Fischer, Hannah
Psychologin
H. F. wurde als Tochter von Béla (1883 – 1957) und Luise Fischer, geb. Treu (1889 – 1954), geboren. Ihr Zwillingsbruder trägt den Namen Raphael Erwin. Mutter – aus dem Rheinland stammend – war Journalistin, Vater – aus Bratislava zugezogen – Spitalsrabbiner der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde. Beide Eltern mussten vor den Nationalsozialisten fliehen: der Vater verließ nach KZ-Haft 1940 Wien per Schiff und gelangte nach Internierung auf Mauritius erst nach Kriegsende nach Palästina, die Mutter ging mithilfe eines „Domestic Permit“ 1938 nach England.
H. F. blieb unverheiratet, adoptierte jedoch 1961 Franz Fischer, geb. 2. März 1960.
Nach der Volksschule Besuch des Chajes-Gymnasium in Wien. Im September 1938 – gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder – über Betreiben der Mutter nach England verschickt, wo beide Kinder zunächst in einem Kinderheim in Deal untergebracht wurden. Stipendium für die Badminton School in Bristol, Abschluss 1941. Anschließend „Trainee“ in den Hampstead Nurseries von Anna Freud, ab Ende 1943 „nursery assistent“ (Kindergärtnerin) in der „Austrian Day Nursery“ in London. Rückkehr nach Österreich September 1946, nach Ablegung der Befähigungsprüfung für Kindergärtnerinnen Studium der Pädagogik und Psychologie an die Universität Wien neben hauptberuflicher Tätigkeit als Kindergärtnerin. Abschluss 1952 (Dr.phil.) mit Dissertation über das ein- bis zweijährige Kind. 1964 Lehramtsprüfung für Lehrerbildungsanstalten (Mag.) Nebenberufliches Medizinstudium (nicht abgeschlossen).
Im Exil in England Kontakt zum „Austrian Centre“ und zur dortigen Jugendgruppe „Young Austria“. Politisierung zum Kommunismus. Nach Rückkehr Tätigkeit als Kindergärtnerin im Werkskindergarten Schwadorf, ab 1947 in Kindergärten der Stadt Wien. Nach Studienabschluss 1952 wegen ihrer politischen Ausrichtung erst ab 1957 Tätigkeit als Psychologin im Zentralkinderheim der Stadt Wien. 1968 Austritt aus den KPÖ, später Mitgliedschaft der SPÖ.
Ab 1967 Lehrtätigkeit an der Wiener Bildungsanstalt für KindergärtnerInnen, von 1984 bis 1990 (Pensionierung) deren Leiterin. Engagement für Ausbildungsprojekt für saharauische Frauen in den Flüchtlingslagern in Algerien (gemeinsam mit Volkshilfe und Polisario) zu Kindergärtnerinnen und später zu Lehrerinnen für Kindergartenpädagogik, das H. F. nach ihrer Pensionierung weiter betreute.
1975 Initiative zur Gründung des – psychoanalytisch orientierten – Anna Freud Kindergartens in Wien. Engagement als Zeitzeugin und in der Nachhilfe für Kinder mit Migrationshintergrund in Österreich.
H. F. wurde 1991 der Berufstitel „Hofrätin“ verliehen. 2003 erhielt sie die Otto Glöckel Medaille der Stadt Wien. 2011 wurde sie Ehrenmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung.
Werke
Zahlreiche Aufsätze und Artikel zum Thema Kinderpsychologie und Kindergartenpädagogik etc. in Erziehungsratgebern.
Einjährige und zweijährige Kinder im Tagesheim. Wien, 1972.
Leben nach der Flucht. Anna Freud – verfemt, vertrieben, wieder entdeckt. In: L’Homme. 15. Jg. Heft 2, 2004, S. 296-304.
Stella Klein-Löw (1904 – 1986) Pädagogin – Politikerin – Mensch. In: Wiesinger-Stock, S. (Hg.): Vom Weggehen. Wien, 2006, S. 158-167.
Der lange Weg vom Traum zur Wirklichkeit. Zur Entstehung des Anna Freud Kindergartens. In: Wiesinger-Stock, S. (Hg.): Vom Weggehen. Wien, 2006, S. 277-280.
Literatur / Quellen
Bollauf, T.: Dienstmädchen-Emigration. Die Flucht jüdischer Frauen aus Österreich und Deutschland nach England 1938/39. Wien, 2010.
Bollauf, T.: Kinder-Emigration: Anpassung an eine fremde Welt. Am Beispiel zweier Wiener Geschwisterpaare, ungedruckte Diplomarbeit, Universität Wien, 2003.
Kienzl, H. / Kirchner, S. (Hg.): Ein neuer Frühling wird in der Heimat blühen. Erinnerungen und Spurensuche. Wien, 2002, S. 117-123.
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Wiener Stadt- und Landesarchiv
Privatarchiv Dr. Hannah Fischer.