Isser Stefanie, geb. Karpf; Juristin und Lehrerin

Geb. Wien, 8.6.1909
Gest. Albany, New York, USA, 17.2.1997

Herkunft, Verwandtschaften: St. I. wurde als älteste von drei Töchtern am 8. Juni 1909 in Wien geboren. Der Vater, Heinrich Karpf (1880-1948) stammte aus einer jüdisch-orthodoxen galizischen Familie und besaß nach seinem Umzug nach Wien ein Geflügelgeschäft. Die Mutter, Julie Rosenberg (1874-1966), stammte aus einem ebenfalls orthodoxen Rabbinerhaushalt und wuchs mit einer Ehrfurcht für Bildung auf, die sie selbst nicht befriedigen konnte, aber umso mehr in ihrer ältesten Tochter förderte. Die Mutter führte einen koscheren Haushalt, alle Feiertage wurden festlich begangen, so dass die drei Töchter im Glauben aufwuchsen. Die beiden Schwestern Risa Gundorfer und Dora Wortsman waren 1911 und 1914 geboren worden. Daneben erhielt St. I. in der Schule jüdischen Religionsunterricht, wurde in jüdischer Geschichte unterrichtet und lernte ein wenig Hebräisch. Der Vater war bis zu seinem Tode Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Beide Eltern standen der Sozialdemokratischen Partei nahe, der Vater war sogar Mitglied.

Ausbildungen: St. I. besuchte für zwei Jahre die Grundschule in Wien, dann die Grundschule in Ungarn, wo sie bei den Großeltern mütterlicherseits wohnte. Nach einem weiteren Jahr erneut auf der Grundschule in Wien, wechselte sie für die letzten acht Schuljahre an ein Knabengymnasium, das gelegentlich auch Mädchen zuließ. So war sie in der Klasse nicht nur das einzige Mädchen, sondern auch die einzige Jüdin. 1924 legte sie die Matura ab.

Von Beginn ihrer Schulausbildung an war es für St. I. klar gewesen, dass sie studieren wollte, um Rechtsanwältin zu werden und in dieser Funktion anderen Menschen helfen zu können. So immatrikulierte sie sich ausgestattet mit einem Stipendium im Jahr 1928 an der Universität Wien für ein Jusstudium. Am 22. März 1933 schloss sie ihr Studium mit dem Doktor iuris ab. Während des Studiums war sie in die „Women’s International Zionist Organisation (WIZO)“ eingetreten.

Laufbahn: Nach dem Universitätsabschluss begann St. I. mit der siebenjährigen Ausbildung, um danach als Rechtsanwältin zugelassen zu werden. Im Mai 1938 heiratete sie den Rechtsanwalt Siegfried Isser (1909-1967), der im Sommer 1932 kurz vor seiner Frau den Doktor iuris erworben hatte. Siegfried Isser war nicht nur ebenfalls Jurist, sondern auch Sozialdemokrat und Zionist.

Zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ Österreichs an das Reich 1938 war St. I. in ihrem siebten Ausbildungsjahr zur Rechtsanwältin. Doch schon zwei Monate vor dem „Anschluss“ war sie seit dem 1. Januar 1938 offiziell schon nicht mehr in der Kanzlei angestellt, sondern war als Angestellte bei der Modistin Risa Karpf – ihrer Schwester – registriert. Im Januar 1939 wurde Siegfried Isser von der Gestapo verhaftet und für sechs Wochen in ein Konzentrationslager verschleppt. Nach dieser Erfahrung war den Issers klar, dass sie Österreich verlassen mussten.

Im Februar 1939 verließen sie Österreich und gingen für neun Monate nach England. Nachdem sie ihr Visum für die USA erhalten hatten, erreichten sie am 24. November 1939 New York City und zogen von dort aus nach Albany, New York State. Während der Zeit in New York Stadt arbeitete St. I. als Hausmädchen bei einer Familie, bei der sie auch lebte. In Albany begann sie in einer Fabrik zu arbeiten, die ironischerweise Ausstattungen für Akademiker produzierte. Zweieinhalb Jahre lang stellte die österreichische Akademikerin Hüte und Talare für Hochschulabgänger her. Im Jahre 1942 wurde der Sohn der Issers, Stanley, geboren, der heute als Professor für Jüdische Studien an der „State University of New York“ (SUNY) arbeitet. Nach der Babypause unterrichtete St. I. an einer Hebräisch-Schule. Daneben bereitete sie Mädchen auf die Bar Mitzwah vor und unterrichtet 17 Jahre lang eine Klasse mit Kandidaten, die zur jüdischen Religion konvertieren wollten. Daneben ging sie zurück an die Universität und belegte an der SUNY Kurse, um Deutsch und Latein an einer staatlichen oder privaten Schule unterrichten zu können. Trotz des Abschlusses blieb St. I. jedoch der Hebräischen Schule treu und war aktives Mitglied in der Synagoge.

All die Jahre war sie vor allem auch aktiv für den interkofessionellen Dialog und Verständigung. In diesem Kontext war sie für „Hadassah“ tätig, und hatte in dieser Organisation mehrere Ämter als Präsidentin, Vice-Präsidentin etc. auf lokalen und regionalen Ebenen inne. Sie erhielt für ihr Engagement mehrere Preise: unter anderem den Preis der Valley Forge Freedoms Foundation für die Lehre demokratischer Werte sowie den Yavner Award, der an Mitglieder der SUNY Universität für die Lehre des Holocausts und der Toleranz verliehen wird.

Bis in das hohe Alter besuchte St. I. jedes Semester einen Kurs an der Universität. Und bis zum Schluss war sie überzeugt, dass Bildung der Schlüssel ist, um Tore zu öffnen. Ihre Arbeit für die interkonfessionelle Verständigung war derart überzeugend, dass der Bischof der lokalen Diözese bei ihrer Beerdigung die Grabrede hielt.

Qu.: UA Wien Prom. Jur. Fakultät Uni Wien M 32.7, 1933 (Nr. 2635, Stefanie Karpf); 1932 (Nr. 2349, Isser Siegfried), Fragebogen, ausgefüllt von Stefanie Isser, gesendet an Harriet Pass Freidenreich; ÖSta Wien, Wiedergutmachungsakte 4866; Angaben von Stanley Isser.

L.: Röwekamp 2005

Marion Röwekamp