Hohlfeld Dora, Luise Josefine Theodora, geb. Tenge-Rietberg, verw. v. Reitzenstein, später verehel. Hohlfeld; Schriftstellerin
Geb. Nieder-Barkhausen/Westfalen, Deutschland, 21.1.1860
Gest. Salzburg, Sbg., 11.2.1931
D. H. war Schriftstellerin und wurde am 21. Februar 1860 auf Gut Niederbarkhausen als Luise Josefine Julie Theodore Tenge geboren und kam schon als Kleinkind nach Rietberg. Dort wuchs sie mit vier Brüdern und einer Schwester auf. Ihre Mutter, Therese Tenge, war künstlerisch sehr begabt und galt als eine begnadete Pianistin. Die besondere Liebe zur Musik ging auf die Tochter über, die zeitlebens eine große Verehrerin von Johannes Brahms war.
Bereits im Alter von fünf Jahren, begann sie Gedichte, Märchen und Theaterstücke für sich aufzuschreiben. An eine größere Öffentlichkeit sollte sie jedoch erst 40 Jahre später treten. Mit ihrer Schwester Alma besuchte sie ein Mädchenpensionat bei Osnabrück.
1885 heiratete sie Maximilian Freiherrn von Reitzenstein, mit ihm bekam sie zwei Söhne und eine Tochter. Das zeitgenössische Weiblichkeitsideal beschränkte sich weitgehend auf die Aufgaben als Gattin, Hausfrau und Mutter. Vorherrschend war die Auffassung, Mutterschaft und Künstlertum schlössen sich aus. Darüber schrieb sie später ihrem Dichterfreund Richard von Schaukal: „Alle äußeren Eindrücke, mein Leben war ein rein äußerliches, schriftstellern galt als nicht like, die Kunst überließ man den Gauklern und Proleten, haben nicht die mystische Kraft zerstört, die mir Westfalen gegeben.“ Literarische Ambitionen bei Frauen wurde misstrauisch begegnet. Th. v. R. verlor ihren Mann und ihren ältester Sohn Heinz 1903.
Sie heiratete Bruno Hohlfeld, einen Kunst- und Porträtmaler am 29. Januar 1904 in London. Mit ihm lebte sie in der Nähe von Salzburg. Endlich konnte sie ihr literarisches Können der Öffentlichkeit präsentieren. 1905 erschien der Novellenband „Aus dem Krautwinkel“ im Berliner Verlag Schuster & Loeffler. Ein Jahr darauf erschien ihr erster Roman „Die arme Josefa“.
Er beinhaltet einige autobiographische Details aus ihrem Leben. Mühelos lässt sich die Topografie rund um die Rietberger Schlosswälle wiedererkennen. Die Autorin erzählt von dem Wohnhaus der Familie Arnheim, das an der Stelle des 1803 abgebrochenen Schlosses Rietberg, im Volksmund noch immer „Dreckschloß“ genannt, errichtet worden sei. Sie beschreibt im Detail die Statue des „heiligen[n] Johannes von Nepomuk“. Sie nennt die „Johanniskapelle“ und die „Johannisallee“.
Auch in dem Buch „Geringe Leute“ schlagen sich erfahrenes Unrecht, Unverständnis und Missachtung nieder. Sie verstand es, reale Geschehnisse und Schauplätze zu einer fiktionalen Geschichte zu verknüpfen und bewies an ihren Romanfiguren eine außergewöhnliche Fähigkeit, lebendige, aus ihrer heimatlichen Umgebung erwachsene Figuren zu schaffen. So schreibt sie in dem Roman „Geringe Leute“: „[…] Setta Brinkmann ist soeben vor den Gerichtshof getreten und es kamen ihr diese Worte: ‚Zeiten werden kommen, wo Frauen über Frauen richten, wo Männer niedersteigen und an ihre Brust schlagen. Ich bin in Zustände geraten, die in mein Fleisch schneiden sollten, damit andere ohne Wunden blieben, dazu bin ich ausersehen. Ihr seid mit Blindheit geschlagen, ich bin sehend geworden‘.“
Der Roman „Die arme Josefa“ wurde als ein Werk angesehen, „das dem Besten in der Romanliteratur ebenbürtig zur Seite gestellt werden müsse“ (Hamburger Fremdenblatt), galt gar „für einen der allerbesten dieses Jahres“ (Der Kunstwart). Die Frankfurter Zeitung scheute sich nicht, sie in die Nähe der großen Annette von Droste-Hülshoff zu rücken: „Die Droste-Hülshoff ist tot, Dora Hohlfeld lebt!“
Selma Lagerlöf, die 1909 als erste Frau mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, bewunderte ihre Naturschilderungen. Auf Grund der großen inhaltlichen und stilistischen Nähe zu ihr wurde sie auch die „Selma Lagerlöf Süddeutschlands“ genannt.
H.s Leben nach dem Ersten Weltkrieg war geprägt von wirtschaftlicher Not und bedrückenden Alltagslasten. Aus Geldsorgen verkaufte sie „altfranzösische Bibliothek“. Die Hausarbeit und Haushaltsführung hemmten ihre künstlerischen Möglichkeiten. So schrieb sie: „Einen Haushalt heutzutage führen, ist Qual. Meine Kunst geht darüber, wenn auch nicht zugrunde, so doch im langsamen Trab.“
Im Laufe der Jahre gingen viele ihrer Arbeiten verloren oder schlummern unerkannt in Archiven. Am 11. Februar 1931 starb D. H. in Salzburg nach langer schwerer Krankheit.
H.s Romane in die Ecke anspruchsloser und trivialer Frauenliteratur zu stellen, wird ihr, die zeitlebens gegen einengende gesellschaftliche Konventionen und die Bevormundung der Frau in der Ehe gekämpft hat, in keiner Weise gerecht. Wie sehr sie sich gegen die zu ihren Lebzeiten üblichen Ressentiments gegenüber „schriftstellernden“ Frauen zu behaupten hatte, verdeutlicht eine vernichtende Einschätzung ihrer literarischen Qualität in der „Österreichischen Rundschau“ des Jahres 1909: „Die Romane von Dora Hohlfeld ‚Die arme Josefa‘ und ‚Im Freudensaal‘ gehören vollends zur Gattung weiblicher Handarbeiten, wie sie in unserer weibischen und weichlichen, ganz und gar effeminierten Literatur im üblen Sinne Epoche macht. Ein unleugbares, freilich von großartigen Originalen, wie von Selma Lagerlöfs knappen Bilderfolgen angeregtes, frauenzimmerliches Beobachtungstalent stellt ein paar heimatliche Zustände und Typen ganz erfreulich hin, um sie mit unvermeidlicher gouvernantenhafter Sentimentalität und Phantasie im Verlauf der Fabel ins himmelsüchtige, rosenrote und veilchenblaue zu verfärben, zu verzuckern, in romantisierte Syrup-Leidenschafts-Sturmfluten zu stürzen, aber zugleich mit barmherzigen Schwimmgürteln von Charakter, Moral, Gefühl und ethisch-ästhetischer Unzerreißbarkeit zu versehen, so dass sie sich großartig wehmütig über Wasser halten.“ Ganz unfreiwillig zeigt diese Polemik dennoch gerade die Stärken der Prosa von Dora Hohlfeld auf: ihr besonderes Beobachtungstalent und ihre Kunst, das Beobachtete anschaulich, stimmungsvoll und deutungsmächtig darzustellen.
W. u. a.: „Aus dem Krautwinkel. Novellen“ (1905), „Die arme Josefa. Ein Wort vom Kommen und Gehen. Roman“ (1906, 1930 Neuauflage unter: „Das Kind des tollen Arnheim), „Im Freundensaal. Aus dem Leben einer Komtesse“ (1907), „Wie sie über die Erde gehen. Roman“ (1909), „Geringe Leute. Roman“ (1909), „Die Frauen aus der Familie Nebelsiek“ (1912)., „Die Trauer Gottes. In: Taschenbuch auf das Kriegsjahr 1914/15, hg. von A. Schremmer (1914), „Bekenntnisse“ (1915), „Contra naturam. Erzählung. In: Karl Anzengruber (Hg.), Fahrende Sänger von heute: Erlebnisse deutscher Dichter auf ihren Vortragsreisen, von ihnen selbst erzählt“ (1921), „Richard von Schaukal“ (1923), „Meerland − Menschen. Grenzroman“ (1924), „Das Lächeln des Rosian Ibranowitsch. Roman“ (1927), „Gnadenlächeln. Erzählung. In: Die Bergstadt. Monatsblätter, Jg. 18, Heft 10“ (1930), „Tante Lolas Geheimnis. Erzählung. In: Lia Franken (Hg.), Ganz wie bei uns daheim. Die schönsten Familiengeschichten“ (1998), „Kaspar Grunes Tochter. Roman“ (o. J.)
L.: Beine/Honerlage 2009, BLÖF, ÖBL, Brümmer 1913, Geißler 1913, Giebisch/Pichler/Vancsa 1948, Schmid-Bortenschlager/Schnedl-Bubenicek 1982
Ursula Honerlage