Potetz Helene; Decknamen: Herma, Mizzi, Lisl, Irene; Gemeinderätin, Landtagspräsidentin und Widerstandskämpferin
Geb. Wien, 3.8.1902
Gest. Wien, 3.9.1987
H. P. wurde am 3. August 1902 in Wien-Erdberg als Tochter der Anna und des Thomas Potetz, eines Bäckers, in armen Verhältnissen geboren. Nach dem Abschluss der Bürgerschule trat sie 1916 als Büropraktikantin in einen textiltechnischen Betrieb ein. Im Abendunterricht absolvierte sie drei Klassen einer kaufmännischen Fortbildungsschule und arbeitete sodann in derselben Firma vierzehn Jahre lang als Stenotypistin. Durch ihren Vater, einen aktiven Sozialdemokraten, fand H. P. schon früh Anschluss an die Arbeiterbewegung. Als Zehnjährige kam sie zu den Kinderfreunden. 1918 trat sie der Sozialistischen Arbeiterjugend, Sektion Wien-Landstraße bei, in der sie als Obfrau sowie Leiterin der Mädchensektion tätig war. 1922 wurde H. P. Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und war als Vertrauensfrau und Bibliothekarin zunächst in der Bezirksorganisation Landstraße, dann in Wien-Meidling engagiert. Ab 1932 war sie in der Bildungszentrale der Partei unter Josef Luitpold Stern angestellt. Nach dem Verbot der Partei 1934 setzte sie ihre Tätigkeit in den Reihen der Revolutionären Sozialisten (RS(Ö)) fort und stand in engem Kontakt mit dem Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten (ALÖS) in Brünn. Außerdem war sie für den illegalen Literaturvertrieb zuständig und schmuggelte die in der Tschechoslowakei hergestellte „Arbeiter Zeitung“, Flugblätter und andere Schriften nach Österreich. Wegen dieser Tätigkeit wurde sie im Juni 1934 zu einer dreißigtägigen Arreststrafe verurteilt. Im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an der 1. Reichskonferenz der Revolutionären Sozialisten („Brünner Konferenz“) zu Jahreswechsel 1934/35 von der Polizei gesucht, lebte sie unter falschem Namen in Wien, Brünn und Prag. Im November 1937 wurde H. P. erneut verhaftet, das gegen sie eingeleitete Verfahren wegen Hochverrats wurde jedoch im Zuge der Februaramnestie 1938 eingestellt. Nach ihrer Freilassung arbeitete sie ab Mai 1938 als Korrespondentin in einem pharmazeutischen Unternehmen und nahm ihre Kontakte zum ALÖS wieder auf. Am 22. August 1939 wurde H. P. im Zuge einer Verhaftungswelle gegen Angehörige der illegalen Arbeiterbewegung abermals festgenommen. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat wurde sie im November 1940 vom Oberlandesgericht Wien zu zwei Jahren und einem Monat Haft und zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe im Zuchthaus Aichach in Oberbayern wurde H. P. ins Konzentrationslager Ravensbrück überstellt. Dort wurde sie zur Zwangsarbeit für einen deutschen Textilbetrieb verpflichtet. 1943 durfte sie anlässlich des Begräbnisses ihrer Mutter nach Wien zurückkehren, wo die Gestapo versuchte, sie als Konfidentin anzuwerben. Da H. P. dieses Ansinnen zurückwies, wurde sie ins Lager zurückgebracht.
Nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee blieb sie dort zur Betreuung kranker Insassen, bis sie im Juli 1945 nach Wien zurückkehren konnte. Nach kurzer Mitarbeit bei der „Volkssolidarität“ wurde sie Redaktionssekretärin bei der Zeitschrift „Die Frau“, eine Tätigkeit, die sie siebzehn Jahre lang ausübte. H. P., die sich nach dem Krieg auch für die Kinder justifizierter Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer engagierte, adoptierte selbst einen zurückgelassenen zweijährigen Buben. Im November 1945 wurde sie in den Wiener Gemeinderat und Landtag delegiert, wo sie in den Ausschüssen für Wohlfahrtsangelegenheiten, Bauangelegenheiten sowie für das Wohnungs-, Siedlungs- und Kleingartenwesen tätig war. 1954 erfolgte ihre Bestellung zu einer der sechs Vorsitzenden des Wiener Gemeinderats. 1959 wurde sie als erste Frau zur dritten Präsidentin des Wiener Landtags gewählt. Von 1945 bis 1963 war H. P. Mitglied des Frauenzentralkomitees der SPÖ. Sie blieb der Bezirksorganisation Meidling verbunden, in der sie unter anderem die Funktion einer Frauenvorsitzenden inne hatte. 1967 legte sie alle politischen Funktionen zurück. Danach war sie im Verband der österreichischen Rentner und Pensionisten (später Pensionistenverband Österreichs), dessen Vorstandsmitglied sie war, und im Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung aktiv. H. P. ist auch als Verfasserin von Artikeln in der sozialdemokratischen Presse hervorgetreten. Sie war Trägerin zahlreicher Auszeichnungen und Ehrungen, u.a. der Otto Bauer-Plakette (1968), der Viktor Adler-Plakette für besondere Verdienste um die Arbeiterbewegung (1976), des Großen Goldenen Ehrenzeichens des Landes Wien (1972), des Ehrenzeichens um die Befreiung Österreichs (1977) sowie des Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich. Sie starb 1987 in einem Wiener Pensionistenheim. In Meidling wurden 1990 eine städtische Wohnhausanlage und 2006 ein Weg nach H. P. benannt.
Qu.: VGA, Personenarchiv, Lade 22, Mappe 70. DÖW 1.580, 6.183, 7.948, 7.656, 8.050, 16.234, 16.235, 19.377/1, 20.000/P427, 50329. DÖW, Interviewsammlung Erzählte Geschichte, Interview 280.
L.: Amtskalender, Berger 1987, Bousska 1996, Dokumentationsarchiv 1998, Helene Potetz – 80. Geburtstag. In: Sozialistische Korrespondenz, 30. Juli 1982, Helene Potetz – 80 Jahre. In: Archiv. Mitteilungsblatt des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft 3/1982, S. 58f.
Christine Kanzler