Hollitscher Hedwig, geb. Süß; Kindergärtnerin und Zeitzeugin
Geb. Wien, 2.1.1909
Gest. Wien, 19.8. 2006
Herkunft, Verwandtschaften: Der Vater Philipp Süß hatte ein Wollgeschäft auf dem Areal des heutigen Ringturmes, er wurde nach dem „ Anschluss“ zunächst in Wien in ein Sammellager gebracht, versuchte nach London zu gelangen, wurde jedoch 1942 nach Polen deportiert und starb in einem Konzentrationslager. Die Mutter Sidonie Süß war Hausfrau, sie starb 1940 in Wien. Die Familie lebte im 2. Bezirk in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Die beiden Brüder von H. H. gingen zunächst nach London, der ältere, er hatte im Wollgeschäft des Vaters geholfen, ging mit seiner Frau nach Amerika, starb mit 68 Jahren, der jüngere heiratete eine Wienerin, blieb in London.
LebenspartnerInnen, Kinder: Von ihrem ersten Ehemann (Karl Feller) nach eigenen Angaben in Freundschaft geschieden. Zweiter Ehemann: Heinz Hollitscher (†2003), Musikwissenschafter und Journalist, war nach der Rückkehr aus der Emigration im Österreichischen Rundfunk angestellt. Ihn lernte H. H. in London kennen. Die Tochter Marianne Wexberg, geboren 1946 in London, war Arztassistentin, kümmerte sich um ihre pflegebedürftige Mutter. Zwei Enkelkinder, der ältere ist Arzt im AKH, der jüngere Chef in einer Druckerei.
Ausbildungen: Volks- und Bürgerschule sowie eine Kindergärtnerinnenausbildung. Um sich für eine Auswanderung vorzubereiten, besuchte H. H. einen Friseurkurs. Absolvierte das psychoanalytische Seminar bei Anna Freud in der Berggasse.
Laufbahn: Ab 1928 als Kindergärtnerin bei der Gemeinde Wien angestellt, an Samstagen half sie ihrer Schwägerin, die Modistin war, bei ihrer Arbeit. Nach dem „Anschluss“, als ihre Kolleginnen den Einmarsch Hitlers feierten, beschloss sie nicht mehr in den Dienst zu gehen. Nach einem vierwöchigen Urlaub wurde sie mit einer Pension entlassen. Aus ihrer Wohnung in der Leopoldstadt vertrieben, zog sie mit ihrer Familie und ihrem ersten Ehemann in die Villa eines Verwandten in der Cottagegasse, Wien-Währing, wo sie bis zur Emigration mehr oder weniger unbehelligt leben konnte. Im April 1939 emigrierte sie nach England und arbeitete dort als Hausgehilfin bei mehreren Familien. Durch ihre Tätigkeit als Köchin und Betreuerin der PatientInnen bei dem Analytikerehepaar Hoffer kam sie wieder in Kontakt mit Anna Freud, arbeitete dreieinhalb Jahre in den Hampstead Nurseries mit ihr zusammen. Anna Freud kümmerte sich um Kinder von Vätern, die im Krieg waren und von Müttern, die ebenfalls zum Kriegsdienst eingezogen waren und hatte ein einstöckiges Haus gemietet. Da sie zuwenig Personal hatte, war sie sehr froh, H. H. als Mitarbeiterin gewinnen zu können. Die Gruppen waren eingeteilt in Säuglings-, Kleinkindergruppen und in einen Kindergarten. Jede Gruppe hatte eine „Mutter“, meist Studentinnen oder Schülerinnen, die jüngste unter ihnen war 15, Hannah Fischer, mit der H. H. bis zu ihrem Tod befreundet blieb. H. H.s Aufgabe war es unter anderem sich um die Kindergartengruppe zu kümmern. Während die Kinder zu Mittag schliefen oder am Abend wurden auch Vorträge gehalten. Anna Freud ging aufs Land, als London bombardiert wurde, H. H. ging nicht mit, da sie ihren Mann nicht alleine lassen wollte. H. H. war aktiv im Austrian Centre tätig, spielte Theater und sang im Chor, den ihr späterer Mann leitete und auf dem Klavier begleitete.
Später arbeitete sie in einer Fabrik, die Militärzelte herstellte, einem Kriegsbetrieb, und abends als Bibliothekarin im Austrian Centre. Die Bücher, deutsche und englische, erbat sie sich von den EmigrantInnen. Die Bibliothek bestand aus einem Zimmer, das von 18h bis 20h geöffnet hatte und von ihr und einer Mitarbeiterin betreut wurde. Als sie schwanger wurde, musste sie die Arbeit in der Fabrik aufgeben und arbeitete im Restaurantbetrieb des Austrian Center mit. Die Tochter kam noch in London zur Welt, als sie 13 Monate alt war, kehrte die Familie nach Wien zurück. H. H. wollte wieder als Kindergärtnerin bei der Gemeinde Wien arbeiten, wurde jedoch zunächst abgewiesen. Schließlich stieg sie wieder in ihren Beruf ein und arbeitete freiwillig bis zu ihrem 64. Lebensjahr als Kindergärtnerin. H. H. war befreundet mit Hannah Fischer, Psychologin.
biograf. Mitteilungen, Hinweise: Interview mit Susanne Blumesberger am 12.4.2006.
L.: Bollauf 2010, Dokumentationsarchiv 1992
Traude Bollauf