Jokl Anna Maria, Ps. Andrea Prag, Moidi; Psychoanalytikerin, Journalistin und Übersetzerin
Geb. Wien, 23.1.1911
Gest. Jerusalem, Israel, 21.10.2001
Herkunft, Verwandtschaften: Eltern: Berthold (1870-1923) und Toni Jokl (1882-1942), geb. Oelsner, heiratete ein zweites Mal, die Eltern wurden 1942 deportiert. Da der Vater schon sehr früh chronisch krank wurde, wuchs J. eigentlich ohne Vater auf. Schwestern: Eva (geb. 1906 in Wien), Elisabeth van Velde (geb. 1908 in Wien, Malerin). Das Elternhaus war nicht sehr religiös eingestellt, obwohl die Mutter im „Jüdischen Frauenverein“ tätig war.
Ausbildungen: Nach 1945 Studium der Tiefenpsychologie in London und am Jung-Institut in Zürich.
Laufbahn: Ging 1928 nach Berlin, Drehbuchautorin, Rundfunkarbeit, Experimentiersendungen; 1929-32 Schülerin Erwin Piscators; 1933 Emigration nach Prag, am 15.3.1939 nach der Besetzung der Tschechoslowakei, von einer tschechischen Polizistenfrau gewarnt, Flucht in die französische Botschaft; 1939 Flucht von Kattowitz nach London, Engagement für die Errichtung eines Flüchtlingskinderheimes; 1950 zur Verfilmung von „Die Perlmutterfarbe“ nach Ostberlin, von dort nach kurzer Zeit ausgewiesen; 1951-65 Westberlin, Publizistin und Psychotherapeutin, seit 1965 in Jerusalem, Übersetzerin von Kinderbüchern. Ihre Karriere begann im Rundfunk, als sie eigene Texte frei in das Mikrophon sprach, eine Aufnahmemöglichkeit bestand damals noch nicht. Ihre Themen waren China oder Hexenprozesse. Ein Hörspiel hieß „Blitzlicht auf Szene 13″, das später zu einem Film mit dem Titel „Tratsch“ ungeschrieben wurde. Ihre Drehbücher wurden sehr gelobt, anfangs jedoch war A. M. J. sehr verunsichert, weil die Erfolge im Schreiben sie vom Sprechen im Rundfunk wegführten. Nach der Emigration nach Prag arbeitete sie nicht mehr dramaturgisch sondern lebte von journalistischen Arbeiten. In Zürich absolvierte sie eine Ausbildung in Tiefenpsychologie bei C. G. Jung, dessen Begegnung sie jedoch sehr enttäuschend erlebte, ging nach Deutschland um das Geld der inzwischen erschienenen Bücher zu beheben. Ihr Buch „Die Perlmutterfarbe“ sollte von der ostdeutschen Defa verfilmt werden. A. M. J. wurde jedoch im Zuge des Kalten Krieges zur persona non grata erklärt und 1950 aus Ost-Berlin ausgewiesen. Das Buch wurde 14 Jahre später wiederentdeckt und zu einem Theaterstück umgearbeitet, das ca. 80mal im Theater für Kinder aufgeführt wurde. Sie arbeitete 14 Jahre lang mit einem Therapeuten in West-Berlin zusammen, war Mitglied des Rundfunkrates „Sender Freies Berlin“ und ging anschließend nach Israel. Für ihren Roman „Die wirklichen Wunder des Basilius Knox. Ein Roman über die Physik für Kinder von 10 bis 70 Jahren“ interessierten sich nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. In „Die Perlmutterfarbe“ entwirft A. M. J. ein erzählerisches Szenario, das als Parabel auf die Geschichte Deutschlands nach der Machtergreifung Hitlers gelesen werden kann. Ihr Kinderbuchschaffen war jedoch nur sehr begrenzt und für sie selbst auch nicht sehr wichtig. A. J. pflegte Freundschaften mit Johannes R. Becher; mit Kafkas Schwester Ottla (ihr setzte sie ein literarisches Denkmal in „Essenzen“), mit Martin Buber, Hugo Bergmann und Gershom Sholem.
Ausz., Mitglsch.: 1995 Hans-Erich-Nossak-Preis. Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller in Berlin, des Verbandes deutschsprachiger Schriftsteller in Israel und des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.
biograph. Mitteilungen, Hinweise: Korrespondenz mit A. M. J.
Qu.: Literaturhaus/Exilbibliothek, Briefe von Friedrich Torberg an A. M. J. in der Handschriftensammlung der ÖNB, Tagblattarchiv (Personenmappe).
W.: „Du und Ich, wir alle; Wer filmt mit?“ (Anfang der 1930er Jahre), „Der Fremde. Science Fiktion. Vossische Zeitung“ (1933), „Tratsch. Experimentalfilm“ (Uraufführung im Mai 1933 in Berlin. Ihr Name als Autorin durfte nicht mehr aufscheinen), „Die künstlerischen Grundlagen des Films“ (1935), „Das süße Abenteuer. Eine Geschichte für Kinder“ (1937), „Die wirklichen Wunder des Basilius Knox. Ein Roman über die Physik für Kinder von 10 bis 70 Jahren“ (1938), „Die verzeichneten Tiere. Die Tonleiter zum Mond“ (1948), „Die Perlmutterfarbe. Ein Kinderroman für fast alle Leute“ (1948), „Essenzen“ (1993), „Zwei Fälle zum Thema ‚Bewältigung der Vergangenheit’“ (1997), „Die Reise nach London. Wiederbegegnungen“ (1999). Experimentiersendungen in der Rundfunkversuchsstelle Berlin „Grüner Tee“ und „Amenophis und Echnaton“, Hörspiele: „Blitzlicht auf Szene 13″ und „Hexe“.
L.: Blumesberger 1999a, Bolbecher/Kaiser 2000, Gottschalk/Müller-Salget 1998, Haacker 2000, Hanus 2002, Hessmann 1999, Hladej 1968, Internationales Institut für Jugendliteratur und Leseforschung 1999, Kinder- und Jugendliteratur im Exil 1933-1950, ÖNB 2002, Ruiss 1997, Seeber 1998, Trapp/Mittenzwei 1999, Wall 2004, Wilcke 1999
Susanne Blumesberger