Victoria

Geb. 2. Jh. n. Chr.

Geograph. Lebensmittelpunkt: Wien-Umgebung / Klosterneuburg (römische Provinz Pannonien).

LebenspartnerInnen, Kinder: Eltern: Ulpius Avitus und dessen Ehefrau Victorina. Schwestern: Avita und Superia. Bruder: Emeritus.

V. war eines von mindestens vier Kindern des Ulpius Avitus, eines Soldaten der Cohors I Aelia Sagittariorum, einer Spezialtruppe gebildet aus Bogenschützen, die unter Hadrian aufgestellt wurde und seit der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. in Klosterneuburg ihr Lager hatte. Er starb nach Beendigung seines aktiven Dienstes im Alter von 75 Jahren in Klosterneuburg, wo sich seine Familie wohl in unmittelbarer Nähe des Lagers ansiedelte. Seine peregrine Ehefrau Victorina, die er erst nach seiner Dienstzeit offiziell heiraten durfte, verstarb im Alter von 40 Jahren. Neben ihren Eltern überlebte V. auch mindestens drei ihrer Geschwister, die noch im Kindesalter verstarben und die sie wohl in einem gemeinsamen Familiengrab beisetzen ließ. So starb ihre Schwester Superia im Alter von 6 Jahren, ihr Bruder Emeritus im Alter von 8 Jahren, während ihre Schwester Avita 10 Jahre alt wurde. Auffällig ist, dass keines der Kinder den Familiennamen des Vaters trägt, obwohl Victorina scheinbar rechtmäßige coniux war und Avitus nach seiner Entlassung auch das Bürgerrecht für seine Kinder bekam. Eine Erklärung dafür wäre, dass die drei Kinder noch vor der Entlassung des Vaters und somit noch vor der Bürgerrechtsverleihung gestorben sind. Da nicht bekannt ist, wann und in welcher Reihenfolge die Familienmitglieder starben, lässt sich auch nicht der Altersabstand zu V. nachvollziehen. Unwahrscheinlich ist aber, dass alle Personen zeitgleich, z. B. bei einem Unglück verstarben, obwohl die Inschrift in einem Zug geschrieben wurde. Daher ist anzunehmen, dass es einst eine andere Grabinschrift (vielleicht sogar nur aus Holz) für die Familie gab, worauf nacheinander die Verstorbenen verzeichnet wurden. Irgendwann nahm dann V. wohl den Tod eines der Familienangehörigen – durch das hohe Alter wahrscheinlich den Tod des Vaters – als Anlass, der gesamten Familie einen neuen Grabstein setzen zu lassen. Auf diesem gab sie nun die bisher Verstorbenen absteigend nach ihrem sozialen Rang – also den Familienvater und somit das Familienoberhaupt an erster Stelle, danach die Mutter und dann die Kinder – an. Als Grabsteinform wählte Victorina dabei die Stele, eine langrechteckige mit einem Zapfen im Boden verankerte Platte, wie sie in der Antike sehr beliebt war. Dabei ließ sie über der Inschrift ein Relieffeld anbringen, das in zwei Reihen insgesamt sechs Personen, davon drei Frauen in einheimischen langen Gewändern und ein Mann in militärischer Tracht, zeigt. Während die Anzahl der genannten Personen im Text der Anzahl der dargestellten Figuren entsprechen, stimmen Alter und Geschlecht nicht überein. Wodurch diese Diskrepanz hervorgerufen wurde – ist sie auf einen Fehler des Steinmetzes zurückzuführen, oder war der Grabstein ursprünglich für eine andere Familie geplant – lässt sich nicht genau sagen. Jedenfalls muss V. nach dem Tod des Familienoberhauptes die Finanzgeschäfte der Familie übernommen haben, da sie sich aufgrund des Testaments als rechtmäßige Erbin nennt. Aus diesem sicher nicht unbedeutenden Vermögen finanzierte sie den Grabstein und die Pflege der Familiengrablege.

Qu.: Grabinschrift aus Klosterneuburg gefunden 1982, verbaut in einem Brunnenschacht im sogenannten „Kuchlhof“ im Stift. Heute ebendort im Stiftmuseum.

L.: Ubl, Stiftmuseum 109-110 Nr. 15 m. Abb.15; AE 1992, 1442; lupa Nr. 1897.

 

Marita Holzner