den Drang nach „Entzauberung“ – E. K. will die Mythen der Männlichkeit in der Politikwissenschaft wie auch den Mythos einer abgehobenen politischen Theorie dekonstruieren und destruieren. Politische Theorie soll keine „Eiswüste“ sein, sondern ein lustvoller Bereich des Nachdenkens und Reflektierens.
Neben der Forschungstätigkeit war E. K.s Wiener Zeit auch von wissenschaftspolitischem und -organisatorischem Engagement gekennzeichnet. Als Institutsvorständin des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Wien von 1995 bis 2004, als Prodekanin der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät von 1996 bis 2004 und als Vizedekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften von 2004 bis zu ihrer Emeritierung 2012 trug sie ganz maßgeblich dazu bei, dass die quantitative Repräsentation von Frauen am Institut für Politikwissenschaft deutlich stieg – das Wiener Institut ist mit seinem hohen Frauenanteil an den Professuren außergewöhnlich im deutschsprachigen Raum. Sie war zudem maßgeblich an der Verankerung der sozial- und politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung an der Wiener Fakultät beteiligt, und ihr ist es zu verdanken, dass das Institut für Politikwissenschaft über Österreichs Grenzen hinaus einen Ruf als kritisches Institut aufbauen konnte. Seit 2007 ist sie Mitglied des Universitätsrats der Universität Innsbruck.
Ihre Tätigkeiten wurden schließlich durch zahlreiche Preise anerkannt: Im Jahr 1999 wurde ihr der Gabriele-Possanner-Staatspreis, im Jahr 2008 der Käthe-Leichter-Staatspreis und im Jahr 2012 der Margarethe-Lupac-Wissenschaftspreis des Parlaments zugesprochen.
Werke
Antifeministische und antidemokratische Tendenzen im Staatsdenken der Zwischenkriegszeit. Männerbundphantasien bei Stefan George, Thomas Mann und Max Weber. In: Krammer, St. / Löffler, M. / Weidinger, M. (Hg.): Staat in Unordnung? Geschlechterperspektiven auf Deutschland und Österreich zwischen den Weltkriegen, transcript, Bielefeld, 2011.
Gem. mit Löffler, M. / Spitaler, G. (Hg.): Theoriearbeit in der Politikwissenschaft. Einführung in den Umgang mit politischer Theorie, facultas UTB, Wien, 2011.
„Durch die Eiswüste der Abstraktion“? Aspekte der Theoriearbeit in der Politikforschung. In: Kreisky, E. / Löffler, M. / Spitaler, G. (Hg.): Theoriearbeit in der Politikwissenschaft. Einführung in den Umgang mit politischer Theorie, facultas, Wien, 2011.
Gem. mit Löffler, M.: Demokratietheorien – Theoretisierungen von Demokratie. In: Kreisky, E. / Löffler, M. / Spitaler, G. (Hg.): Theoriearbeit in der Politikwissenschaft. Einführung in den Umgang mit politischer Theorie, facultas, Wien, 2011.
Gem. mit Löffler, M.: Staatstheorie und Staatskritik. Zum kritischen Umgang mit großen Theorien. In: Kreisky, E. / Löffler, M. / Spitaler, G. (Hg.): Theoriearbeit in der Politikwissenschaft. Einführung in den Umgang mit politischer Theorie, facultas, Wien, 2011.
Gem. mit Löffler, M. / Zelger, S. (Hg.): Staatsfiktionen. Denkbilder moderner Staatlichkeit, facultas, Wien, 2011.
Staatenlenker und Staatsdiener. Männlichkeiten im Bild des Staates. In: Kreisky, E. / Löffler, M. / Zelger, S. (Hg.): Staatsfiktionen. Denkbilder moderner Staatlichkeit, facultas, Wien, 2011, S. 27-49.
Gem. mit Stachowitsch, S.: Jüdische Staatsperspektiven: Kosmopolitismus, Assimilationismus und Zionismus. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft ÖZP, 4/2010, S.435-449.
Gem. mit Löffler, M.: Demokratieentwicklung im Kontext gesellschaftlicher Paradigmen. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft ÖZP, 1/2010, 2010, S. 89-104.
Neoliberalismus, Entdemokratisierung und Geschlecht. Anmerkungen zu aktuellen Entwicklungen demokratischer Öffentlichkeit. In: Bisky, L. / Kriese, K. / Scheele, J. (Hg.): Medien – Macht – Demokratie. Neue Perspektiven. Texte 54 der RLS, 2009, S. 75-92.
Geschwächte Staaten, schwächelnde Männlichkeit und neue Kriege. In: Sützl, W. / Wallnöfer, D. (Hg.): Gewalt und Präzision. Krieg und Sicherheit in Zeiten des War on Terror. Turia & Kant, Wien, 2008, S. 137-163.
Fitte Wirtschaft und schlanker Staat: das neoliberale Regime über die Bäuche. In: Schmidt-Semisch, H. / Schorb, F. (Hg.): Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2007, S. 143-161.
Politikberatung zwischen Affirmation und Kritik. Eine Einleitung. In: Fröschl, E. / Kramer, H. / Kreisky, E. (Hg.): Politikberatung zwischen Affirmation und Kritik, Braumüller Verlag, Wien, 2007, S. 1-9.
Politikerberatung als neuer Beruf. Anzeichen neoliberaler Einbindung von Politikwissenschaft. In: Fröschl, E. / Kramer, H. / Kreisky, E. (Hg.): Politikberatung zwischen Affirmation und Kritik, Braumüller Verlag, Wien, 2007, S. 11-45.
Gem. mit König, Th.: Bedingungen kritischer Wissenschaft in Österreich. Vom zähen Weg der Etablierung der Sozialwissenschaften zur Wissensgesellschaft als Privatisierung von Bildung und Wissenschaft. In: Brüchert, O. / Wagner, A.(Hg.): Kritische Wissenschaft, Emanzipation und die Entwicklung der Hochschulen: Reproduktionsbedingungen und Perspektiven kritischer Theorie, Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Marburg, 2007, S. 115-131.
Gem. mit Spitaler, G. (Hg.): Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht. Frankfurt/M., Campus Verlag, 2006.
Fußball als männliche Weltsicht – Thesen aus Sicht der Geschlechterforschung, in: Kreisky, E. / Spitaler, G. (Hg.): Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht. Campus Verlag, Frankfurt/M., 2006, S. 21- 40.
Gem. mit Spitaler, G.: Wissenschaft, Fußball und Geschlecht. Geschlecht als fußballanalytische Kategorie. In: Context 2-3/2006, S. 4-7.
Ermattete Staatskörper und (re-)vitalisierte Körpermärkte. Vergeschlechtlichte Körperrituale im Neoliberalismus. In: Knoll, E.-M. / Sauer, B. (Hg.): Ritualisierungen von Geschlecht, Facultas Universitätsverlag, Wien, 2006, S. 223-242.
Gem. mit Sauer, B. (Hg.): Geschlechterverhältnisse im Kontext politischer Transformation. Sonderheft der Politischen Vierteljahresschrift, Westdeutscher Verlag, Opladen, 1997.
Gem. mit Sauer, B. (Hg.): Geschlecht und Eigensinn. Feministische Recherchen in der Politikwissenschaft. Böhlau Verlag, Köln, Wien, Weimar, 1998.
Gem. mit Sauer, B. (Hg.): Das geheime Glossar der Politikwissenschaft. Kritische Inspektion der Kategorien einer Disziplin. Campus Verlag, Frankfurt/M., New York, 1997.
Gem. mit Sauer, B. (Hg.): Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft. Eine Einführung. Campus Verlag, Frankfurt/M., New York, 1995.
Literatur / Quellen
Hamann, S. / Kreisky, E.: Der doppelte Blick. Eva Kreisky im Gespräch mit Sybille Hamann. In: Kramer, H. (Hg.): Demokratie und Kritik – 40 Jahre Politikwissenschaft in Österreich, Wien, 2004, S. 11-23.Kreisky, E.: Guten Tag, Frau Marx! Weibliche Argumente zum männlich-verkürzten Marxismus. In: Häupl, M. / Nedwed, E. / Pelinka, P. (Hg.): Gegen den Strom. Festschrift zum 70. Geburtstag von Josef Hindels. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien, 1986, S. 160-175.
Nachruf Eva Kreisky (univie.ac.at)