Stainer-Knittel Anna, Geierwally; Malerin

Geb. Untergilben bei Elbigenalp, Tirol, 28.7.1841

Gest. Innsbruck, Tirol, 28.2.1915

Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Büchsenmacher; Mutter: Kreszenz, Bäuerin; zwei Geschwister.

LebenspartnerInnen, Kinder: 1867 Heirat mit Engelbert Knittel (†1903); Kinder: Karl (*1868), Leo (*1870), Rosa (1871-1893), Emma (*1874).

Ausbildungen: Schon früh wurde A. St.-K. in ihren künstlerischen Ambitionen unterstützt. Der Lithograph Johann Anton Falger, der sich in ihrem Heimatort zur Ruhe gesetzt hatte, gab ihr den ersten Zeichenunterricht und sorgte dafür, dass sie im Alter von 18 Jahren nach München reisen konnte, um dort Malerei zu studieren. A. St. nahm Unterricht in Porträtmalerei an einer privaten Kunstschule, da die Kunstakademie erst 1920 für Frauen geöffnet wurde. Obwohl A St.-K.s Talent und Eifer beim Studium außer Frage stand, entzog Falger ihr nach zweijährigem Studium wegen einer Lappalie die Gunst, auch ihr Vater war der Ansicht, dass sie nunmehr ihr Glück verscherzt habe und heimkommen solle, um zu heiraten. Zum Glück ergriff A. St.-K.s Mutter ihre Partei: „Erst lassen die Männer das Madl in der Fremde etwas lernen, und nur halb, so dass sie keine ordentliche Malerin und auch keine ordentliche Bäuerin mehr ist, und dann lassen sie sie sitzen! Aber ich hab jetzt ein paar Kühe gut verkauft, dafür hab ich mir Silbergeld geben lassen, und dafür gehst du weiter lernen.“ (Zitiert aus den handschriftlichen Lebenserinnerungen A. St.-K.s). Nach einem Jahr war das Geld allerdings aufgebraucht und A. St.-K. kehrte widerwillig nach Hause zurück, um in der Landwirtschaft mitzuhelfen.

Laufbahn: Erste lokale Berühmtheit erlangte A. St.-K. als 17-jährige, weil sie wagte, wozu keiner der Burschen im Dorf den Mut aufbrachte. Angetan mit den Hosen ihres Bruders seilte sie sich über eine hohe Felswand ab, um dort einen Adlerhorst auszuräumen. (Auf diese Weise kontrollierten die Bauern die Adlerpopulation, um ihre Jungschafe vor den gefürchteten Greifvögeln zu schützen.)

Nach dem unterbrochenen Studium und der Rückkehr nach Tirol porträtierte A. St.-K. weiterhin Bekannte und Familienmitglieder. Überraschend kaufte das Tiroler Landesmuseum „Ferdinandeum“ ein Selbstporträt für 44 Gulden an, das ihr Vater an einen Kunsthändler in Innsbruck geschickt hatte. Mit dem Erlös des Bildes geht sie nach Innsbruck. Unmittelbar nach ihrer Ankunft malte sie für den Landeshauptschießstand des Schützenvereins zum 500. Jahrestag der Vereinigung Tirols mit dem Habsburgerreich ein Bild von Erzherzog Karl Ludwig; das Porträt gefiel und weitere Aufträge folgten. Daraufhin konnte sie sich als Porträtmalerin etablieren. Insgesamt schuf sie bis 1883 mehr als 130 Porträts.1871 folgte ihr aufsehenerregendster Auftrag. Binnen neun Tagen malte sie ein lebensgroßes Bild des Kaisers, der sich überraschend zu einem Besuch in der Landeshauptstadt angekündigt hatte. Auf die Frage des Monarchen, ob sie denn öfters male, antwortete sie selbstbewusst: „Jawohl Majestät, denn Malen ist mein Beruf!“

Ihr legendäres Abenteuer im Adlerhorst bestand A. St.-K. mit 22 Jahren noch ein zweites Mal. Diesmal berichteten die Lokalzeitungen davon. A. St.-K. schrieb ihr Erlebnis nieder; es erschien in bearbeiteter Form in mehreren Zeitschriften. Eine gehässige Illustration des Textes von Mathias Schmidt, ihres bis zu diesem Zeitpunkt als Freund betrachteten Förderers, zeigte sie sehr unvorteilhaft von hinten beim Ausheben des Nests. Vor allem die Tatsache, dass sie als Akteurin von hinten gezeigt wurde, brachte A. St.-K. in Rage. Sie malte daraufhin ihre eigene Version des Nestraubs („Adlerbild“, 1864).

Im Alter von 26 Jahren hatte A. St.-K. bereits zahlreiche Verehrer abgewiesen, die Malerei war ihr immer wichtiger gewesen. Dann lernte sie die große Liebe ihres Lebens kennen, den mittellosen Formatoren Engelbert Stainer. Die Eltern waren strikt gegen eine Heirat, doch A. St.-K. bestand auf das Recht, ihren Ehemann selbst zu wählen und wurde daraufhin von der Familie verstoßen. Erst Jahre später söhnte sie sich mit ihrem Vater aus.

Die Ehe war sehr glücklich, A. St.-K. bekam vier Kinder. Auch beruflich ergänzten sich die Eheleute gut. Engelbert betrieb ein Geschäft in der Innenstadt, in dem er seine Gipsfiguren und vor allem A. St.-K.s. Bilder verkaufte. Dass A. St.-K. ihren Beruf weiter ausübte, auch nachdem sie Mutter geworden war, war außergewöhnlich. Noch dazu behielt sie nach der Heirat ihren Namen. Auch ihre äußere Erscheinung war unkonventionell, ja geradezu skandalös: sie trug ihr Haar kurzgeschnitten. Außerdem wird überliefert, dass sie mitunter Männerkleider trug.

Als in den 1870er Jahren das Porträtgeschäft im Zuge der aufkommenden Fotografie einbrach, überredete ihr Mann A. St.-K. dazu, Blumen zu malen. Sie arbeitete sich autodidaktisch in ein neues Genre ein, studierte die Alpenflora und schuf in den folgenden Jahren eine große Anzahl von Blumenbildern. Außerdem bemalte sie Porzellan und Andenken, die ihr Mann in seinem Geschäft als Souvenirs verkaufte. Für die Produktion dieser dekorierten Gebrauchsgegenstände wurde A. St.-K. von ihren Künstlerkollegen zwar geringgeschätzt, doch sicherte sie damit das Familieneinkommen. Das Geschäft florierte und nach vielen mageren Jahren brachte es die Familie zu Wohlstand.

Neben allen diesen Arbeiten malte A. St.-K. eine beträchtliche Anzahl botanischer Blätter, zunächst für das Herbarium ihres Sohnes Karl. Auch brachten Botaniker ihre Funde zum Malen; A. St.-K. wurde zu einer Expertin für Alpenblumen. Dieses Nebengeschäft hielt sie vor ihrem Ehemann geheim. Er verwaltete das Familieneinkommen und war ihr gegenüber oft knausrig. Sie musste also heimlich malen, um über eigenes Geld verfügen zu können.

In dieser Zeit gelang ihr auch auf dem Sektor der ernsthaften Malerei der große Durchbruch. Sie schickte „Die Rautenpflückerinnen“ zur Weltausstellung 1873 nach Wien. Das Gemälde trat einen Irrweg vom Museum für Kunst und Industrie zur Kunsthalle im Prater, zum Frauenpavillon an und landete schließlich in einem Lager. Zufällig wurde es dort von einem einflussreichen Bewunderer entdeckt und bekam nach dessen Intervention endlich einen sehr günstigen Platz im Wiener Künstlerhaus. Die Kritiken waren überschwänglich, das Bild wurde für 500 Gulden nach England verkauft. Von da an gingen A. St.-K.s. Bilder in alle Welt. Ihr wurden mehrere Ausstellungen in etablierten Häusern gewidmet.

St.-K. eröffnete 1873 die erste „Mal- und Zeichenschule für Damen“ in Innsbruck, die sie bis ins hohe Alter leitete. Diese Schule war eine der ersten Malschulen für Frauen in Österreich überhaupt. Einige der Schülerinnen brachten es weit, wie z. B. Adelheid Paukler, die später Fachlehrerin für Miniaturmalerei an der Wiener Frauenakademie wurde.

St.-K. blieb bis ins hohe Alter sehr aktiv. Sie unternahm Wanderungen mit ihren zahlreichen Enkelkindern und malte mit ungebrochenem Schaffensdrang. Sie starb 73-jährig in Innsbruck.

St. K.s Adler-Abenteuer wurde 1875 von der Romanautorin Wilhelmine von Hillern, unter dem Titel „Die Geierwally“, zu einem äußerst erfolgreichen Heimatroman verarbeitet. Der Roman schildert die Anpassungsschwierigkeiten eines jungen Mädchens an eine patriarchalische traditionelle Gesellschaftsform. Ihr Abenteuer mit dem Raubvogel − im Roman mutierte der Adler zum Geier − wird zum Symbol: die Heldin will wie ein Junge sein. Die für ihre Verwegenheit berühmte, aber auch gefürchtete „Geierwally“ kann den Rollenkonflikt nicht lösen, im für das 19. Jahrhundert typischen „Happy End“ unterwirft sie sich schließlich ihrem Ehemann. Die Romanvorlage wurde mehrmals verfilmt und für die Bühne bearbeitet. 1940 verfilmte Hans Steinhoff den Roman mit Heidemarie Hatheyer in der Hauptrolle. Neuverfilmung mit Barbara Rütting 1946/47. 1986 Verfilmung durch Walter Bockmayer, gedacht als Parodie auf den Heimatfilm. Die Oper „La Wally“ von Alfredo Catalani wurde 1892 uraufgeführt; von Felix Mitterer wurde der Stoff als Volksstück bearbeitet und in den „Geierwally-Freilichtspiele“ aufgeführt (1993, 2002). Die zum Mythos mutierte „Geierwally“ hat jedoch denkbar wenig mit dem Leben der Malerin A. St.-K. zu tun.

L.: Frauen in Innsbruck, Hnilica 2002, Keckeis/Olschak 1953/54, Kosel, 1902-1906, Thieme/Becker, 1907-1950, ÖBL, Paulin 1953, Wurzbach