Paneth, Marie
Malerin, Sozialpädagogin und Kunsttherapeutin
Im Jahr 1920 lernt M. P. Sigmund Freud kennen; kurz darauf zieht sie mit ihrem Ehemann in das damalige Niederländisch-Ostindien (heute Indonesien). Später lässt sie sich mit ihrem Mann in New York nieder, wo sie ihre Werke u. a. 1939 in der Society of Independent Artists ausstellt. Den Großteil des Krieges verbringt sie in Großbritannien. Hier wird die Straffälligkeit von Kindern und Jugendlichen, die während des Blitzkrieges in Armut und unter Gesundheitsproblemen leidend ohne familiären Rückhalt leben, zunehmend zum Problem. Die traumatisierten Jugendlichen haben in Luftschutzbunkern und Flüchtlingszentren keinen Raum zum Spielen und zeigen extrem deviantes Verhalten. In London startet M. P. ein sozialpädagogisches Projekt; sie liest zahlreiche Slumkinder in den Straßen auf, die zu gewalttätig sind, um in Flüchtlingszentren zu leben und bringt sie in ein Spielhaus (”play shelter“) in einem abbruchreifen Gebäude mit ehemaligem Luftschutzbunker in der Branch Street. M. P.s erzieherische Methode weicht stark von den pädagogischen Idealen der Zeit ab. Sie tritt für einen entspannten, antiautoritären Umgang ein und lässt die Jugendlichen ihre wütenden und gewalttätigen Ausbrüche ausagieren, um eine kathartische Wirkung zu erreichen. M. P. hält ihre MitarbeiterInnen an, den Jugendlichen das Ausagieren ihres Zorns zu ermöglichen, bis sie selbst genug davon hätten. Ihren Schützlingen gibt sie, wie auch Kindern in anderen Einrichtungen zuvor, Material zum selbstständigen, ohne Regeln geleiteten Malen und Zeichnen. Dieser von Čižek inspirierte Zugang zur Kunsterziehung bei Kindern schlägt in der Branch Street erstmals fehl und resultiert in Attacken gegen die Einrichtung und die ErzieherInnen. Als die Kinder auch noch den Spielplatz zerstören, kündigen die MitarbeiterInnen. M. P. behält ihre Methode jedoch bei und lässt die Kinder so spielen, wie sie es auf der Straße gelernt haben. Sie präsentiert ihnen einen ausgebombten Platz, an dem alle gemeinsam mittels zusammengesammelten Baumaterials einen neuen Spielplatz errichten. Weiters erbauen sie eine Feuerstelle, ein selbstverwaltetes Café, u. a. Das partizipatorische Branch Street-Projekt nützt das kindliche Spiel zum Bau und Erhalt von Gemeinschaft: Die Jugendlichen können sich mit einem gemeinsamen Ort und einem gemeinsamen Projekt identifizieren und, indem sie selbst Verantwortung übernehmen, in den zerbombten und zerstörten Orten ihrer Stadt etwas Neues aufbauen. Das Projekt ist ein großer Erfolg, die Jugendlichen gewinnen sukzessive Vertrauen zu ihren „Hausvätern“ und „Hausmüttern“ und ändern ihre Einstellung zu Autorität. Sie können sich bald sicher sein, die Erwachsenen auf ihrer Seite zu haben und als eigene Persönlichkeiten in ihren Sorgen und Bedürfnissen ernst genommen zu werden. Später wird M. P. angeben, ihre Erziehungsmethode sei auch politisch motiviert: Zur Formung verantwortungsbewusster, selbstdisziplinierter demokratischer Subjekte bedarf es eines Identifikationsobjektes, das sich nicht in einer politischen Leitfigur wie einem Diktator manifestiert. M. P.s Ideen, allen voran die Idee des Abenteuerspielplatzes (”adventure playground“, ”junk playground“) sind bis heute fester Bestandteil der Theorie zur Jugendarbeit. M. P. arbeitet auch nach dem Krieg in Großbritannien mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die aus Konzentrationslagern befreit worden waren. Auch hier setzt sie ihre kunsttherapeutischen Methoden erfolgreich ein. In den frühen fünfziger Jahren geht sie zurück nach New York und ab den späten Sechzigern lebt sie in Frankreich. M. P.s Werke sind im Rahmen von Sammelausstellungen österreichischer KünstlerInnen ausgestellt worden.
Werke
Branch Street. A Sociological Study. G. Allen & Unwin Ltd, University of Minnesota, 1944.
Rebuild those lives. In: Free World. April, 1946.
Literatur / Quellen
„Marie Paneth papers 1938-1968“ in der handschriftlichen Abteilung der Forschungsbibliothek des U.S.-Kongresses (Washington, D.C.).
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Erzählte Geschichte. Berichte von Berichte von Männern und Frauen in Widerstand wie Verfolgung. Bd.3: Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten. Wien, 1992.
Koslovsky, R.: Adventure Playgrounds and Postwar Reconstruction. In: Gutman, M. / de Coning-Smith, N. (Hg.): Designing modern childhoods: History, Space and Material Culture of Children: An International Reader. Rutgers, 2007.
Koslovsky, R.: The Junk Playground. Creative destruction as antidote to delinquency. 2006.