Heine Susanne
Evangelische Theologin und Religionspädagogin
Was die wissenschaftliche Tätigkeit von S. H. auszeichnet, ist ihre multiperspektivische Zusammenschau der Disziplinen: eine „praktische Theologie“, die sich nicht als Theologie der konkreten praktischen Handlungsanweisungen missversteht, sondern ihre hermeneutische Aufgabe darin sieht, den Perspektivenreichtum der Universitätstheologie zu verarbeiten und einer säkularen, großteils nicht-kirchlichen Welt plausibel zu machen. Dazu braucht es den Reichtum an wissenschaftlichen Zugangsweisen, deren Vielfalt den Lebensnerv Praktischer Theologie ausmachen: neben den theologischen Disziplinen sind das bei S. H. Hermeneutik, Philosophie, Rhetorik, personenzentrierte Gesprächsführung, Psychoanalyse, Religionspädagogik, feministische Theologie, Gender Studies, Religionspsychologie, interreligiöses Gespräch mit Judentum und Islam u.v.m. Diese „Wanderungen zwischen geistigen Welten“, beschreibt S. H. als dasjenige, das sie „sukzessive zur Praktischen Theologie geführt“ hat (Kritische Aneignung des Widerständigen, 2001, S. 141). Die „Mobilität auf dem Weg durch unterschiedliche Disziplinen und Kulturkreise, durch die Welt der Begriffe und die Orte praktischen Handelns gehört […] nicht nur zu [ihrer] Biografie. Sie gehört auch zu einer Praktischen Theologie, die sich in der zunehmenden Differenzierung und Pluralisierung der Aufklärungskultur bewähren muss. Dazu ist diese Disziplin in Zukunft noch mehr auf wissenschaftstheoretische Reflexionen ebenso angewiesen wie auf die Zusammenschau ihrer sich erweiternden Arbeitsfelder, um dem zu dienen, was je länger je mehr gefragt ist: der Suche nach Orientierung und Gewissheit in einer Welt mit schwankendem Boden. Theorien, auch Theologische, sind Versuche durch Denken eine gewisse Klarheit im Leben zu schaffen. Deshalb findet die Theologie ihren Abschluss in einer Rückkehr zur Praxis, zum Alltagsleben.“ (Kritische Aneignung des Widerständigen, 2001, S. 141)
S. H., geboren am 17. Jänner 1942 in Prag, studierte evangelische Theologie und Philosophie in Wien und Bonn. Einer der prägenden Momente ihres wissenschaftlichen Denkens war ihr Philosophiestudium bei Erich Heintel in Wien. Nach Abschluss des Magisteriums 1966 absolvierte sie die kirchliche Ausbildung, die allerdings – Ironie der Geschichte – in ihrer Ordination ins geistliche Amt nicht ihren Höhepunkt, sondern ihren Schlusspunkt fand: Gemäß dem damals gültigen „Zölibatsparagraphen für Frauen“ war der Tag ihrer Ordination ins geistliche Amt zugleich der Tag ihres Ausscheidens aus dem kirchlichen Dienst.
Ab 1968 war S. H. Assistentin am Institut für Neutestamtliche Wissenschaft an der evangelisch-theologischen Fakultät in Wien, promovierte 1973 mit einer hermeneutischen Arbeit über paulinische Theologie („Leibhafter Glaube“, erschienen 1976 bei Herder/Wien) und vollzog dann – über das Medium der fachdidaktischen Lehre – einen Schwenk in die Religionspädagogik. Wiederum war es die Tätigkeit der Vermittlung, die ihr Interesse weckte, und zwar einerseits praktisch (S. H. ist von Anfang an in Kirche, Medien und Schulunterricht praktisch tätig), andererseits theoretisch in ihrer Habilitation im Fach Religionspädagogik („Biblische Fachdidaktik – Neues Testament“, erschienen 1976 bei Herder/Wien). 1984 übernahm S. H. das neuerrichtete „Institut für Religionspädagigik“ an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Mit ihrem Wechsel an die Universität Zürich, wo sie 1990 Ordinaria für Praktische Theologie und Religionspsychologie an der Theologischen Fakultät wurde, vollzog S. H. eine weitere Schwerpunktverlagerung zur Religionspsychologie. 1996 kehrte S. H. nach Wien zurück und übernahm das „Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie“, das sie bis zu ihrer Emeritierung 2010 leitete. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Religionspsychologie (inklusive der Koordination des Sokrates-Netzwerkes Religionspsychologie bis zu dessen offizieller Einstellung in Wien 2013) und das theologisch Gespräch mit dem Islam.
Werke
Gem. mit Lohlker, R. / Potz, R.: Muslime in Österreich. Geschichte – Lebenswelt – Religion. Grundlagen für den Dialog, Tyrolia, Innsbruck, 2012.
Evangelische Christen und Muslime in Österreich. Eine Orientierungshilfe. Von der Generalsynode der Ev. Kirche A. und H.B. beschlossen am 26. Oktober 2011. In: Amtsblatt für die Evangelische Kirche in Österreich, 21. Dezember 2011, S. 173-239.
Aufklärung und Anbetung. Eine religionspsychologische Perspektive. In: Andreas Kubik (Hg.), Protestantismus – Aufklärung – Frömmigkeit. Historische, systematische und praktisch-theologische Zugänge, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2011, S. 207-219.
Kann Religion die Moral begründen? In: Kleinschwärzer- Meister, B. (Hg.): Religion und Moral. Grundsätzliches und Konkretes im Kontext von Globalisierung und gesellschaftlichem Wandel. Zentrum für
Ökumenische Forschung München, Bd. 5, Berlin: Lit, 2011, S. 27-38.
Religiöser Fundamentalismus. In: Begleitbuch zur Sendung „Die Profis“ (Rbb und Radio Eins/BRD), Rowohlt, Reinbek, 2011, S. 144-146.
Anders denken, anders handeln – Aspekte christlicher Zivilcourage. In: Quart-Dokumentation der Enquete im Parlament (2. November 2011), Sonderheft 2011.
9 Kommentare zu den sonntäglichen Predigttexten. In: Kleine Zeitung Graz, 2011.
Philosophien hinter der Psychologie. In: Klein, H.-D. / Langthaler, R. (Hg.): Transzendentale Konzepte in aktuellen Bezügen, Würzburg 2010, S. 21-36.
Die Kunst der Gestaltung. Zur Wiederentdeckung der Poiesis. In: Kerner, H. (Hg.): Aufbrüche. Gottesdienst im Wandel, Leipzig,Trier 2010, S. 111-127.
Sigmund Freud und die Religion. In: Engel, G. (Hg.): Aufklärung und Kritik 17/3, Themenschwerpunkt: Atheismus, Gesellschaft für kritische Philosophie, Nürnberg, 2010, S. 197-209.
Brüche – Scheitern – Neuanfang. Biblische Inspirationen. In: Krieger, W. / Sieberer, B. (Hg.): Beziehung leben zwischen Ideal und Wirklichkeit, Linz, 2010, S. 158-181.
Entstehung und Entwicklung von Gottesbildern. In: Wiener Jahrbuch für Theologie, Bd. 8, 2010, S. 109-121.
Gem. mit Pawlowsky, P.: Die christliche Matrix. Kösel, München, 2008.
Feigenblatt und Intellekt. Sigmund Freuds biblisches Menschenbild. In: Die Furche, 4. Mai 2006.
Liebe oder Krieg. Das Doppelgesicht der Religion. Picus, Wien, 2005.
Human Rights and Images of the Female. Historical Roots of a Dilemma. In: Halama, J. (Hg.): The Idea of Human Rights. Tradition and Presence, Prag, 2003, S. 85-97.
Feminismus im evangelisch- theologischen Kontext. In: Universität Wien / Moser, G. (Hg.): Quo vadis Universität? Perspektiven aus der Sicht der feministischen Theorie und Gender Studies, Innsbruck [u. a.] 2002, S. 111-118.
Religion und Natur. Über die Wiederkehr der verdrängten Ontologie in anderer Gestalt. In: Dethloff, K. / Nagl, L. / Wolfram, F. (Hg.): Religion, Moderne, Postmoderne. 12 Philosophisch-theologische Erkundungen, Schriften der Österreichischen Gesellschaft für Religionsphilosophie 3, Parerga, Berlin, 2002, S. 185-202.
Feministische Theologie, in: TRE, Bd. 33, Berlin, New York, 2001, S. 300-306.
Keine Angst vor den Ängsten. Zur Dynamik der Angst und deren Überwindung. In: Körtner, U. (Hg.): Angst. Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neunkirchen 2001, S. 87-101.
Frauenbilder – Menschenrechte. Theologische Beiträge zur feministischen Anthropologie. LVH, Hannover, 2000.
Feministische Theologie. In: TRE, Bd. 33, Berlin, New York, 2001, S. 300-306.
Die Dynamik der Angst. In: Bucher, A. / Donnenberg, R. / Seitz, R. (Hg.): Was kommt auf uns zu? Erziehen zwischen Sorge und Zuversicht, Wien, 2000, S. 63-77.
Über den Luxus der Bildung. In: Loccumer Pelikan, Heft 3, 2000, S. 115-120.
Indem er zur Hölle führt. Was Rechtfertigung heißen kann. In: Zeitzeichen, Heft 10, 2000, S. 46-49.
Gott – Mann – Frau. Feminismus im theologischen Kontext. In: Birkhan, I. et al. (Hg.): Innovationen 1, Standpunkte feministischer Forschung und Lehre, Materialien zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft, Bd. 9/1 (BM für Wissenschaft und Verkehr). Wien, 1999, S. 73-94.
Verlorenes Frauenparadies? In: Lutherische Monatshefte, Heft 8, 1994; englische Übersetzung in: Word and World/USA, 1995.
Feministische Theologie – Theologischer Feminismus. Über die Bedeutung des Austauschs der Adjektiva. In: Mann und Frau – Frau und Mann. Dokumentation des 5. Würzburger Symposions, Stuttgart, 1992, S. 171-186.
„Alter Adam – „Alte Eva“. Zum Problem des „Wesens des Menschen“ als Mann und Frau in Philosophie, Theologie und Feminismus. In: Greive, W. (Hg.): Loccumer Protokolle, 62, 1991, S. 85-113.
Dein Wesen ist eins und unteilbar, Weiblichkeit contra Emanzipation. In: Welt des Kindes, Heft 1, 1990, S. 12-18.
Wiederbelebung der Göttinnen? Zur systematischen Kritik einer feministischen Theologie. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1987.
Brauchen wir eine Göttin? In: Tutzinger Materialie 49, 1987, S. 48-53.
Frauen der frühen Christenheit. Zur historischen Kritik einer feministischen Theologie. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1986.
Leibhafter Glaube. Ein Beitrag zum Verständnis der theologischen Konzeption des Paulus. Herder, Wien, Freiburg, 1976 (Dissertation).