Schirmann, Marie Anna
Physikerin
Matura am 15. Juli 1914. Ab WS 1914/15 8 Semester Studium der Physik und Mathematik, Universität Wien; 1918 Promotion; Mitarbeiterin und wiss. Assistentin des k. k. Flieger–Radio–Versuchslaboratoriums am Elektrotechnischen Institut der Technischen Hochschule in Wien; 1919 Reisestipendium zu wiss. Ausbildungszwecken in Schweden; 1920 Mitarbeiterin am physikalischen Institut in Uppsala unter Direktor Professor G. Granqvist; 1921 Erfindung einer Röntgenröhre, 1922 Ass. am III. Physikalischen Institut, Uni. Wien, ab WS 1922/23 bis 1929/30 außerordentliche Assistentin für Hochvakuumphysik am II. Physikalischen Institut bei Prof. Felix Ehrenhaft, Uni. Wien; 1924 Patent für die Quecksilberdampf–Extremvakuumpumpe; Verlängerung ihrer Dienstzeit am II. Physikalischen Institut war vorgesehen, jedoch Deportation nach Modiliborzyce bei Lublin. M. A. Sch. wurde wahrscheinlich Opfer des Holocaust.
Besuchte verschiedene Schulen in Österreich und Deutschland. Nach dem Tode ihres Vaters 1914, trat sie in die 8. Klasse des Mädchenobergymnasiums des Vereins für erweiterte Frauenbildung in 1060 Wien, Rahlgasse ein. Reifeprüfung am 15. Juli 1914. Ab dem WS 1914/15 acht Semester Studium der Physik und Mathematik an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. 1918 Promotion mit der Dissertation „Dispersion und Polychronismus des polarisierten Lichtes, das von Einzelteilchen von der Größenordnung der Wellenlänge des Lichtes gebeugt wird“. Ihre Arbeit wurde am 6. Juni 1918 in der Sitzung der Akademie der Wissenschaften von Professor Lecher vorgelegt und in den „Annalen der Physik“ veröffentlicht.
Gegen Ende des siebten Semesters wurde sie von Universitätslehrern dem k. u. k. Kriegsministerium in Wien als Physikerin empfohlen. M. A. Sch. bestand unter mehreren Kandidaten die Fachprüfung mit dem Thema „drahtlose Telegraphie“ und wurde an das k. k. Flieger–Radio–Versuchslaboratorium am Elektrotechnischen Institut der Technischen Hochschule in Wien zugeteilt. Dort wirkte sie ein Jahr lang als wissenschaftliche Assistentin und Mitarbeiterin und führte theoretische und praktische Arbeiten über „Elektronenröhren“ aus. Ihr nächstes wissenschaftliches Interesse galt den meteorologischen Anwendungsgebieten ihrer Dissertationsresultate. Dabei entstanden ihre Arbeiten über Himmelspolarisation und Himmelspolychronismus. Im Juli 1919 erhielt sie vom akademischen Senat der Universität Wien ein Reisestipendium zu wissenschaftlichen Ausbildungszwecken in Schweden. Von Anfang März 1920 bis September 1920 arbeitete sie im physikalischen Institut in Uppsala mit dem dortigen Direktor Professor G. Granqvist, der auch Präsident der Nobelkommission für Physik war. Im Jahre 1921 war M. A. Sch. mit der Erfindung einer neuartigen Röntgenröhre mit Drehanode beschäftigt. Für diese Erfindung erwarb sie das Patent. Im März und April 1922 übernahm sie die Vertretung eines Assistenten am III. Physikalischen Institut der Wiener Universität. Ab dem Wintersemester 1922/23 bis 1929/30 ist sie Assistentin am II. Physikalischen Institut der Universität Wien bei Professor Felix Ehrenhaft. Ehrenhaft hatte sich bereits 1918 um die Veröffentlichung ihrer Dissertation in den „Annalen der Physik“ bemüht. In ihrer Tätigkeit als außerordentliche Assistentin setzte sie sich mit verschiedenen Arbeitsgebieten auseinander. Von 1923 an beschäftigte sie sich mit dem damals wenig bekannten, aber zukunftsreichen Gebiet der Hochvakuumphysik. Sie errichtete eine Hochvakuumanlage zur Erforschung der physikalischen Erscheinung in höchsten Vakua. M. A. Sch. musste die Methoden zur Erzeugung, Erhaltung und Messung extremster Vakua erst selbst entwickeln. Ihre vorläufigen Ergebnisse trug sie 1924 auf der Tagung deutscher Naturforscher und Ärzte in Innsbruck vor. Im Jahr 1924 erwarb sie das Patent für die Quecksilberdampf–Extremvakuumpumpe, eine sehr leistungsfähige Hochvakuumpumpe. Diese fand in einer Reihe von wissenschaftlichen und technischen Laboratorien im Inland sowie im Ausland Verwendung. 1926 konnte sie die Reibungselektrizität zwischen festen Körpern und Gasen feststellen. Nach Ablauf ihrer sechsjährigen Tätigkeit als außerordentliche Assistentin wurde nach kommissioneller Prüfung ihre Dienstzeit um weitere zwei Jahre verlängert.
Am 4. März 1941 wird M. A. Sch. gemeinsam mit 998 jüdischen ÖsterreicherInnen nach Modiliborzyce bei Lublin deportiert. Aus diesem Transport sind nur 13 Überlebende bekannt. M. A. Sch. ist vermutlich im Holocaust umgekommen.
Werke
Dispersion und Polychronismus des polarisierten Lichtes, das von Einzelteilchen von der Größenordnung der Wellenlänge des Lichtes abgebeugt wird. SB IIa 127/63, 1914, s. a. Annalen der Physik 59, 1919.
Zur Theorie der Doppelgitter, I. Ein elektrostatisches Problem. Ann. d. Phys. 62, 97, 1920.
Neue theoretische Untersuchungen über die Polarisation des Lichtes an trüben Medien und deren Konsequenzen über die Probleme der atmosphärischen Polarisation. Meteorolog. Zeitschr. 12, 12, 1920.
Bericht über die Optik kleinster Teilchen mit besonderer Berücksichtigung neuerer experimenteller Forschung., Jahrb. d. Radioaktiv. u. Elektronik, 18, 22, Heft 1, 1921.
Die Erzeugung extremster Vakua durch erkaltende hocherhitzbare Metalle als Sorbentien (spez. Wolfram). Phys. ZS. 27, 743., 1926.
Physikalische Methoden, 1928.
Gem. m. Gillern, K. / Hussa, V.: Ultraviolett bestrahlte Milch als Antirachitikum, 1928.
Über den Einfluss der Gase im Glas auf lichttechnische Fragen, E. u. M. 47, Heft 47, 1, 1929.
Die physikalisch-technischen Methoden der Elektromedizin und ihre Apparaturen, 1934.
Neue Fortschritte in der Hochvakuumforschung. Forschungen und Fortschritte, Korresp. Blt. d. deutschen Wissenschaft und Technik, Berlin, 3, 158, Nr. 20, 1927.
Literatur / Quellen
www.doew.at/holocaust/
lise.univie.ac.at/physikerinnen/historisch/marie_anna-schirmann.htm
Universitätsarchiv Wien: Personalstandsverzeichnis der Universität Wien für die entsprechenden Jahre, Rigorosenakt PN 4533, Personalakt Nr. 3298.