Kallmus Leopoldine (Poldi, Poldy), verh. Wittgenstein; Amateurpianistin und Hausfrau
Geb. Wien, 14.3.1850
Gest. Wien, 3.6.1926
Herkunft, Verwandtschaften: Der Vater Jakob Kallmus (1814-1870), der ursprünglich aus Prag stammte, war ein Weißwarenhändler, der sich in Wien niedergelassen hatte und schon in jungen Jahren vom Judentum zum Katholizismus konvertierte. Die Mutter Marie Stallner kam aus einer südsteirisch-katholischen Kaufmannsfamilie. Ihr Ehemann Karl Wittgenstein (1847-1913) galt in der Spätzeit der Donaumonarchie als einer der mächtigsten Unternehmer. Von ihren acht Kindern gelangten insbesondere Paul (1887-1961) und Ludwig (1889-1951) zu Weltruhm. Ersterer wurde, nachdem er im 1. Weltkrieg seine rechte Hand verloren hatte als „einarmiger Pianist“ bekannt, letzter gilt als einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts.
Laufbahn: L. K.-W. wurde als drittes von vier Kindern des Ehepaares Jakob und Marie Kallmus am 14. März 1850 in Wien geboren. Die Familie war gut situiert, aber nicht reich. Da ihre Mutter katholisch war und der Vater früh konvertiert, war sie seit frühester Kindheit vom Katholizismus geprägt und brachte diese Komponente nach ihrer Eheschließung auch in die jüdisch-protestantische Familie Wittgenstein ein. Schon frühzeitig widmete sich die äußerst musikalische L., zu deren Lehrern u. a. Karl Goldmark zählte, intensivst dem Klavierspiel. Die Musikbegeisterung verband sie auch mit ihrem Ehemann Karl Wittgenstein, der in einem Haus aufgewachsen war, wo der Geiger Joseph Joachim, mit dem die Familie weitläufig verwandt war, und Johannes Brahms ein und ausgingen.
L. K., die drei bis vier Stunden täglich musizierte und damit professionelle Dimensionen erreichte, entwickelte insbesondere in der Begleitung von Sängern große Fähigkeiten und war in der Folge u. a. mit der Sängerin Marie Fillunger befreundet. Die Musik bildete auch einen Fluchtpunkt für die mit acht Kindern etwas überforderte Frau, die unter der Dominanz ihres erfolgreichen, aber autoritären Ehemannes litt, und die Erziehung der Kinder weitgehend Kinderfrauen oder ihrer ältesten Tochter Hermine überließ. Der Selbstmord dreier Söhne in jüngeren Jahren überschattete ihr Leben zusätzlich. Nachdem ihre letzten Jahre zunehmend von Neurosen und Krankheiten geprägt waren, verstarb sie im 77. Lebensjahr an Arterienverkalkung.
Qu.: H. Wittgenstein, Erinnerungen (unpubl. Typoskript), Wien 1944/48.
L.: Gaugusch 2011, Nedo/Ranchetti 1983, Prokop 2003
Ursula Prokop