Stainerin Elisabeth alias Christina oder Rosina Metzlin; Bettlerin und Betrügerin

Geb. wahrscheinlich in Zittau/Schlesien zwischen 1740 und 1750

Gest. ?

Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Entweder der Zimmermann Christoph Stainer aus Zittau oder aber unbekannt. Mutter: Rosina Stainerin oder Metzlin; 1 Bruder. Religion: Zuerst evangelisch, viermal katholisch geworden (in Olmütz, Enns, Maria Zell und Nikolsburg), (da die St. in 11 Verhören 11 verschiedene Lebensläufe konstruiert, sind die Daten nicht gesichert). E. St. selbst ist ledig.

LebenspartnerInnen, Kinder: Von LebenspartnerInnen kann beim Leben einer Vazierenden im 18. Jhdt. nicht ausgegangen werden, wohl aber von „LebensabschnittspartnerInnen”. Für die St. waren das von den uns namentlich bekannten, v. a. Joseph Kundtler alias der bayrische Bub, ein Dieb, Bettler und Einbrecher, mit dem sie zwischen 1771 und 1773 herumgezogen ist. Kinder: Sie selbst gibt zu, um 1770 einen Sohn auf freiem Feld geboren und gleich nach der Geburt erdrosselt und in den nahe gelegenen Bach geworfen zu haben.

Freundschaften: Wechselnde Freund- und „Gespann”schaften mit anderen Mobilen, u. a. der Münicher Käthl, der großdutleten Sächsin, der böhmischen Wirtin in Bruck/Mur, der Magdalena Greinerin, der Gleisdorfer Anni, der böhmischen Lisl, dem Studenten-Franzl, dem Schwäbl, dem böhmischen Wenzel, dem Tiroler und dem Ingolstädter, dem Prager und dem Waidhofner Schlosser.

Ausbildungen: Keine nachweisbar; hat aber sicher auf ihren Wanderjahren alle notwendigen Strategien zum erfolgreichen Betteln und Überleben gelernt.

Laufbahn: Als E. St. im März 1775 vom Hofgericht Weyer wegen furtum (Diebstahl bzw. Beihilfe dazu), Konversionsanmaßung, Diffamierung, unzüchtiger Leichtfertigkeit (fornicatio), lügenhafter Unternehmungen und einer selbst einbekannten Kindsermordung zu zwei Jahren öffentlicher Arbeit verurteilt wird, während der sie dreimal öffentlich ausgestellt, entehrt und verprügelt werden soll, hat sie schon ein jahrelanges Leben als Vazierende (weite Strecken zwischen Schlesien, Mähren, den innerösterreichischen Raum bis nach Ungarn und Krain) und zwei Jahre schwere Haftbedingungen hinter sich.

Die Frau, die am 10. September 1773 in Weyer zusammen mit drei anderen aufgegriffen wurde, ist wahrscheinlich Ende Zwanzig, wahrscheinlich aus Schlesien, sicher aber die Freundin des in Judenburg inhaftierten Räubers und Diebs Joseph Kundtler alias bayrischer Bub.

Während der zwei Jahre, die E. in Weyer einsitzt, wird sie in 11 Verhören 11 verschiedene Lebensläufe präsentieren, aus denen das Gericht in mühevoller Klein- und Recherchearbeit versucht, Fakten herauszufiltern. Es gelingt nur partiell. Unter dem Strich zeigt sich uns in den Quellen ein geradezu prototypisches Leben einer jungen mobilen Bettlerin, die in habitualisierter Mobilität tausende von Kilometern landauf landab durch die Kronländer wanderte. Sie lebte hauptsächlich von professionellem Bettel und kleinen Gelegenheitsdelikten wie Diebstahl, zeitweiliger Prostitution, zeitweiliger Beschäftigung bei der Erntearbeit oder beim Flachsspinnen. Sie wurde aber auch viermal katholisch (in Olmütz, Mikulov, Enns und Maria Zell), was ihr einige Wochen Ruhepause ermöglichte. Dabei war sie zur Konversionsvorbereitung bei Kost und Logis in einer Pfarre untergebracht, und schließlich bekam sie von ihrem Paten/ihrer Patin noch etwas Geld oder Naturalien zum freudigen Ereignis.

Die gute und ausführliche Quellensituation ermöglicht Einblicke in Lebenssituation, -bedingungen und lebensweltliche Zusammenhänge vazierender Unterschichtfrauen, ihre Fortkommensstrategien und Subsistenzsicherung. Mehrmals wurde die St. im Laufe ihres Vazierendenlebens abgeschoben (u. a. nach Passau, Ungarn und Jägersdorf), ein damals durchaus übliches obrigkeitliches Verfahren, sich armer Leute zu entledigen, wie die Legionen von Schubzetteln beweisen.

Sie zieht in so genannten Gespannschaften durch die Gegend, wobei sie größere Städte wegen ihrer rigiden Bettelpolitik eher meidet. Entweder geht sie mit einer zweiten Frau, mit einem Mann (in erster Linie dem bayrischen Buben) oder als zwei Paare. Während die Männer stehlen, warten die Frauen auf sie und verkaufen dann, weil sie weniger auffällig sind, das Diebsgut. Bestimmte Wirtshäuser oder Dorfhandwerker dienen als Anlaufpunkte und Kontaktstellen zur sesshaften Welt. Dort lassen sich gestohlene Waren gut verkaufen, dort kann man sich ausruhen, in einem richtigen Bett schlafen statt in einem Heustadl und das verdiente Geld verprassen. Ansonsten lebte E. St. hauptsächlich vom Bettel, für den sie sich situativer Strategien bediente, falsche Bescheinigungen vorwies (etwa ausgebrannt oder vor den Türken geflüchtet bzw. eine Soldatenwitwe zu sein). Überhaupt spielte in diesem Handwerk die Wahrheit eine nur marginale Rolle, die Geschichten mussten jedoch plausibel sein und einen gewissen Mitleidseffekt erzielen können. Dazu brauchte es vor allem die Fähigkeit, Menschen und Situationen blitzschnell einzuschätzen und aus dieser Einschätzung einen Lebenslauf zu erfinden, der passte. Bekamen BettlerInnen von der Landbevölkerung in erster Linie Naturalien, eine Suppe oder ein Dach über dem Kopf für ein, zwei Nächte, so gaben sie ihrerseits selbst auch etwas. Nämlich Informationen, Neuigkeiten und ihre Arbeitskraft. Die Scharen von Mobilen bildeten ein Arbeitskräftereservoir, aus dem die sesshafte Bevölkerung in arbeitsintensiven Zeiten schöpfen konnte.

Vor Gericht bediente sich E. St. genau dieser erlernten Strategien, die sie als Bettlerin so erfolgreich gemacht hatten, die nun aber nur bedingt griffen und adaptiert werden mussten. So übertrieb sie mit einer Geschichte, in der es um den Diebstahl von 800! Gulden ging, die ihr das Gericht nicht glaubte, weil die Ingredienzien zu weit von ihrer Lebenswelt entfernt waren.

Wohl unter dem Druck der Haft und der wahrscheinlich angewandten Folter gestand sie schließlich auch einen Kindsmord und zwei Abtreibungen, die sie aber später, rekurrierend auf das weibliche Stereotyp der mollities mentis abschwächt. Zu ihrem Glück findet das Gericht trotz fieberhafter Suche keine ZeugInnen und muss daher die Anklagepunkte fallen lassen. Es hätte sie den Kopf gekostet, denn Kindsmord war das weibliche Delikt des 18. Jahrhunderts par excellence und wurde entsprechend geahndet. Darüber hinaus galt das besondere gerichtliche Augenmerk dem so genannten Abortus suspecti und der Fornication, der Unzucht, die ebenfalls streng bestraft wurden. Alle drei Delikte, unmittelbar verknüpft mit dem weiblichen Körper, seiner (mangelnden) Integrität und der weiblichen Ehre, waren fast ausschließlich Frauendelikte, während Diebstahl als männliches Paradedelikt der Zeit galt, und bei Männern viel strenger geahndet wurde als bei Frauen.

Insgesamt stellt sich uns das Leben E. St.s in den Quellen als eines dar, das auf Solidarität und Loyalität innerhalb der social community der Bettelnden und Vazierenden beruhte, auf einem eigenen Verhaltenskodex untereinander aber auch gegenüber den Sesshaften, auf die die Vazierenden ja angewiesen waren. Trotz obrigkeitlicher Versuche, die Mobilität zu verunglimpfen und zu verdammen, gab es in der ländlichen face-to-face-Gesellschaft für die mobile Lebensführung soweit Verständnis, als diese nicht das Eigentum der Sesshaften betraf.

St., eingebettet in ein funktionierendes Netzwerk von FreundInnen und Bekannten, über deren Schicksal sie erstaunlich gut Bescheid wusste, lebte offenbar aus relativ freien Stücken und gerne als Mobile, so wie sie selbst sagte, „weil ich das Schlenzen schon so gewohnt war”. Umso schlimmer muss sich das Eingesperrtsein auf sie ausgewirkt haben. Über ihr weiteres Schicksal nach der Verurteilung wissen wir jedoch nichts mehr.

Qu.: OÖLA/ Neuerwerbungen A Bd 19, Weyer, Akt 30-59, Verhörbuch Rosina Mezlin alias E. St. (gebunden, handschriftlich), Criminal Correspondenz Protocoll 1773/1774, Urteil E. St.: 26. März 1775, Abschrift aus dem Criminal inquisitions Protocoll des bey dem k.k. Stadt- und Landgericht Judenburg befängnisßten Joseph Kundtler vulgo bayerischen Bubens (Fol30/1-16).

L.: Blauert/Schwerhoff 1993, Bräuer 1996, Gerhard 1997, Jütte 2000, Nekolny 2001, Rheinheimer 2000, Rublack 1998, Schindler 1988, Schulze 1996, Ulbricht 1995

 

Carina Nekolny