Monschein Johanna; Diplomatin, Bibliophile und Forscherin

Geb. Wien, 16.12.1907
Gest. Wien, 14.5.1997

Herkunft, Verwandtschaften: Ältere Tochter des Staatsbeamten Dr.iur. Karl Monschein (1872-1945) und seiner Frau Theresia (1880-1983); Schwester Karoline, verehel. Neider; Neffe Sekt.-Chef Dr. Michael Neider.

LebenspartnerInnen, Kinder: J. M. blieb unverheiratet und kinderlos.

Beziehungen, Freundschaften, Bekanntschaften: In ihre Jugendzeit reichte ihre lebenslange Freundschaft mit Dr. Maria Verosta (geb. Stühler, verheiratet mit dem Diplomaten und Völkerrechtler Dr. Stephan Verosta) sowie ihre Bekanntschaft mit der Ärztin und Widerstandskämpferin Dr. Ella Lingens zurück; während ihrer diplomatischen Tätigkeit hatte sie Kontakte mit zahlreichen PolitikerInnen, darunter Leopold Figl, Bruno Kreisky, dem Norweger Einar Gerhardsen und dem Belgier Paul-Henri Charles Spaak, einem der Gründerväter der Europäischen Union; ferner mit DiplomatInnen wie den österreichischen Kollegen Dr. Ernst Lemberger oder Dr. Walter Wodak, dem Spanier Eduardo Propper de Callejón (der von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt wurde) und seiner Frau Helene oder mit dem britischen General Horatius Murray, Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte im Sektor Nordeuropa; sie schildert in ihren Briefen ihre Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Baudouin I., König der Belgier, Herbert und Eliette von Karajan, Dr. Karl Böhm oder dem Dramatiker Fritz Hochwälder und eindrucksvolle Erlebnisse wie die Krönung Olavs V. zum König von Norwegen, den Staatsbesuch des österreichischen Bundespräsidenten Dr. Adolf Schärf in Oslo oder des englischen Königspaares in Brüssel. Im Alter entstanden durch ihre intensive Beschäftigung mit der historischen Kinderbuchforschung Kontakte mit namhaften Sammlern, Antiquaren und Wissenschaftlern, vor allem den Österreichern Friedrich C. Heller und Ernst Seibert sowie den Deutschen Karl Brüggemann, Hans Ries und Otto Brunken.

Ausbildungen: Gymnasium Rahlgasse, dann Rainergasse in Wien, rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Wien, am 12.3.1932 Promotion zum Dr. iur., danach Gerichtsjahr; Ablegung der Diplomatenprüfung am 16.9.1954.

Laufbahn: 1934 Anstellung in der Generaldirektion der Post- und Telegraphenverwaltung (als Frau nur auf einem Maturantenposten), nach dem „Anschluss“ 1938 als „politisch unzuverlässig“ (sie war Monarchistin und Antifaschistin) gemaßregelt, daher bis 1942 in Postämtern, zeitweise als Postarbeiterin, ab 1942 Tätigkeit in der Rechtsabteilung der Generaldirektion; ab 27.4.1945 im Büro des Generaldirektors für die Post- und Telegraphenverwaltung als Verbindungsbeamtin zu den Alliierten eingesetzt; ab 27.10.1947 im Bundeskanzleramt/Auswärtige Abteilung, 1952-1957 Ständige Vertreterin Österreichs beim Europäischen Büro der Vereinten Nationen in Genf; 1957-1965 in Oslo als ao. Gesandter und bev. Minister, ab 14.5.1959 als erste Österreicherin in der Funktion eines ao. und bev. Botschafters; 27.3.1965-30.1.1968 ao. und bev. Botschafter in Brüssel (wo die österreichische Botschaft nach dem Freispruch für den belgischen Nazikollaborateur Robert Jan Verbelen unter Polizeischutz gestellt werden musste), ab 21.6.1965 mitbeglaubigt in Luxemburg; Rückberufung in die Zentralstelle (diese vorzeitige Abberufung aus Brüssel löste bei J. M. eine schwere psychische und physische Krise aus); bis 1969 Leitung des Ordensreferates in der Abt. Protokoll, ab 1969 Leitung der Abt. Dokumentation im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten; mit 31.12.1973 Versetzung in den dauernden Ruhestand, zugleich Verleihung des Amtstitels „ao. und bev. Botschafter“.

Wirkungsbereich: Bereits in ihrer Jugend hatte J. M. mit dem Büchersammeln begonnen; zunächst sammelte sie Viennensia, später alte Kinderbücher, vor allem deutschsprachige, französische und englische aus dem 19. Jh.; im Ruhestand gelangte sie über deren bibliographische Beschreibung zur wissenschaftlichen Forschung, wobei sie bibliographischen Fragestellungen ebenso nachging wie kultur-, geistes- und erziehungsgeschichtlichen oder kunst- und literaturhistorischen – gerade solche Querschnittsthemen, wie sie sich auf diesem Forschungsgebiet ergeben, faszinierten sie. Die erste Kinderbuchausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek, die 1979 unter dem Titel „Europäische Kinderbücher vom 15. bis zum 19. Jahrhundert“ im „Prunksaal“ der Österreichischen Nationalbibliothek stattfand, wurde von ihr wissenschaftlich konzipiert und sie verfasste auch den Ausstellungskatalog. Dabei entdeckte sie in der habsburgischen Fideikommissbibliothek (im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek) eine Sammlung von Kinderbüchern aus dem Besitz Kaiser Franz’ I., über die sie ein umfangreiches Werk verfasste. Mit dieser Arbeit, die in der Fachwelt des In- und Auslandes große Anerkennung fand, wie schon zuvor mit der Kinderbuchausstellung wurde sie zur Begründerin und Wegbereiterin der historischen Kinderbuchforschung in Österreich.

Mitglsch.: Mitglied der Kommission in Wolfenbüttel zur Erfassung des alten Kinderbuches im deutschen Sprachraum; Mitglied der Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts; Präsidentin der Gesellschaft der Freunde der Österreichischen Nationalbibliothek.

Qu.: Ihre Kinderbuchsammlung wurde gemäß Testamentsbestimmung versteigert, ihr Nachlass, bestehend aus Briefen, Tagebüchern (dzt gesperrt), Zeichnungen und Photos, wurde von ihrer Freundin Gabriele Calice erworben und am 29.4.2010 der „Sammlung Frauennachlässe“ am Institut für Geschichte der Universität Wien geschenkweise übergeben.

W.: „Europäische Kinderbücher vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Ausstellung im Prunksaal der Österr. Nationalbibliothek 17. Mai bis 14. November 1979. Katalog“ (1979), „Kinder- und Jugendbücher der Aufklärung. Aus der Sammlung Kaiser Franz´I. von Österreich in der Fideikommissbibliothek an der Österr. Nationalbibliothek“ (1994)

L.: Agstner/Enderle-Burcel/Follner 2009, Blumesberger 2007a, Stumpf-Fischer 2009

Edith Stumpf-Fischer