Höllersberger Pauline, geb. Wagner; Zeugin Jehovas und Gegnerin des NS-Regimes

Geb. Zell an der Ybbs, NÖ, 2.1.1904
Gest. 31.7.1957

P. H., geb. Wagner, wird am 2. Jänner 1904 in Zell an der Ybbs (Bezirk Waidhofen a. d. Ybbs, NÖ) geboren. Sie stammt aus einer alten, streng katholischen Bauernfamilie. Sie heiratet Engelbert Höllersberger (1889 – 1952) und 1928 bzw. 1930 kommen die Töchter Pauline und Rosa zur Welt. Die Familie wohnt in Eisenerz in der Vordernbergerstraße 16. 1933 erhält sie von dem Eisenerzer Rupert Sauseng ihre ersten Bibelforscher-Schriften und durch ihn wird sie eine Zeugin Jehovas. Wann sie als Zeugin Jehovas getauft wird, ist nicht bekannt. Ihr Mann Engelbert Höllersberger ist aktiver Kommunist und wird selbst nie ein Zeuge Jehovas, jedoch respektierte er die religiöse Einstellung seiner Frau. P. H.s gesamte Verwandtschaft jedoch zieht sich vollständig von ihr zurück. An der Wahl zum „Anschluss“ im April 1938 nimmt sie nicht teil. Sicherheitshalber verlässt sie zusammen mit ihren Töchtern ihre Wohnung und taucht bei einer bekannten Familie im Eisenerzer Münichtal unter. Die SA suchte sie schließlich auch in ihrem Versteck. Dank der beherzten Reaktion des Hausherrn, der sie verleugnet, gibt es für sie noch keine Konsequenzen. Während des Krieges arbeitet P. H. am Erzberg in der Klaubanlage, wo sie mit einer ausländischen Zwangsarbeiterin in Kontakt kommt. Der dadurch entstehende Briefkontakt mit der Frau und eine Hausdurchsuchung, bei der man Bibeln findet, führen schließlich zur Verhaftung P. H.s am 1. September 1944. Zunächst wird sie in Leoben inhaftiert, wo sie durch das Unterschreiben der sogenannten „Verpflichtungserklärung“ ihrem Glauben abschwören soll, um freigelassen zu werden. Da sie verweigert, wird sie ins Grazer Polizeigefängnis überstellt. Noch im September 1944 wird sie in einem Viehtransport angeblich zunächst ins KZ Auschwitz und am 4. Oktober 1944 ins KZ Ravensbrück gebracht. Ihre Familie erfährt erst etwa drei Monate später durch eine Ansichtskarte vom 20. November 1944 von ihrem Aufenthaltsort im KZ Ravensbrück. Nach einiger Zeit wird sie so wie einige andere Zeuginnen Jehovas als Kindermädchen und Haushaltshilfe in einer kinderreichen SS-Familie eingesetzt. Der SS-Mann besteht auf eine Zeugin Jehovas, da sich diese Häftlinge als ehrlich, zuverlässig und nicht rachsüchtig erwiesen haben. P. H. muss hart arbeiten, um den Haushalt und die neun Kinder zu versorgen. Jeden Abend marschiert sie zum Schlafen wieder zurück ins KZ. Als sich die Situation in Deutschland immer mehr verschlechtert, bringt der SS-Mann seine Familie samt P. H. nach Weihnachten 1944 in die Tschechoslowakei, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse noch besser sind. Irgendwann erfährt P. H. dann zufällig, dass der Krieg zu Ende ist. Sofort macht sie sich auf die Wanderschaft Richtung Eisenerz (aus diesem Grund existieren auch keine Entlassungspapiere). Sie ist die meiste Zeit zu Fuß, bei Gelegenheit auch mit dem Ochsenkarren oder Pferdefuhrwerk, unterwegs. Die letzten Kilometer kann sie im Viehwaggon eines Zuges zurücklegen. Als der Zug in Attnang-Puchheim einfährt, stürzt sie unglücklich aus dem Waggon und zieht sich eine Kopfverletzung zu. Schließlich kommt sie im Mai 1945 total entkräftet mit Lungenentzündung und einem Kopfverband bei ihrer völlig überraschten Familie zu Hause an. Durch die Pflege ihrer Familie erholt P. H. sich schließlich, wenn auch sehr langsam. Nun erfährt sie, dass während ihrer Zeit im KZ ihre zwei jugendlichen Töchter mit tatkräftiger Unterstützung der im gleichen Haus wohnenden Nachbarin Juliane Wieland − liebevoll „Juli-Mami“ genannt − den Haushalt für sich und den Vater versorgt hatten. Frau Wieland war auch eine Zeugin Jehovas, die wahrscheinlich aufgrund ihres hohen Alters keinen Verfolgungsmaßnahmen gegen die Bibelforscher ausgesetzt war. Am 1. September 1947 wird P. H. als Opfer des NS-Regimes anerkannt und bekommt die Amtsbescheinigung ausgestellt. Ihr Ehemann Engelbert Höllersberger stirbt am 28. März 1952, wodurch sich eine finanzielle Notlage einstellt. Ab 1. April 1952 erhält sie daher Unterhaltsrente. Ein paar Jahre später (im Frühjahr 1957) heiratet P. H. den um viele Jahre jüngeren Zeugen Jehovas Johann Jungwirth (geb. 1930) aus Eisenerz. Das Ehepaar erleidet im Juli 1957 einen Motorradunfall, der für P. H. tödlich endet.

Qu.: Jehovas Zeugen Österreich/Geschichtsarchiv: Amtsbescheinigung vom 1.9.1947; Betreuungskarte des Bundesverbands ehemaliger politisch Verfolgter; Erinnerungsbericht der Töchter Rosa und Pauline aus dem Jahr 2000.

Heide Gsell