Kretschmer Anna Maria, geb. Fantl; Lehrerin, Pädagogin und Widerstandskämpferin
Geb. Wien, 12.2.1919
Gest. Wien, 27.9.2010
A. M. F. wurde am 12. Februar 1919 in Wien geboren. Obwohl ursprünglich nicht getauft, genossen die Kinder auf Wunsch der Großeltern eine intensive katholische Erziehung. Nach Abschluss der Pflichtschule trat sie in die Bundes-Lehrerinnen-Bildungsanstalt in der Hegelgasse im 1. Bezirk ein. Dort schloss sie sich dem Katholischen Deutschen Studentenbund an und wurde Gruppenführerin der Gruppe Hegelgasse. In der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus entwickelte sie ein starkes Österreichbewusstsein und nahm an patriotischen Demonstrationen teil. Im Juni 1938 legte sie die Reifeprüfung ab, durfte aber aufgrund der Nürnberger Gesetze ihren Beruf als Volksschullehrerin nicht ausüben. Nach kurzer Tätigkeit in einem Hort wurde sie im November 1938 bei den Siemens-Schuckertwerken aufgenommen, wo sie bis April 1945 als kaufmännische Angestellte und auch als Hilfsarbeiterin arbeitete. Nach der Auflösung des Katholischen Deutschen Studentenbundes setzten A. M. F. und ihre Freunde die Vereinstätigkeit im Rahmen von Volkstanzgruppen fort. Ihren Protest gegen das nationalsozialistische Regime versuchten sie durch das Tragen von Trachtenkleidung und Schmuckkreuzen zu demonstrieren. In ihrem Betrieb unterstützte A. M. F. die dort tätigen tschechischen Fremdarbeiter. Als Pfarrjugendführerin der Pfarre Gumpendorf leitete sie eine oppositionelle Mädchengruppe, die sich in ihrer Wohnung traf. Die Gruppe verschickte Feldpostbriefe regimefeindlichen Inhalts, so auch den Hirtenbrief des deutschen Bischofs Galen, in dem dieser öffentlich gegen die Euthanasie Stellung bezogen hatte. Im persönlichen Kontakt mit Gemeindemitgliedern konnten politische Gespräche geführt und Jugendliche für die Teilnahme an den Glaubensstunden der Gruppe gewonnen werden. Anlässlich einer Wallfahrt wurde A. M. K. mit anderen Pfarrgruppenmitgliedern von Hitlerjugend zur Polizei gebracht, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Trotzdem konnten die Aktivitäten der Gruppe unentdeckt fortgesetzt werden. Nach der Befreiung Österreichs konnte sie ihren Beruf als Volksschullehrerin aufnehmen. Neben ihrer Lehrtätigkeit war sie Mitarbeiterin von Lotte Schenk-Danzinger am Pädagogischen Institut Wien. Sie wirkte an der Eichung des „Wiener Entwicklungstests für das Schulalter“ mit. Ab 1949 war sie am Aufbau des Schulpsychologischen Dienstes des Wiener Stadtschulrats beteiligt, wo sie bis 1978 als Schulberaterin tätig war. In den ersten Jahren ihrer dortigen Tätigkeit wirkte sie auch als Heilpädagogin mit dem Schwerpunkt Legasthenie. Nach dem Erwerb der Befähigung zur Sonderschullehrerin unterrichtete sie an Sonderschulen. A. M. K. ist auch als Autorin pädagogisch-psychologischer Bücher, Zeitschriftenartikel und Rundfunksendungen hervorgetreten. Sie war mit Julius Kretschmer, Pädagoge und ehemaliges Mitglied des legitimistischen Widerstands, verheiratet.
Qu: DÖW 51.186.
W.: „Das schwachbefähigte Kind an der Normalschule. Eine Erhebung über Weigerungsfälle“ (1964), „Lernen lernen. Ein Ratgeber für Eltern und Erzieher“ (1968), „Was ist Legasthenie. Schweiz. Erz. Rundschau, Juni 1962“
L.: Dokumentationsarchiv 1992b, www.friedhiefewien.at.
Christine Kanzler