Smrčka, Rita

verh. Krause

* 9.7.1913, Wien, † 8.11.2004, Wien
Amtsärztin und Tropenmedizinerin

14.6.1932 Reifeprüfung am Akademischen Gymnasium in Wien 1; 1932–1938 Studium der Medizin an der Universität Wien, 1935/36 Hospitantin an der I. Chirurgischen Universitätsklinik, 1936/37 an der Krankenanstalt Rudolfstiftung, 1938 „Nichtarierpromotion“; 1939–1942 hospitierende Ärztin und Aspirantin am Rothschildspital der Israelitischen Kultusgemeinde Wien; 1942 Deportation nach Theresienstadt, Stations- und Blockärztin in Theresienstadt; 1944 Transport über Auschwitz nach Hainichen/Flossenbürg, 1944/45 Lagerärztin KZ Hainichen, Evakuierungsmarsch nach Theresienstadt; nach der Befreiung freiwilliger Einsatz als Stationsärztin in der Selbstverwaltung des Lagers Theresienstadt; 1946 Eröffnung einer Privatpraxis in Wien 9 und Physikatsprüfung; 1946–1980 Amtsärztin im Magistrat der Stadt Wien; 1950 provisorischer Oberbezirksarzt, ab 1952 Leitung des Referats „Impfungen für Auslandsreisende“; tropenmedizinische Ausbildung in Tübingen und Aufbau des Tropenmedizinischen Instituts; außerordentliches Mitglied des Obersten Sanitätsrats der Stadt Wien; 1956 Physikatsrat, 1963 Oberphysikatsrat, 1970 Stadtphysikus, 1979 „Hofrat“; 1980 Pensionierung und Weiterbeschäftigung als teilbeschäftigte Ärztin sowie Fortführung der Privatpraxis; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Internationalen Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke und der „Mitteilungen der österreichischen Gesellschaft für Tropenmedizin und Parasitologie“.

R. S. wurde am 9. Juli 1913 in Wien 9, Pelikangasse 15 geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns und Miederfabrikanten Julius Smrčka (1870–1939) und dessen Frau Olga Smrčka geb. Hermann (1882–1938). (Nachlass: Geburtszeugnis) Die Eltern stammten aus Böhmen, waren jedoch österreichische Staatsbürger. Die Familie wohnte in Wien 3, Hintere Zollamtsstraße 11/8. R. S. besuchte ab 1919 die Volksschule der Lehrerinnenbildungsanstalt in Wien 1 und wechselte 1924 in das Akademische Gymnasium in Wien 1, Beethovenplatz 1, wo sie am 14. Juni 1932 die Reifeprüfung absolvierte. (Nachlass: Abschluß- und Reifezeugnis u. Lebenslauf, S. 1) Anschließend studierte R. S. ab Wintersemester 1932/33 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. (AUW, Nationale 1932/33 bis 1937/38) Hier lernte sie im Wintersemester 1934/35 ihren späteren Ehemann Dr. Walter Krause (1910–2007) während eines von ihm gehaltenen Sezierkurses kennen. Er war seit 1934 als Assistent an der I. Anatomischen Lehrkanzel der Universität Wien angestellt. (DÖW 23201) Ab November 1935 hospitierte R. S. an der I. Chirurgischen Universitätsklinik sowie im Sommer 1936 an der dortigen Unfallstation und Ambulanz. Ihre studienbegleitende Tätigkeit als Hospitantin setzte sie von März bis Juni 1936 an der I. Medizinischen Abteilung der Krankenanstalt Rudolfstiftung sowie im März und April 1937 an der dortigen Augenabteilung fort. (Nachlass: Bestätigungen u. Zeugnisse)
R. S. war zuletzt im Wintersemester 1937/38 an der Medizinischen Fakultät im 10. Studiensemester inskribiert und erhielt das Absolutorium am 8. Februar 1938. Zum Zeitpunkt der Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 befand sie sich bereits im Stadium der Abschlussprüfungen (Rigorosen). Da jüdische Studierende von der Universität Wien umgehend ausgeschlossen wurden, blieb es einige Monate unsicher, ob der Abschluss des Studiums noch möglich sein würde. Diese angespannte Situation beschrieb sie später in ihrem Lebenslauf: „Von den Prüfungen, die erst nach Erhalt des Absolutoriums abgelegt werden konnten, hatte ich zum Zeitpunkt des Anschlusses erst eine einzige, Pathologische Anatomie, abgelegt. Als dann festgesetzt wurde, daß wir jüdischen Absolventen doch noch bis 31. Oktober Prüfungen ablegen durften, wurde ich von den Prüfern trotz des herrschenden Systems durchaus korrekt behandelt und so habe ich es trotz des, durch die Terminisierung bedingten Stress geschafft“. (Nachlass: Lebenslauf, S. 1) Sie konnte ihr Studium am 31. Oktober 1938 jedoch nur noch unter zahlreichen Diskriminierungen und bei gleichzeitig ausgesprochenem Berufsverbot im gesamten Deutschen Reich im Rahmen einer „Nichtarierpromotion“ abschließen. (AUW, Nationale 1932/33 bis 1937/38, PP)
Zwei Tage nach ihrer Promotion verstarb ihre Mutter am 2. November und im selben Monat verschärfte sich R. S.s Lage weiter, als im Zuge des Novemberpogroms 1938 ihr herzkranker Vater sowie ihr Bruder, der Rechtsanwalt Dr. Leo Smrčka (geb. 1909), verhaftet wurden. Aus Verzweiflung wandte sie sich an Walter Krause, dessen Vertrag als Assistent im September 1938 wegen seiner Ablehnung des Nationalsozialismus von der Universität Wien nicht verlängert worden und mit dem sie seit dem Studium befreundet geblieben war. (DÖW 23201) Am 26. Dezember 1938 schrieb sie außerdem einen Brief an den Kinderarzt Samuel X. Radbill in Philadelphia, dem sie ihre Situation – als jüdische Ärztin mit Berufsverbot und ohne Verwandte oder Freunde im Ausland – schilderte. Sie bat den ihr unbekannten Arzt, dessen Adresse sie zufällig gefunden hatte, um Hilfe bei der Emigration aus Österreich. Für die Einreise benötigte sie ein Affidavit, die formale Garantie, dass er für ihren Unterhalt aufkommen werde, doch versicherte sie, dass sie ihm nicht zur Last fallen würde und neben der Ausbildung als Ärztin mit ihren Kenntnissen in Kinderbetreuung, angewandter Kunst, Englisch und Französisch sich ihren Lebensunterhalt selbst erarbeiten würde. (Samuel X. Radbill Collection) Ihre verzweifelten Bemühungen waren zunächst erfolgreich: Im Jänner oder Februar 1939 erhielt sie ihr Affidavit für Philadelphia. (DÖW 23201) Dennoch emigrierte sie nicht – im Gegensatz zu ihrem Bruder Leo, der im März 1939 nach England flüchten konnte (ÖStA, AdR, 06, FLD Smrčka) und dort eine Stelle als Angestellter eines Lederhändlers annahm. (Nachlass: Lebenslauf, S. 2)
Nach monatelanger Arbeitslosigkeit begann R. S. im März 1939 als unbesoldete hospitierende Ärztin, später auch als Aspirantin mit sekundarärztlichen Aufgaben im Rothschildspital der Israelitischen Kultusgemeine (IKG) zu arbeiten: 1939 wurde sie zunächst in der gynäkologischen Abteilung und als Operationsschwester, später am Röntgeninstitut, an der medizinischen (internen) Abteilung sowie 1942 an der Herzstation und wieder an der gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilung eingesetzt. (Nachlass: Bestätigungen u. Zeugnisse)
R. S. und Walter Krause kamen sich während dieser Zeit näher und er unterstützte sie auch, als am 23. April 1939 ihr Vater starb. Da ihre Wohnung „arisiert“ wurde, zog sie Anfang August 1939 schließlich zur kürzlich verwitweten Schwägerin von Walter Krause, Dr. Jarmila Krause, nach Wien 3, Gärtnergasse 6/3/10. (Nachlass: Lebenslauf, S. 1f.; DÖW 23201; WStLA Meldearchiv)
R. S. und Walter Krause führten ihre Beziehung weiter, bis sie im August 1940 bei der Gestapo-Leitstelle Wien wegen „Rassenschande“ denunziert wurden, da Walter Krause nach nationalsozialistischen Rassegesetzen als „Arier“ galt. Er wurde aufgrund § 2 des „Blutschutzgesetzes“ 1935 am 22. September im Gefangenenhaus des Landgerichts für Strafsachen Wien 1 inhaftiert und in einer Verhandlung am 17. Dezember 1940 zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Die lange Dauer des Verhältnisses und seine Absicht, R. S. zu heiraten, hatten sich nach der nationalsozialistischen Rechtsauffassung erschwerend auf das Strafmaß ausgewirkt. (DÖW 23201)
Mit dem Ziel nach Shanghai zu emigrieren, hinterlegte R. S. im März 1941 eine Geldsumme von 1.500 RM bei der IKG (Nachlass: Bestätigung Depoterlag), dennoch blieb sie in Wien. R. S. musste in der Folge mehrmals umziehen, im März 1941 zunächst nach Wien 3, Geusaugasse 7/3, im Dezember 1941 nach Wien 9, Berggasse 25/28 sowie zuletzt im Mai 1942 nach Wien 9, Scheuchgasse 24/9. (WStLA/Meldearchiv)
Während Walter Krause nach Verbüßung der Haft zur Wehrmacht einrücken musste und in die „Afrika-Division 999“ rekrutiert wurde, wurde R. S. am 24. September 1942 mit dem Transport Nr. XLII gemeinsam mit über 1.000 kranken und/oder alten Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt deportiert. (DÖW 50072 Transportnr. 1043) Um ihre Vermögenswerte möglichst rasch in Besitz nehmen zu können, wurde sie wie alle Jüdinnen und Juden dieses Transports als „Volks- und Staatsfeind“ eingestuft. Ihre Bankkonten sowie ein Mietshaus in Wien, das nach dem Tod der Eltern R. S. und ihrem Bruder Leo Smrčka gehörte, wurde 1943/44 enteignet und in das Eigentum des Deutschen Reiches übernommen. (DÖW 50072/XLII; ÖStA, AdR, 06, FLD Smrčka)
Als Häftling in Theresienstadt wurde R. S. zunächst als Stationsärztin in der sogenannten Hamburger Kaserne, ab Jänner 1944 als Blockärztin in den Stadtbaracken in Theresienstadt eingesetzt: (Nachlass: Zeugnis, 15.8.1945) „Hier wurde ich sogleich wieder in meinem Beruf eingesetzt. Die Möglichkeiten für effektive ärztliche Hilfe waren beschränkt, aber immerhin noch erträglich. So ging es zwei Jahre lang.“ Nach zwei Jahren in Theresienstadt wurde R. S. in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz deportiert. Bereits wenige Tage später folgte der Weitertransport nach Hainichen, in ein Außenlager des KZ Flossenbürg, wo sie gemeinsam mit 350 weiblichen Häftlingen am 8. Oktober 1944 eintraf und ihr die Häftlingsnummer 53266 zugeteilt wurde. R. S. musste hier – zunächst gemeinsam mit zwei weiteren Ärztinnen – die medizinische Betreuung von 500 Jüdinnen, die zur Zwangsarbeit in der Waffenproduktion für die Framo-GmbH eingesetzt wurden, übernehmen. Die Funktion als Lagerärztin übte sie bis zur Auflösung des Lagers im April 1945 aus. (Nachlass: Bestätigung der Tätigkeit als Lagerärztin, 13.4.1945; DÖW 20100/6283; Häftlingsdatenbank KZ Flossenbürg; Cziborra 2010, S. 63, Anm. 278; Cziborra 2016, bes. S. 77–85; Fritz, 2007, S. 134) Dazu schrieb sie selbst in ihrem um 1999 verfassten Lebenslauf: „In Hainichen (Sachsen) wurde als Außenstelle des Lagers Flossenbürg ein Arbeitslager für polnische und ungarische Jüdinnen errichtet. Daß ich diesen als Ärztin mitgegeben wurde, beruhte vielleicht auf einem glückhaften Mißverständnis, daß man meinen Namen Smrčka für polnisch hielt.“ (Nachlass: Lebenslauf, S. 2) Tatsächlich war R. S. in der Transportliste fälschlicherweise als ungarische Jüdin registriert worden. (Cziborra 2016, S. 222f., 282) Aufgrund des Herannahens der Roten Armee ließ der Lagerleiter Wilhelm Loh das Lager Hainichen am 13. April 1945 auflösen und die Häftlinge nach Theresienstadt evakuieren, wo sie am 8. Mai die Befreiung durch die sowjetischen Truppen erlebten. (Nachlass: Lebenslauf, S. 3; Fritz, 2007, S. 135) Zu ihrer Verfolgungserfahrung während des Nationalsozialismus hielt R. S. Jahrzehnte später fest: „Bei dem […] Rückblick auf die NS-Zeit mag wunder nehmen, daß relativ wenig Negatives und doch allerhand Positives erwähnt wird. Wenn Umgekehrtes zutreffend wäre, dann würde ich ja nicht mehr leben. Ich hatte in dieser schrecklichen Zeit einfach immer unerhörtes Glück. Mitspielen mag auch die Eigenheit meines Gedächtnisses, das Häßliche raschest zu verdrängen“ (Nachlass: Lebenslauf, S. 3)
Nach der Befreiung blieb R. S. zunächst noch bis zur endgültigen Auflösung des Lagers am 2. August 1945 in Theresienstadt, wo sie sich für die Selbstverwaltung des Lagers freiwillig als unbesoldete Stationsärztin der Internen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses betätigte und an der Bekämpfung der Flecktyphusepidemie unter den befreiten Häftlingen mitwirkte. (Nachlass: Zeugnisse, Bestätigungen u. Lebenslauf S. 3; DÖW 20100/6283) Über Prag, wo sie sich eine schwere Knieverletzung zuzog, kehrte sie im Herbst 1945 nach Wien zurück und wohnte von Oktober 1945 bis 1946 zunächst wieder bei Walter Krauses Schwägerin. (Nachlass: Lebenslauf, S. 3; WStLA/Meldearchiv)
R. S. meldete sich am 11. Oktober 1945 bei der IKG Wien und am 27. Dezember 1945 beim KZ-Verband in Wien an, wurde am 21. August 1946 als „rassisch“ Verfolgte anerkannt und als ordentliches Mitglied des KZ-Verbandes aufgenommen (Nachlass: Bestätigungen; DÖW 20100/6283) Das „arisierte“ Mietshaus wurde nach Wiedergutmachungsverfahren 1947 an sie und ihren Bruder als rechtmäßige EigentümerInnen restituiert. (ÖStA, AdR, 06, FLD Smrčka)
Bis Anfang des Jahres 1946 war R. S. arbeitssuchend: „Mein Wunsch nach klinischer Carriere scheiterte offenkundig an dem Mißtrauen der Klinikvorstände gegenüber meiner, unter ungünstigsten Bedingungen erworbenen, medizinischen Erfahrung. Da ich aber doch von etwas leben mußte, griff ich zu, als sich eine freie Stelle im Gesundheitsamt der Stadt Wien ergab.“ (Nachlass: Lebenslauf, S. 3) Am 7. Jänner 1946 wurde sie als Vertragsbedienstete in den Dienst des Gesundheitsamts der Stadt Wien aufgenommen (ab 1949 Beamtin), am 15. Juli 1946 folgte auch die formale Befähigung für die Tätigkeit als Amtsärztin in Form der Physikatsprüfung. Parallel erhielt R. S. am 9. Mai 1946 die Erlaubnis der Ärztekammer Wien, eine Praxis für allgemeine Heilkunde an ihrer Wohnadresse in Wien 9, Tendlergasse 15, eröffnen zu dürfen. (Nachlass: Bestätigungen)
Am 27. Juli 1946 heirateten R. S. und Walter Krause am Standesamt in Wien Alsergrund, nachdem er aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war. Da er sich als gläubiger Katholik eine kirchliche Hochzeit wünschte und sie keine tiefe Beziehung zu ihrer jüdischen Religion hatte, war R. S. noch am 8. Juli 1946 aus dem Judentum ausgetreten und hatte sich vier Tage später in der Pfarre Wien 5, Gartengasse 4, taufen lassen. (Nachlass: Vermerk am Geburtszeugnis, Taufschein, Heiratsurkunde u. Lebenslauf, S. 3f.) Diese Entscheidung begründete sie später auch mit der prägenden Erfahrung der Diskriminierung, der sie 1938 bei ihrer ‚Nichtarierpromotion‘ an der Universität Wien ausgesetzt gewesen war: „Konnten wir kirchlich getraut werden, auch wenn ich Jüdin bliebe? Die Antwort eines Experten kanonischen Rechts lautete: Zweifellos würden wir eine Dispens erhalten, aber die Trauung würde nicht in der Kirche, sondern in der Sakristei stattfinden. Da sprudelte ich impulsiv hervor: ‚Meine Promotion war im Vorraum vom Häusl. Ich will eine ordentliche Hochzeit. Ich lasse mich taufen.‘ So unrichtig negativ übertreibend meine Worte über den Ort unserer Promotion auch waren, brachten sie in ihrer Spontaneität doch bestens zum Ausdruck, wie sehr uns die seinerzeitige Zurücksetzung bei der zentralen Zeremonie im Leben jedes Akademikers getroffen hatte“. (Nachlass: Lebenslauf, S. 3 f.)
Das Paar lebte ab August 1946 in Wien 9, Tendlergasse 15/3/33, wo sie ihr restliches Leben wohnten. 1947 wurde ihr Sohn Bernhard Krause geboren. (WStLA/Meldearchiv)
Während ihr Ehemann seine Tätigkeit am Anatomischen Institut der Universität Wien 1946 wieder aufnehmen konnte, sich in den Nachkriegsjahren für die Wiederaufnahme eines geregelten Lehrbetriebes engagierte und später Universitätsprofessor für Topografische Anatomie wurde, (Wer ist wer 1951) arbeitete R. K. bis zu ihrer Pensionierung 1980 als Amtsärztin im Gesundheitsamt der Stadt Wien. (Landessanitätsdirektion Wien) Hier war sie zunächst für die Begutachtung der Anträge auf Bewilligung zusätzlicher Lebensmittel aufgrund von Krankheit zuständig. 1950 wurde sie zum provisorischen Oberbezirksarzt bestellt. 1952 übernahm sie am Wiener Gesundheitsamt (Magistratsabteilung 15) in der Gonzagagasse in Wien 1 die Leitung des Referats „Impfungen für Auslandsreisende“, wo sie vor allem mit der Verabreichung von Pockenimpfungen beschäftigt war. Im Zuge des praktischen Einsatzes befasste sie sich auch intensiv mit Fragen der Kontraindikationen und der Impfmeningitis. (Voss 1968, S. 521; Nachlass: Lebenslauf, S. 4) 1956 erhielt R. K. den Amtstitel Physikatsrat und wurde sieben Jahre später in den Rang eines Oberphysikatsrats befördert. (Nachlass: Bestätigungen)
Ab 1965 beschäftigte sie sich auch mit Neuraltherapie und gehörte der Internationalen Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke und der Gesellschaft der Ärzte Wien als außerordentliches Mitglied an. (Who’s who 1988/89; ÖGTP-Nachrichten 4/2005, S. 3) Als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Neuraltherapie bewegte sie auch ihren Mann Walter Krause dazu, diesem Gremium beizutreten. (Voss 1968, S. 521f) Zu den Tagungen der Gesellschaft trugen beide auch als Vortragende bei, R. K. referierte 1966 über „Neuraltherapie bei Pockenschutzimpfungskomplikationen“ und wertete dabei ihre praktischen Erfahrungen in der Behandlung von Impfreaktionen durch Neuraltherapie bei PatientInnen im Gesundheitsamt aus: „Wenn ich Ihnen sage, daß ich nun schon über eineinhalb Jahrzehnte das Referat ‚Impfungen für Auslandsreisende‘ im Gesundheitsamt der Stadt Wien leite, und daß ich dabei allein in den Jahren 1964 und 1965 über 10.000 Pockenimpfungen – und zwar fast ausschließlich Erwachsenenimpfungen – durchgeführt habe, so werden Sie verstehen, wie oft ich in all diesen Jahren durch Meldungen derartiger Erscheinungen bei meinen Impflingen alarmiert wurde. Um so glücklicher war ich, in der Neuraltherapie eine Methode gefunden zu haben, mit der ich solchen Komplikationen in wirkungsvoller Weise entgegentreten kann.“ (Krause 1968, 402; vgl. auch Nachlass: Lebenslauf, S. 4) Im Folgejahr sprach sie über „Weitere Erkenntnisse über Neuraltherapie bei Impfkomplikationen“: „Wenn ich jetzt die Lehre aus meinen 2 Jahren Erfahrung mit der neuraltherapeutischen Behandlung von Impfkomplikationen in einem Satz zusammenfassen darf, so ist es einfach die allgemein gültige ärztliche Regel, daß eben in keinem Gebiet ein starres Behandlungs-Schema anwendbar ist, und daß für die Anpassung an die, sich ändernden pathogenetischen Gegebenheiten, ein gewisses Fingerspitzengefühl nötig ist und immer nötig sein wird.“ (Krause 1968, S. 407) Auch in der Gesellschaft der Ärzte referierte sie über ihre neuraltherapeutischen Behandlungserfahrungen. (Nachlass: Lebenslauf, S. 4)
Aufgrund der Zunahme von Fernreisen – ab 1966 oblag ihrem Referat auch die Betreuung von Tropenreisenden – absolvierte R. K. eine Ausbildung am Tropenmedizinischen Institut in Tübingen/Deutschland sowie mittels Stipendien der WHO zusätzliche Fortbildungen an den Universitäten Paris, Hamburg und Basel. Sie baute ihr Referat zur tropenmedizinischen Beratungsstelle aus. (Nachlass: Lebenslauf, S. 4, 6; Voss 1968, S. 521)
Ab 1968 Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Tropenmedizin und Parasitologie (später auch Vorstandsmitglied und zuletzt Ehrenmitglied) sowie der Schweizer Tropenmedizinischen Gesellschaft erwarb R. K. sich besondere Verdienste um das Wiener Impfwesen. (ÖGTP-Nachrichten 4/2005, S. 3) 1970 folgte die Ernennung zum Stadtphysikus, 1979 erhielt sie – als erster weiblicher Amtsarzt in Wien – den Amtstitel Hofrat. Sie gehörte außerdem als außerordentliches Mitglied dem Obersten Sanitätsrat an und fungierte ab 1977 als stellvertretende Vorsitzende der Prüfungskommission für die Physikatsprüfungen für Ärzte und Tierärzte zur Erlangung einer Anstellung im öffentlichen Sanitätsdienst. (Nachlass: Bestätigungen u. Lebenslauf, S. 6; Öst. Amtskalender 1951 bis 1985/86; Who’s who 1988/89) Neben ihrer Tätigkeit als Amtsärztin und der Führung der Privatpraxis arbeitete R. K. als Theaterärztin. (Auskunft Dr. Isabelle Krause) R. K. gehörte außerdem dem Wissenschaftlichen Beirat der „Mitteilungen der österreichischen Gesellschaft für Tropenmedizin und Parasitologie“ an, in denen seit 1979 die wichtigsten Referate der Jahrestagungen veröffentlicht wurden. (Mitteilungen der ÖGTP)
Obwohl R. K. 1978 das Pensionsalter von 65 Jahren erreichte, wurde ihr Ruhestand auf Bitte des Gesundheitsamts für zwei Jahre aufgeschoben, da kein kompetenter Ersatz für die Leitung der Impfstelle gefunden werden konnte: „Ihre Tätigkeit ist schwierig, erfordert gut fundierte Fachkenntnisse und Kontakt mit einschlägigen medizinischen Einrichtungen und Instituten auf nationaler und internationaler Ebene.“ (Nachlass: Brief der Magistratsabteilung 15, 19.1.1978) Mit ihrer Pensionierung mit 1. August 1980 erhielt sie sodann auch einen Sondervertrag, um als teilbeschäftigte praktische Ärztin noch weitere vier Jahre für das Wiener Gesundheitsamt tätig sein zu können. (Nachlass: Brief der Magistratsabteilung 15, 24.3.1980) Ihre Privatpraxis führte sie noch bis in die 1990er Jahre weiter. (Nachlass: Lebenslauf, S. 5)
1986 erhielt R. K. das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (Amtsblatt Stadt Wien 1986) Gemeinsam mit fünf anderen vertriebenen Medizinstudierenden der Universität Wien wurde ihr am 4. Oktober 1999 durch Rektor Wolfgang Greisenegger und Dekan Wolfgang Schütz ein Ehrendiplom verliehen. (Fleming 2000; Wiener Zeitung, 6.10.1999)
Dr. R. K. starb am 8. November 2004 im Alter von 91 Jahren in Wien und wurde am Wiener Zentralfriedhof bestattet. (Friedhöfe Wien/Verstorbenensuche)
Seit 2009 ist sowohl R. K. als auch Walter Krause jeweils eine Seite im „Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938“ gewidmet. (Kniefacz 2014; Huber/Kniefacz/Posch 2014)

Werke

Neuraltherapie bei Pockenschutzimpfungskomplikationen. In: Voss, H. F.: Deshalb Neuraltherapie (Schriftenreihe des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren e. V. 20), Uelzen, 1968, S. 402–404.
Weitere Erkenntnisse über Neuraltherapie bei Impfkomplikationen. In: Voss, H. F.: Deshalb Neuraltherapie (Schriftenreihe des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren e. V. 20), Uelzen, 1968, S. 405–407.

Literatur / Quellen

Literatur

1553/1953. Vierhundert Jahre Akademisches Gymnasium. Festschrift, Wien, 1953, S. 45.
Amtsblatt der Stadt Wien, Heft 32, Jahrgang 91, 7.8.1986, S. 1.
Cziborra, P.: Frauen im KZ. Möglichkeiten und Grenzen der historischen Forschung am Beispiel des KZ Flossenbürg und seiner Außenlager, Bielefeld, 2010, S. 63, Anm. 278.
Cziborra, P.: KZ Hainichen. Beim Schwarzen Uhu, Bielefeld, 2016.
Fleming, O.: A healing process of sorts. In: The Association of Jewish Refugees (Hg.), AJR Information 55/1, Jan 2000, S. 15.
Freidenreich, H. P.: Female, Jewish, and Educated: The Lives of Central European University Women, Bloomington, Ind., 2002, S. 138.
Fritz, U.: Hainichen. In: Benz, W. / Distel, B.: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München, 2006, S. 132–136.
Huber, A. / Kniefacz, K. / Posch, H.: Walter Krause. In: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, 2014 [http://gedenkbuch.univie.ac.at/index.php?person_single_id=40877].
Kniefacz, K.: Rita Smrčka (verh. Krause). In: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, 2014 [http://gedenkbuch.univie.ac.at/index.php?person_single_id=12665].
Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Tropenmedizin und Parasitologie (ÖGTP), [http://www.landesmuseum.at/datenbanken/digilit/?serienr=1351]
ÖGTP-Nachrichten 4, Sep 2005, S. 3 [http://www.vu-wien.ac.at/i116/oegtp/downloads_oegtp/OEGTP_Nachrichten_4.pdf]
Onion, R.: A Plea for Help From Nazi-Occupied Austria. In: The Vault, 2013 [http://www.slate.com/blogs/the_vault/2013/02/05/rita_smrcka_letter_written_to_a_philadelphia_pediatrician_seeking_a_sponsor.html]
Österreichischer Amtskalender 1951 bis 1985/86 (19.–53. Jahrgang), Wien, 1951–1981.
Smerz, C.: Samuel X Radbill collection, 2010 [http://clir.pacscl.org/2010/11/08/samuel-x-radbill-collection/]
Universität Wien ehrte Vertriebene. In: Wiener Zeitung, 6.10.1999, S. 10.
Wer ist wer in Österreich, Wien, 1951. (Walter Krause)
Who is Who in Österreich, 1. Ausgabe, Zürich, 1979, S. 316.
Who is Who in Österreich, 7. Ausgabe, Cham, 1987/88, S. 592.
Who is Who in Österreich, 8. Ausgabe, Cham, 1988/89, S. 592.

Quellen

Archiv der Universität Wien (AUW), Medizinische Fakultät: Nationale Wintersemester 1932/33 bis Wintersemester 1937/38; Promotionsprotokoll (PP) Nr. 4167
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), 50072/XLII, 23201, 20100/6283.
Friedhöfe Wien: Verstorbenensuche [http://www.friedhoefewien.at/grabsuche_de]
Häftlingsdatenbank KZ Flossenbürg, erstellt von Pascal Cziborra [http://www.lorbeer-verlag.de/52817-53422GundelsdorfFlossenbuergHainichen.html]
Österreichisches Biographisches Lexikon, Datenbank: Projekt „Schicksale jüdischer Ärzte in Wien“, freundlicher Hinweis von Dr. Christine Kanzler.
Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR), Abteilung Finanzen (06): Rückstellungsakten der Finanzlandesdirektion (FLD), Akt zu Rita und Leo Smrčka; Vermögensverkehrsstelle (VVSt), Vermögensanmeldung (VA) Nr. 29830 (Julius Smrčka), 29831 (Rita Poldi Smrčka) u. 29832 (Olga Smrčka).
Privatsammlung Dr. Isabelle Krause, Wien, Nachlass von Rita Krause und Walter Krause [Lebenslauf, undatiert (um 1999), diverse Ausweise und Urkunden, Bestätigungen der Haftzeiten in Konzentrationslagern, Bestätigungen und Zeugnisse der beruflichen Tätigkeiten als Ärztin etc.]
Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Historische Meldeunterlagen, Auskunft vom 26. März 2014.

BiografieautorIn:

Katharina Kniefacz