Thun-Hohenstein-Salm-Reifferscheidt Christiane Gräfin

geb. Waldstein und zu Wartenberg, auch: Thun-Waldstein, Thun-Salm; Hofdame und Schriftstellerin

Geb. Hirschberg am See, Böhmen (Doksy, Tschechien), 12.6.1859
Gest. Hirschberg am See, Böhmen (Doksy/Tschechien), 6.8.1935

Herkunft, Verwandtschaften: Tochter von Ernst Graf von Waldstein, Herr von Wartenberg (1821-1904), k. k. Kämmerer, Mitglied des Herrenhauses und Marie Leopoldine geb. Prinzessin zu Schwarzenberg (1833-1908); Enkelin des Grafen Vinzenz von Waldstein, dem Ludwig van Beethoven seine Waldstein-Sonate gewidmet hatte. C. Th.-H.-S.-R. verlebte den größten Teil ihrer Jugend im böhmischen Hirschberg/Doksy und im Waldsteinpalais in Prag, sie genoss eine sorgfältige Erziehung und zeigte großes Interesse an Literatur und Musik.

LebenspartnerInnen, Kinder: 1878 vermählte sie sich mit dem Industriellen Oswald Graf Thun-Hohenstein-Salm-Reiferscheidt (1849–1913), erbliches Mitglied des Herrenhauses des Wiener Reichsrats sowie Abgeordneter des Böhmischen Landtages (1880–1913). Das Paar bekam drei Söhne, Josef Oswald (1878-1942), Adolf Maria (1880-1957) und Paul (1884-1963). Die Familie verbrachte die Sommer meist auf einem der Thunschen Schlösser in Böhmen, im Winter lebten sie im Wiener Palais Estherhazy in der Kärntnerstraße.

Laufbahn: C. Th.-H.-S.-R. erhielt als kaiserliche Hofdame zahlreiche Ehrentitel und war u. a. Trägerin des Sternkreuzordens und des Ehrenzeichens für Kunst und Wissenschaft.

C. Th.-H.-S.-R. schrieb seit ihrer Jugend Gedichte und Erzählungen, wurde am Klavier von Anton Rückauf unterrichtet, der später ihr Festspiel „Des Kaisers Traum“ (1898) vertonte. Unter dem Namen Christiane Gräfin Thun-Waldstein brachte sie 1890 drei Einakter heraus, die 1891 in Wien im Carl-Theater, im Burgtheater und etwas später im Stadttheater von Czernowitz mit Erfolg aufgeführt wurden. 1884 kam ihr Märchen- und Erzählband „Was die Großmutter erzählte“ bei Gerold, und 1895, in italienischer Übersetzung, bei Treve in Mailand heraus. Ihre Jugendwerke handeln meist vom Leben einfacher Menschen, sind dem poetischen Realismus zuzurechnen und zeichnen sich durch Leichtigkeit und Lebendigkeit insbesondere in den Dialogen aus, mitunter fehlen darin aber Lebenserfahrung, Authentizität und Schreibroutine. In einem späteren, 1908 veröffentlichten Erzählband sowie einem unveröffentlichten Roman wandte sie sich mit genau gezeichneten Charakterschilderungen, authentischen und diffizilen Beschreibungen der aristokratischen Welt am Vorabend ihres Untergangs zu und folgte damit ihrem literarischen Vorbild Marie von Ebner-Eschenbach, zu der sie in freundschaftlichem Kontakt stand. C. Th.-H.-S.-R. – von kraftvollem aber auch explosivem Charakter – nahm regen Anteil am kulturellen Leben ihrer Zeit, verkehrte mit zahlreichen Persönlichkeiten aus Kunst und Gesellschaft, so pflegte sie einen über ein Jahrzehnt dauernden Briefwechsel mit Hugo von Hofmannsthal (1902 – 1913), der sie in ihrem literarischen Schaffen ermutigte, von dem sie sich jedoch 1921 nach einem Streit abkehrte. C. Th.-H.-S.-R. war fest in die traditionellen Vorstellungen des ersten Standes eingebunden, in denen sie mit ihrem literarischen Anspruch auf wenig Verständnis stieß. Als Mitglied des Herrenhauses hatte sie zudem zahlreichen gesellschaftlichen Verbindlichkeiten nachzukommen. Eine Soiree, die Th. S. am 17. Juni 1901 in ihrem Prager Palais zu Ehren des Kaisers gab, zählte sicherlich zu den Höhepunkten ihres gesellschaftlichen Lebens. C. Th.-H.-S.-R. musste ihre künstlerischen Ambitionen auch zugunsten ihrer Familienpflichten hintanzustellen: Zu Beginn der 1900er Jahre widmete sie sich der Pflege ihrer kranken Schwester und ab 1908 der ihres Mannes, der nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt war. Seinem Tod im Jahr 1913 folgte die Sorge C. Th.-H.-S.-R. um ihre Söhne – alle drei kämpften an der Front und wurden verwundet. Vom Zusammenbruch des alten Österreichs zutiefst erschüttert, lebte sie bis 1921 „zurückgezogen, menschenscheu und tieftraurig“ (Paul Thun-Hohenstein) in ihrer Wiener Wohnung am Hohen Markt, wo sie schon fast erblindet, Marionettenpuppen aus Lindenholz schnitzte. Danach kehrte C. Th.-H.-S.-R. auf ihr Landgut in Hirschberg/Dosky zurück, wo sie 1935 starb. 1929 war sie jedoch noch einmal nach Wien gekommen, um einen Blumenstrauß am Sarg Hofmannsthals niederzulegen. Ihr Nachlass, darunter ein Steinwayflügel, wurde noch im Jahr ihres Todes im Wiener Dorotheum versteigert.

Werke

„Ein Maskenball. Dramolet“ (1891), „Eine Wette. Lustspiel“ (1891), „Herr und Diener. Dramolet“ (1891), „Meister und Schüler“ (1891) „Was die Großmutter erzählte. Märchen und Erzählungen“ (1894), „Des Kaisers Traum. Festspiel in 1 Aufz. Musik von Anton Rückauf“ (1898 Aufführung der gekürzten Fassung in der Wiener Hofoper mit Schauspielern des Burgtheaters zum Kaiserjubiläum am 2. Dezember 1908; Aufführung der vollständigen Fassung am Prager Deutschen Theater am 2. 5. und 13. Dezember 1908), „Die Lotterie. Eine Erzählung in Briefen von Christiane Gräfin Thun-Salm“ (1902), „Das alte Fräulein. Novelle“ (1902-1903), „Der neue Hauslehrer und andere Novellen“ (1909), „Am Glück vorbei. Roman“ (Typoskript)

Literatur / Quellen

L.: Dorotheum 1935, Polheim/Gabriel 1997, Geißler 1913, Giebisch 1948, Hofmannsthal 1999, Pataky 1898

BiografieautorIn:

Marianne Baumgartner