Schmida, Susanne
Philosophin, Tänzerin, Pädagogin für künstlerischen Tanz und Gymnastik, Gründerin des „Bundes für neue Lebensform“, Gründerin des Institutes Dr. Schmida
Herkunft: Die Familie mütterlicherseits war aus besitzendem Bürgertum mit starken Verbindungen zum Adel. Die Abstammung der Vorfahren ist unbekannt. Um 1770 wurde ein flüchtendes französisches Ehepaar tot in einer Kutsche gefunden. Das ebenfalls in der Kutsche befindliche Kind, mit einem adeligen Wappen um den Hals, wurde von einem Grafen Wlcek aufgezogen. Er nannte es nach dem Namen des Ortes, in dessen Nähe es aufgefunden worden war (Wöllersdorf in Niederösterreich). Der Sohn dieses ersten Wöllersdorfer wurde Burggraf bei Wlcek in Königsberg. Er war der Urgroßvater S. Sch.s.
Der Vater Hugo Schmida war Sohn eines Webekammerzeugers und einer Müllerstochter. Er verlor beide Eltern sehr früh und wurde von einer Gastwirtin in Brünn aufgezogen. Nach Absolvierung der Volksschule kam er zu seinem Onkel nach Wien und lernte Handel. Er wurde später Direktor einer Wiener Niederlassung der Firma Thonet.
Ausbildung: 5-jährige Volksschulausbildung in Wien, Wechsel zur Bürgerschule, Privatunterricht, 4-jähriger Gymnasialkurs für Mädchen an den Schwarzwaldschen Schulanstalten Wien; Matura als Externe am Mariahilfer Knabengymnasium; 1913 Inskription an der Wiener Universität in den Fächern Philosophie, Geschichte und Altertumskunde; 1919 Dissertation („Die Philosophie der ewigen Wiederkehr“ PN 4678).
LebenspartnerInnen: 1913 Bekanntschaft mit dem späteren Philosophen und Übersetzer Viktor Brod in den Lehrveranstaltungen Robert Reiningers; 1914: Viktor Brod meldete sich als Einjährig-Freiwilliger im Krieg, geriet in russische Kriegsgefangenschaft und kehrte erst 1920 wieder zurück. 1923 Heirat mit Viktor Brod. Beide gestanden sich außereheliche Beziehungen zu. Arbeits- und Liebesbeziehung zur Tänzerin und Tanzpädagogin Hilda Hager.
Laufbahn: Schon in der Kindheit zeigte sich S. Sch.s Interesse für Kunst allgemein und das Dramatische im Speziellen. 1918 theoretischer Zugang zum Drama, zusammengefasst im Buch „Neue Feste. Gedanken zum Drama der Zukunft.“, welches mithilfe von Prof. Franz Strunz (Leiter der Wiener Urania) veröffentlicht wurde. Dramen mit Titeln, wie „Die Rettungslosen“, „Urtig, der Bauherr“ oder die „Blutende Stadt“, die der geistigen Neuorientierung dienen sollten, blieben ohne Erfolg. 1921: S. Sch. begründete den Reiningerkreis; 1923 Umarbeitung ihrer Dissertation in „Über das Endliche, das Ewige und das Tragische“.
Ab 1926 besuchte S. Sch. die Gymnastik- und Tanzkurse bei Hilda Hager; ab 1928 Atem- und Yogaübungen; Yoga kannte S. Sch. aller Wahrscheinlichkeit nach aus Büchern. Sie besaß unter anderem eine Übersetzung eines Werkes des indischen Yogalehrers Sivananda. Vermutlich gab es auch Verbindungen zum Prager Okkultisten-Kreis. Indische Philosophie war S. Sch. schon von ihrem Philosophieprofessor Robert Reininger bekannt. Auch das „Reisetagebuch eines Philosophen“ von Hermann Keyserling übte entscheidenden Einfluss aus. 1934 Gründung einer Gymnastik- und Tanzschule in der Schottengasse 7/II, 1010 Wien (Hilda Hager unterrichtete dort Gymnastik und Tanz, S. Sch. lehrte Atem- und Konzentrationsübungen und hielt philosophische Vorträge).
1937 wurde diese Schule wieder aufgegeben; S. Sch. eröffnete eine Schule in der Rathausstraße 17/5, 1010 Wien. Dort unterrichtete sie „Kurse für körperliche und geistige Ausbildung“. Lehrziele waren die Gymnastiklehramts- und Bühnenprüfung sowie philosophische Prüfungen.
1938 – 1940 Verfassung von „Das himmlische Jahr“ und „Es sind die Götter“ (1990 im Diederichs Verlag neu aufgelegt)
In „Es sind die Götter. Darstellung der menschlichen Urtypen und ihrer Schicksale“ beschrieb S. Sch. die zwölf Archetypen, die in jedem Menschen angelegt sind: Demeter, die große Mutter, Apollo, der Kämpfer und Held, Artemis, die Prophetin, Kronos, der Weise, Shiva, der Willensmensch, Dionysos, der Genussmensch − all diese mythologischen Gestalten verkörpern bestimmte Entwicklungsprinzipien. S. Sch. ging davon aus, dass, wer ihr Wesen erfassen und die damit verknüpfte Aufgabe verstehen kann, auch sehr viel über sich selbst erfahren wird. Jeder dieser Archetypen wird ausführlich und systematisch behandelt und mit Entsprechungen in anderen Kulturen ergänzt.
1942 Zunehmende Probleme mit dem Nationalsozialisten Alois Brunner (einer der wichtigsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns), bedingt durch die jüdische Abstammung Viktor Brods. Flucht Viktor Brods nach Triest. S. Sch. erklärte ihren Gatten für tot. 1945 Rückkehr Viktor Brods aus einem Gefangenenlager in Kalabrien.
Jänner 1946 Tanzspiel „Tempelgang“ von S. Sch. im Wiener Volkstheater; 17., 14. und 28. April 1946 drei Ecce Homo Vorträge im Wiener Konzerthaus; später Fortsetzung dieser Vortragsreihe in der Rathausstraße; 1947 Tanzaufführung im Großen Konzerthaussaal; gezeigt wurden unter anderem „Der Gaukler“, ein Tanzdrama S. Sch.s, sowie „Der Erlkönig“, ein von ihr gestaltetes Tanzspiel nach Goethe.
Am 28.9.1949 überreichte S. Sch. bei einem Treffen des Reiningerkreises ihrem Lehrer Robert Reininger anlässlich seines 80. Geburtstages die gemeinsam mit Erich Heintel herausgegebene Festschrift „Philosophie der Wirklichkeitsnähe“. 1952 bat ein Pelzhaus S. Sch. um einen Lokaltausch und zahlte hierfür eine größere Summe an Ablöse. Mit einem Teil dieses Geldes gingen S. Sch.s Bücher „Theater von morgen“ und „Es sind die Götter“ beim Verlag Sexl in Druck. Übersiedlung der Schule in die Lehárgasse 1/2, wo sich das Institut Dr. Schmida heute noch befindet. 1952 Tod Hilda Hagers in Capri, bedingt durch einen Sturz. 1956: 100 Exemplare des „Himmlischen Jahres“ wurden vervielfältigt. Die 450 Seiten dieses Werkes bildeten die Basis für die wöchentlich im Institut Dr. Schmida stattfindenden rituellen Abende.
Um bei S. Sch. studieren zu können, musste man sich in die Schule einschreiben. Man erhielt je nach Jahrgang Unterricht in Fächern wie Gymnastik, Tanz, Meditation und Philosophie. Nach einer vierjährigen Schulung wurde man durch das Ritual der Einweihung zum Vollmitglied des „Bundes für neue Lebensform“ und konnte an den rituellen Treffen, die immer donnerstags stattfanden, teilnehmen. Diese Treffen begannen mit einer Lesung aus dem Himmlischen Jahr und einer Ansprache von S. Sch., gingen über in rituelle Tänze und endeten mit einer Meditation.
1957/58: Verfassung der „Präligio mystica universalis“; in diesem Werk zeigt sich der Einfluss der Lebensreformbewegung auf S. Sch. Für den Druck des Skripts, welches den „Bund für neue Lebensform“ theoretisch untermauert, fand sich jedoch kein Verleger. Zu dieser Zeit fühlte sich S. Sch. zwiespältig, ob sie mehr dramatische Dichterin, Philosophin oder künstlerische Tänzerin sei. In ihrer Schule fand sie eine Verbindung der unterschiedlichen Interessen. Die Schrift ist in Dialogform (Frage und Antwort) verfasst und in mehrere Teile gegliedert. Vieles erinnert an Reiningers Philosophie. Basis der „Präligio Mystica Universalis“ ist die Nachinnenwendung, die durch die Methode des Yoga vollzogen wird. Die Konsequenz daraus ist ein Umwertung aller Werte: das Wertbewusstsein verlagert sich immer mehr in die Tiefe und wird unabhängig von den Erscheinungen des äußeren Daseins. Hilfsmittel der Veranschaulichung der geistigen Werte der „Präligio Mystica Universalis“ sind Riten und Rituale.
Große Bedeutung wird neben der Berufsausbildung einer ästhetischen und ethischen Erziehung sowie der Übung der Nachinnenwendung beigemessen. Ästhetische Erziehung beginnt mit der Schulung des Körpers. Um all dies zu erreichen soll ein geistiges Zentrum erschaffen werden, dessen Niveau dem einer Universität entspricht. Gleichzeitig sollen aber auch die vorbereitenden Schulungen dort stattfinden, weshalb dieses Zentrum nur in Form einer (hauptsächlich von Frauen geleitenden) Siedlung realisiert werden kann.
1955: Der Tod ihres Lehrers Robert Reininger machte eine Universitätslaufbahn unrealistisch; dies gab den Impuls zur Verfassung des vierbändigen Werkes „Die Perspektiven des Seins“.
1968 Veröffentlichung der „Perspektiven des Seins. Band 1: Systematik. Die vier Aspekte der Erkenntnis“, im Ernst Reinhardt Verlag.
Im ersten Band der „Perspektiven des Seins“ beruft sich S. Sch. auf ihren Lehrer Robert Reininger, der die philosophische „zentrale“ Betrachtung von der „peripheren“, der empirischen Erfahrung, unterschied. Schematisch dargestellt wird dies durch einen Mittelpunkt mit einer Reihe von konzentrischen Kreisen, welche gleichzeitig den Stufenbau des Bewusstseins darstellen. Die Kreise symbolisieren alle Einzelheiten und Zusammenhänge der jeweiligen Bewusstseinsstufe. Das Merkmal der „peripheren Betrachtungsweise“ besteht darin, dass sie an der Peripherie eines der Kreise stattfindet. Die „zentrale Betrachtungsweise“ dagegen durchläuft alle Kreise jeweils in der Richtung zum oder vom Mittelpunkt her. Diese Bewegung in die radiale Richtung nannte Reininger „Transformation“. Er dachte sie in seinen früheren Werken als in der Zeit verlaufend, später aber als intentionales, zeitloses Verhältnis.
Durch diese Erkenntnis wird die vierte Dimension dem bisher dreidimensionalen Bau der Erkenntnis hinzugefügt. Alles, was bislang in einem starren Entweder-Oder festgefahren und daher unlösbar geworden war, erschien nun in fließenden Übergängen dynamisch verbunden. In den „Perspektiven des Seins“ behandelt S. Sch., wie bei der Lösung philosophischer Fragen die Erkenntnis der Dimensionen des Bewusstseins eine Rolle spielen kann.
In den 60-er Jahren erreichte die Schule S. Sch.s die größte SchülerInnen-Zahl. Ihre Lehre, deren Ursprung in der Gymnastik-Bewegung der 20-er Jahre liegt, erlangte in der Hippie-Zeit neue Popularität.
22.9.1969: Tod Viktor Brods.
1970: Veröffentlichung von „Die Kategorien der Psychologie. Perspektiven des Seins, II. Band“, Ernst Reinhardt-Verlag, München, Basel.
Der zweite Band der „Perspektiven des Seins“, „Die Kategorien der Psychologie“, behandelt die Problematik der Psychologie, zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hin und her gerissen zu sein. Zeitweilig scheint sie untergegangen in reiner Verhaltensbeschreibung. S. Sch. untersucht die Problematik, ob Psychologie, überhaupt noch eine Wissenschaft sein kann, da sie die Seele untersucht, der man keine Realität im üblichen Sinn zuschreibt. Auch hier greift S. Sch. auf die Lehre Robert Reiningers zurück, nämlich den Transformationsbegriff und erklärt die Psychologie zu einer Grundlagenwissenschaft.
1970 (Angabe S. Sch.): „Raumliniengymnastik, gr. Meditation, Eros, Tod und Geburt“.
1973: Veröffentlichung von „Strukturen des Selbstbewusstseins. Perspektiven des Seins, III. Band“, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel.
Im dritten Band der „Perspektiven des Seins“ begibt sich S. Sch. auf die Suche nach der Struktur einer Nachinnenwendung. Sie errichtet ein philosophisch-meditatives Gedankensystem, das dem Niveau der Wissenschaft gerecht werden will. Zwei Wege arbeitet sie hierbei heraus: einerseits den Weg der Wandlung und Rückwendung des Bewusstseins (nach dem Prinzip des Stufenbaus des Bewusstseins nach Robert Reininger), andererseits den Weg des Yoga, da sich hier Individuation und Universalisation wechselweise bedingen und durchdringen.
1976: Veröffentlichung von „Makrokosmos, Perspektiven des Seins IV. Band“, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel.
Im vierten Band der „Perspektiven des Seins“ beschreibt S. Sch. ein sowohl den westlichen Dualismus, der auf Descartes zurückgeht, als auch den östlichen Idealismus übersteigendes Weltbild. Dieses geht auf die Hypothese der Allbeseelung zurück, die sich dem Menschen durch Erlebnisse in der Versenkung eröffnet und gleichzeitig in der Annahme mehrdimensionaler Räume begründet ist. Das Werk zeigt eine Möglichkeit auf, Erkenntnisse der Philosophie und Esoterik der östlichen Welt mit denen der modernen Physik und Biologie zu vereinigen und soll so helfen, die Zerrissenheit der modernen Weltsicht zwischen Materialismus und Phantastik zu überwinden.
In den 70-er Jahren verfasste S. Sch. ein selbst vervielfältigtes Heft „An die revoltierende Generation, utopische Konsequenzen aus dem Yoga“, 100 Seiten; kein Verleger wurde dafür gefunden. März 1980 Verleihung des Berufstitels „Professor“.
Verkehrsflächenbenennung: 1220 Wien, Susanne-Schmida-Gasse.
Am 1. Dezember 1981 starb S. Sch. im Institut Dr. Schmida.
Werke
Neue Feste, Gedanken zum Drama der Zukunft, Orion-Verlag Wien, Leipzig, 1918.
Die Philosophie der ewigen Wiederkehr, Dissertation, 1919; 1923 umgearbeitet zu: Über das Endliche, das Ewige und das Tragische.
Vom Sinn der Endlichkeit, 3 Vorträge, Walter Seifert Verlag, Stuttgart, Heilbronn, 1923.
Theater von morgen, Verlag A. Sexl, Wien, 1950.
Es sind die Götter: Darstellung der menschlichen Urtypen und ihrer Schicksale, Diederichs Verlag, München, 1990 (Erster Druck nach Angaben Susanne Schmidas: 1952)
Das Himmlische Jahr, Vervielfältigung von 100 Exemplaren, 1956.
Präligio mystica universalis, Vervielfältigung 1962.
Perspektiven des Seins, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel, 1968.
Die Kategorien der Psychologie, Perspektiven des Seins II. Band, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel 1970.
Raumliniengymnastik, gr. Meditation, Eros, Tod und Geburt, 1970.
Strukturen des Selbstbewusstseins, Perspektiven des Seins III. Band, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel, 1973.
Makrokosmos, Perspektiven des Seins IV. Band, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel, 1976.
An die revoltierende Generation, utopische Konsequenzen aus dem Yoga, ein in 70-er Jahren selbst vervielfältigtes Heft, 100 Seiten.
Von der Gymnastik zum Tanz. Das Buch von der leiblichen Zucht für Lehrende und Lernende, o. J.