Kauer Hermine, geb. Tautz; Gegnerin des NS-Regimes

Geb. Wien, 12.11.1899

Gest. Wien, 15.5.1994

H. K. wird am 12. November 1899 in Wien als Tochter von Josef und Marie Tautz geboren. Ihr Vater ist Eisenbahnangestellter. Sie hat noch drei ältere Geschwister: Olga, verh. Besenböck (1894-1970), Maria, verh. Kattner und Richard Tautz. H. besucht die Volks- und Bürgerschule und anschließend einen Handelskurs mit Stenographie und Buchhaltung. Von 1917 bis 1922, dem Jahr ihrer Eheschließung mit Josef Kauer (geb. 10.11.1892), ist sie bei der Firma Siemens & Schuckert als Bürokraft tätig. Ihren Mann lernte sie wahrscheinlich in dieser Firma kennen, denn Josef Kauer ist dort Werkmeister. Sie wohnt im 21. Wiener Gemeindebezirk.

Sie ist ungefähr 15 Jahre alt, als sie von ihrem Bruder Richard Tautz erfährt, dass es „wahre Christen“ gibt, die sich lieber einsperren lassen, als eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber erst Ende der 1920iger Jahre, nachdem sie bereits fünf Kinder geboren hat, von denen nur Edith (geb. 29.1.1929) am Leben bleibt, beginnt sie sich – motiviert durch Gespräche mit ihren Geschwistern Olga und Richard – wieder mit der Lehre der Bibelforscher zu beschäftigen. Durch Richard Tautz, der selbst durch einen Angestellten in seinem Marburger Friseurgeschäft mit Zeugen Jehovas in Kontakt gekommen ist, wird die gesamte Familie, auch die Mutter, Zeugen Jehovas. Am 17. Oktober 1928 treten H. und ihr Mann aus der katholischen Kirche aus, was für H. nicht leicht ist, da sie zwei Jahre im Kloster erzogen worden ist. Am 30. August 1938 lassen sich H. und ihre Mutter taufen, obwohl das öffentliche Bekenntnis als Zeuge Jehovas bereits gefährlich geworden ist. Denn ab dem Jahre 1935 durften die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas auf Grund eines Verbots durch die Regierung Schuschnigg weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Rahmen abgehalten werden. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wird es für H. besonders schwierig – nicht nur, weil sie von Bekannten beschimpft und bespuckt wird.

Trotz allem beherbergen sie bzw. ihre betagte Mutter verschiedene ZeugInnen Jehovas aus Deutschland, Jugoslawien und der Tschechoslowakei, wie z. B. Narciso Riet (Deckname Mario, Antoni, Franzl), der später hingerichtet wird, in ihren Wohnungen im 21. Bezirk. H. K. hat auch Kontakt zu Vinko Platajs und Juliane Kellner aus der Südsteiermark, die sich als Kuriere an der Literaturverbreitung innerhalb Österreichs beteiligen.

Am 5. Juli 1943 schlägt die Gestapo zu. H. K. und ihre erst 14jährige Tochter Edith – sie absolviert gerade das letzte Hauptschuljahr und ist bereits seit sieben Jahren Ballettschülerin in der Wiener Staatsoper – werden verhaftet und einem Verhör unterzogen. Laut Gestapo-Protokoll hat Edith nie Religionsunterricht besucht und ist von ihren Eltern religiös erzogen worden. Die Gestapo stellt fest, dass sie „trotz ihres jugendlichen Alters von ihren Eltern derart im Sinne der Lehre der verbotenen Sekte der IBV beeinflusst ist, dass sie den heutigen Existenzkampf des Deutschen Volkes als ein großes Unrecht bezeichnet. Sie steht ebenfalls auf dem Standpunkt auf Grund des 5. Gebotes Gottes jede Arbeit, die für die Verteidigung des Reiches notwendig ist, abzulehnen. Sie wurde zur weltanschaulichen Schulung im ns. Sinne, an die Dienststelle der Jugendgerichtshilfe in Wien III, Rüdengasse Nr. 7, zur Unterbringung in einem ns. Heim, überstellt.“ (Abschlussbericht Gestapo Wien vom 26. Juli 1943).

H.s Mutter, Marie Tautz, stirbt am 10. Juli 1943 an den Folgen eines Schlaganfalls. H.s Ehemann Josef Kauer wird nicht verhaftet, da er plausibel machen kann kein Zeuge Jehovas zu sein und bereit ist, Militärdienst zu leisten.

Trotz dieser bedrückenden Umstände, bleibt H. bei den Verhören standhaft. Am 27. August 1943 wird sie von einem Sondergericht in Wien zu „nur“ acht Monaten Gefängnis wegen Betätigung für die IBV verurteilt, die sie unter Anrechnung der Untersuchungshaft in Wien verbüßt. Allerdings werden die Ermittlungen fortgesetzt. Am 22. Februar 1944 wird sie von der Gestapo ins Polizeigefängnis München-Stadelheim überstellt und trifft dort auf Vinko Platajs und Juliane Kellner. Während ihrer Haft erkennt H. K. bei den umfangreichen und mit Schlägen verbundenen Verhören auch Narciso Riet wieder, den bei ihr mehrmals auf Besuch gewesenen „Franzl“. Auch hier im Gefängnis fühlt sie sich durch seine Worte ermuntert.

Es kommt schließlich zu einer umfangreichen Anklage vor dem Volksgerichtshof. Am 29. August 1944 wird H. K. vom Volksgerichtshof in Berlin zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Hauptanklagepunkt besteht darin, dass sie Kontakte zu mehreren „Funktionären“ der Zeugen Jehovas, v. a. Narciso Riet und Johann Hörstgen (beide aus dem Gebiet Mühlheim/Ruhr), Vinko Platajs und Juliane Kellner (aus Leibnitz) gehabt habe und von diesen verbotene „wehrkraftzersetzende“ Bibelforscher-Literatur erhalten bzw. an sie weitergegeben habe: „Die IBV fordert ihre Anhänger auf, jeden Wehrdienst, ja darüber hinaus jede Dienstleistung für Kriegszwecke, wie den Luftschutzdienst und die Rüstungsarbeit zu verweigern. […] Die Einstellung der IBV zum nationalsozialistischen Reich und zum Wehrdienst war den Angeklagten auch bekannt. Durch ihre Hände sind eine ganze Anzahl von Schriften im Laufe der Zeit gegangen. […] Die Angeklagte Kauer ist allerdings wegen ihrer damaligen Tätigkeit für die IBV bereits durch Urteil des Sondergerichts in Wien vom 27.8.1943 mit acht Monaten Gefängnis bestraft. Die Verurteilung erfolgte aber nur wegen eines Teils ihrer Straftat, nämlich wegen ihrer Beziehungen zu Hörstgen und Riet, da sie den wirklichen Umfang ihrer Tat verschwiegen hat. […] Auf Wehrkraftzersetzung steht grundsätzlich die Todesstrafe, […] Auf Grund des persönlichen Eindrucks der beiden Angeklagten und ihres Verhaltens in der Hauptverhandlung ist der Senat zu der Überzeugung gekommen, daß es sich um Mitläuferinnen handelt, die aus religiösen Gründen zur IBV gekommen sind“ (Urteil H. K. und Juliane Kellner vom 29. August 1944). Im Gegenzug dazu werden Hörstgen, Riet und Platajs zum Tode verurteilt. H. K. wird in das Zuchthaus Waldheim überstellt.

Was H. K. in den zahlreichen Gefängnissen (laut eigenen Angaben in über 40 Gefängnissen und Lagern) alles mitmachte, deutet sie in ihrem Erinnerungsbericht nur an. So berichtet sie vom berühmt-berüchtigten Münchner Gestapomann Wilhelm Grimm. Er wollte sie dazu bringen, weitere ZeugInnen Jehovas zu verraten, indem er sie auch psychologisch unter Druck setzt und die Briefe ihres Mannes zurückhält. H. K. überlebt dank der Unterstützung von Glaubensschwestern und hilfsbereiten Menschen, denen sie in ihrer Haftzeit immer wieder begegnet, und wird am 7. Mai 1945 aus der Haft im Zuchthaus Waldheim entlassen.

H. K. zieht 1971 folgendes Resümee über ihre Haftzeit: „Wenn ich heute so zurückdenke, was wir durchgemacht haben. Die schrecklichen Zustände in den Gefängnissen, der Todesmarsch durch Deutschland verbunden mit Läusen, Tod, Eis und Grauen, und die Angst, während der Verfolgungszeit! Ich werde oft gefragt, wie man das alles durchhalten kann. Meine Antwort: nur mit der Kraft des Herrn. 2. Korinther 12:9.: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“

H. K. kehrt nach Wien zu ihrem Mann und ihrer Tochter zurück. Auch ihre Schwester Olga Besenböck, die von Juni 1940 zunächst im Zuchthaus Aichach und ab August 1942 bis Kriegsende wegen ihrer Betätigung als Zeugin Jehovas im KZ Ravensbrück inhaftiert war, überlebt und kehrt nach Wien zurück. H. K. wird Mitglied des Häftlingsverbandes. Ihre Tochter macht Karriere als Balletttänzerin. H. K. muss allerdings miterleben, dass ihre Tochter bereits 1984 stirbt.

Sie selbst stirbt 93jährig am 15. Mai 1994 als überzeugte Zeugin Jehovas. Rehabilitiert wird sie am 16. August 2005.

Qu.: DÖW 14257, 20000/K155, Jehovas Zeugen Österreich/Geschichtsarchiv: Erinnerungsbericht von Hermine Kauer aus dem Jahr 1971, WStLa SHV 5604/1947,

L.: Lichtenegger 1984, Garbe 1993

 

Heidi Gsell