Hümbelin Lotte, geb. Bindel; Widerstandskämpferin, Fürsorgerin und Autorin

Geb. Wien, 22.1.1909
Gest. Schweiz, 2012

L. H. wird am 22. Jänner 1909 als Charlotte Bindel in Wien-Leopoldstadt geboren. Ihre Mutter, Eugenie Kern, stammt aus Rockendorf, einem vorwiegend deutschsprachigen Dorf in Westungarn. Ihr Vater, Bernhard Bindel, ein verwitweter Friseur aus Lemberg, bringt in die Ehe mit Eugenie Kern zwei Söhne, Jack und Jula, mit. Die Familie Bindel, die zwar jüdischer Herkunft ist, jedoch nicht besonders religiös, lebt in der Adambergergasse, im vorwiegend von jüdischen Familien bewohnten Karmeliterviertel. Die ohnehin in dieser Gegend allgegenwärtige Armut verschärft sich nach dem Ersten Weltkrieg noch. L. H. und ihre Mutter unternehmen häufige „Hamsterfahrten“ nach Ungarn. 1920 verbringt L. H. im Rahmen der Kindererholungsverschickung vier Monate in Holland bei einer Gastfamilie. Die Sommer ihrer Kindheit verlebt sie bei ihren Großeltern mütterlicherseits in Hórvathzsidany, einem kroatischsprachigen Dorf in Ungarn, sowie in Rockendorf.

Nach der Volks- und Bürgerschule besucht L. H. das Reform-Realgymnasium für Mädchen, um Heilpädagogik zu studieren. Sie wird im Laufe ihrer Gymnasialzeit Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler. Wegen ihrer großen Sympathie für die Sowjetunion tritt sie dem Kommunistischen Jugendverband bei und macht dort die Bekanntschaft von Alfred Klahr und Genia Lande-Quittner. Als störend wird von ihr bemerkt, dass ein echter Kontakt zwischen den kommunistischen Organisationen und der Arbeiterklasse kaum vorhanden ist. L. H. nimmt an der folgenschweren Demonstration vom 15. Juli 1927 in Wien teil, die wegen des Freispruchs der nationalsozialistischen Mörder von Schattendorf abgehalten wird. Die Wut der DemonstrantInnen über den Freispruch der Mörder an einem Invaliden und einem Kind sowie der bereits seit Jahren aufgestaute Unmut in der Bevölkerung gegen die Regierung Ignaz Seipels und ihrer parteilichen Justiz führen schließlich zur Eskalation und zum Brand des Justizpalastes.

L. H. maturiert 1928, sie inskribiert Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Wien und ist in dieser Zeit auch politisch sehr aktiv. 1931 reist sie nach Moskau zu ihrem langjährigen Freund Hermann Köhler, dem Leiter des Kommunistischen österreichischen Jugendverbandes und Mitglied des russischen Informationsdienstes. Hermann Köhler wird später bei einem antifaschistischen Einsatz gefangengenommen und in Buchenwald erschossen. L. H. wohnt während ihres Aufenthalts in Moskau im Hotel Lux und arbeitet als Redakteurin in einem Verlag für ausländische Arbeiter. 1933 kehrt sie nach Wien zurück, wo sie an der Untergrundarbeit der seit Mai 1933 verbotenen KPÖ teilnimmt, indem sie Schriften und Flugblätter der Partei verteilt. In der elterlichen Wohnung findet die Polizei einige Exemplare der „Roten Fahne“, woraufhin die Eltern zu einem Jahr Haft verurteilt werden. Eugenia Bindel, L. H.s Mutter, stirbt im November 1936 an den Folgen dieses Gefängnisaufenthaltes. Bernhard Bindel, der Vater, wird einige Jahre später nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Im Rahmen ihrer Tätigkeit für die KPÖ wird L. H. 1935 nach Prag beordert, wo sie Hilde und Johann Koplenig kennenlernt. Ihre Aufgabe in Prag besteht darin, dem Vormarsch der Nationalsozialisten entgegenzuwirken sowie Kontakte zu den Revolutionären Sozialisten aufrecht zu erhalten. L. H. wird im April 1936 wegen Verdachtes auf nationalsozialistische Spionage gegen die Tschechoslowakei verhaftet. Erst Ende September stellt sich die Verhaftung als Irrtum der Behörden heraus. L. H. kann das Gefängnis zwar verlassen, wird jedoch über die polnische Grenze abgeschoben und vier Monate lang in Schubhaft genommen. Da die Rückkehr nach Österreich für die junge Frau inzwischen zu gefährlich geworden ist, fährt L. H. nach Zürich, wo sie ihren späteren Mann, den Schweizer Kommunisten Fred Hümbelin, kennenlernt. 1937 wird sie zusammen mit Gerty Schindler von der Kommunistischen Partei nach Paris geschickt, um dort die freiwilligen Kämpfer der Internationalen Brigaden vor ihrem Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg zu betreuen. 1938 gibt L. H. in Wien ein Informationsblatt für ihre GenossInnen in der Illegalität heraus, das eine Zusammenfassung von Presseberichten enthält, die für die von der Außenwelt weitgehend abgeschnittenen GenossInnen oft die einzige Nachrichtenquelle darstellt. Ab Mai 1938 wird der Aufenthalt L. H.s im nationalsozialistischen Wien zu riskant. Die junge Frau ist als Kommunistin und Jüdin doppelt gefährdet. Sie flüchtet mit einem falschen tschechischen Pass in die Schweiz. Im Dezember desselben Jahres wird sie als unerwünschte Ausländerin aus der Schweiz nach Großbritannien ausgewiesen und arbeitet als Hausgehilfin in London. Sie trifft in England mit ihrer Freundin und Parteigenossin aus Wien, Malwine Bönsch, zusammen. Malwine und Franz Bönsch werden Trauzeugen, als L. H. am 21. Juli 1939 Fred Hümbelin in London heiratet. L. H. arbeitet nach ihrer Rückkehr in die Schweiz bei der jüdischen Flüchtlingshilfe als Rechtsberaterin und Fürsorgerin, Fred Hümbelin ist als Lehrer tätig. 1941 wird ihr Sohn Karl geboren. Fred und L. Hümbelin sind Mitglieder der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS), die 1940 verboten wird. Fred Hümbelin wird aus diesem Grund mehrmals verhaftet; auch seine Familie ist den Schikanen der Polizei und der Bevölkerung ausgesetzt. Nach 1945 benennt sich die Kommmunistische Partei der Schweiz in Partei der Arbeit um. L. H. ist Mitbegründerin der 1952 ins Leben gerufenen Schweizer Frauenvereinigung für Frieden und sozialen Fortschritt (SFFF). Wegen der in der Schweiz neuerlich massiv einsetzenden antikommunistischen Propaganda wird die Vereinigung 1956 aufgelöst. Somit endet auch die langjährige politische Tätigkeit von L. H. Sie schließt ihr Studium der Heilpädagogik ab und arbeitet mit behinderten Kindern. 1980 stirbt Fred Hümbelin nach langer schwerer Krankheit.

W.: „Mein eigener Kopf: ein Frauenleben in Wien, Moskau, Prag ,Paris und Zürich“ (1999)

L.: Landauer 2003, Die Presse 15.1.2000

Karin Nusko