Hörandner Editha
Volkskundlerin
Geb. am 12.2.1939 in Korneuburg (NÖ) als Tochter von Anna Klenk und dem Gendarmeriebeamten Anton Klenk; Matura 1957; ab Herbst 1957 Studium an der Universität Wien, zunächst Philosophie, Anglistik und Germanistik; Studienaufenthalt in Boston (WS 1958/59); nach der Neugründung des Instituts für Volkskunde 1963 schließlich Wechsel zum Studium der Volkskunde und Anglistik. Während des Studiums außeruniversitäre Tätigkeiten als Sekretärin (1959) und Sachbearbeiterin bei einer Bank (1963–1964). Promotion zum Dr. phil. am 7.7.1966 (Dissertation: „Terminologie, Methoden und Zielsetzungen einer Wiener Volkskunde in Verbindung mit Darstellung und Einordnung zweier erneuerter gegenwärtiger Brauchformen“). 1966–1968 Mitarbeiterin bei der Gesellschaft für den Österreichischen Volkskundeatlas; 1968–1986 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Volkskunde der Universität Wien (1968–1975 als Vertragsbedienstete, 1975–1986 als Beamtin); 1972 Verehelichung mit dem Byzantinisten Wolfram Hörandner, 1973 Geburt der Tochter Magdalena, in den frühen 80er Jahren freie Mitarbeiterin des ORF; 1986 Ruf an die Universität Graz als o. Professorin für Volkskunde; Emeritierung 2007; verstorben am 20.6.2008 in Graz.
E. H. zählte zu den Schülerinnen des Wiener Volkskundlers Richard Wolfram (1901–1995), der auch für ihr frühes Interesse an volkskundlicher Kartographie verantwortlich zeichnete. Wolfram war Herausgeber des Österreichischen Volkskundeatlasses (ÖVA), als dessen Mitarbeiterin E. H. bereits wenige Wochen (1.8.1966) nach ihrer Promotion in das Fach einstieg. Die Frühzeit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit galt der Grundlagenforschung für mehrere Karten des ÖVA, die zwischen 1968 und 1979 erschienen. Der Fokus lag bereits in diesem Zusammenhang auf ihren späteren Forschungsschwerpunkten Nahrungs- und Brauchforschung. So zeichnete sie im ÖVA für die Themen Lärmbrauchtum (1968), Volkstümliche Termintage für Aussaat und Ernte (1974), Nikolausbrauchtum (1974) und Morgenmahlzeiten (1979) verantwortlich. Darüber hinaus übernahm sie 1976 die Gesamtverantwortung für den Bereich Konservierung von Fleisch, Speck und Wurst in Europa in der vorindustriellen Zeit des Ethnologischen Atlasses Europas und seiner Nachbarländer. Die Zeit der Volkskundeatlanten war jedoch in den 80er Jahren mehr oder weniger vorbei und der äußerst ambitioniert angedachte „Europaatlas“ erlebt nur die erste Lieferung (Jahresfeuer). Weitere Projekte, darunter auch das von E. H., konnten nicht mehr umgesetzt werden. Der ÖVA kam jedoch zu einem erfolgreichen Abschluss und die Karten geben heute noch Antworten auf Fragen nach der Verbreitung bestimmter kultureller Phänomene. Der fachgeschichtliche Wert der ethnographischen Atlanten ist zweifellos hoch anzusetzen, da derartige Befragungen heute nicht mehr möglich wären. Die für E. H. prägende Zeit als Mitarbeiterin des ÖVA endete zwar 1968, jedoch bedeutete der Wechsel an das Institut für Volkskunde der Universität Wien nur einen kleinen Schritt, zumal auch dort der Leiter damals noch Richard Wolfram hieß und die Arbeit am ÖVA weiterhin zu ihren zentralen Aufgaben gehörte. E. H. blieb in den folgenden Jahren ihren Schwerpunkten treu und legte eine Reihe von Veröffentlichungen zu ihren Themen vor. Zusätzlich verdienen ihre Beiträge zu den Gemeindestudien des Wiener Instituts für Volkskunde aus dieser Zeit Aufmerksamkeit (Wolfau 1969, Tadten 1975), die sich im ersten Fall dem im Fach lange vernachlässigten Alltag der Kinder widmeten und im zweiten Beispiel wieder ihren bereits festgelegten Schwerpunkten Küche und Kochen. In den 70er Jahren wird auch die Leidenschaft E. H.s für den Wissenstransfer sichtbar. Sie verfasst eine Reihe von Beiträgen für die vom Callwey Verlag herausgegebene Zeitschrift Volkskunst und bearbeitet auch 23 Stichwörter für das „Lexikon der Symbolik“, darunter „Volkskunde, Volkskunst und Volksmedizin“. Dass E. H. bei diesen Arbeiten wissenschaftliche Methoden und Denkweisen nicht außer Acht ließ, zeigt auch ihr bekanntes Buch über „Model. Geschnitzte Formen für Lebkuchen, Spekulatius und Springerle“ (1982), das die Wiener Historische Fakultät 1985 als Habilitationsschrift annahm. In den 80er Jahren wandte sich H. einem weiteren Forschungsgebiet zu, der Tracht. Für das von F. C. Lipp herausgegebene Standardwerk „Tracht in Österreich. Geschichte und Gegenwart“ lieferte sie mehrere Beiträge, darunter seien vor allem die Texte „Tracht und Gesellschaft: Image, Identität und Ideologie“ sowie „Tracht und Werbung: Signal und Signet“ erwähnt. Daneben erweiterte sie ihr Interesse an der Brauchforschung um die damals noch immer virulente Folklorismusdebatte. Als Ergebnis dieser erweiterten Schwerpunktsetzung kann der 1982 gemeinsam mit Hans Lunzer herausgegebene Tagungsband „Folklorismus“ gewertet werden. Ihre sie ständig begleitende Neigung, wissenschaftliche Erkenntnisse für einen möglichst breiten Kreis an RezipientInnen aufzubereiten, führte in der zweiten Hälfte der 70er Jahre auch zu etlichen Ausstellungen bzw. Ausstellungsbeteiligungen, in denen sie ihre Forschungsergebnisse umsetzte. Als Beispiele erwähnt seien in diesem Zusammenhang „Gebäck an festlichen Tagen“ (1975/76), die Wanderausstellungen „Weihnachten“ (ab 1977) und „Ostern“ (ab 1978) sowie „Das Kind und seine Welt“ (1979). Im Frühjahr 1986 erhielt E. H. schließlich den Ruf an die Universität Graz. Am 1. Oktober 1986 übernahm sie in der Nachfolge von Oskar Moser das Amt einer Ordinaria für Volkskunde. Auch in Graz blieb sie in den Folgejahren ihren Themen treu, die allerdings bereits 1987 um Aspekte des Volks- und Aberglaubens erweitert wurden, wie z. B.: „Volksfrömmigkeit“ und „Hexenbilder“, beide verfasst für den Katalog zur Steirischen Landesausstellung 1987 „Hexen und Zauberer“, geleitet vom Grazer Historiker Helfried Valentinitsch (1943–2001). Als wichtigster Beitrag in den ersten Grazer Jahren kann „Zur emblematischen Funktion von Kleidung. Bemerkungen zu Trendwenden und Schwerpunktsetzungen, Begriffen und Forschungsfeldern in der Kleiderforschung“ bezeichnet werden. E. H. widmet sich in diesem Beitrag zur Österreichischen Volkskundetagung 1986 verstärkt dem Symbolcharakter von Kleidung und weicht damit vom früheren Betrachtungsfeld Tracht deutlich ab. Bald begann für sie auch das Ringen um neue Räume für das längst zu klein gewordene Institut, dessen Übersiedlung in die jetzigen Räumlichkeiten sie 1996 endlich durchsetzen konnte. Als großes wissenschaftliches Verdienst darf sich E. H. die Gründung einer eigenen Publikationsreihe ihres Instituts (Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie, seit 1988) auf die Fahnen heften. Ab den 90er Jahren widmete sie sich verstärkt studentischen Projekten, von denen insbesondere drei hervorgehoben werden sollen, die auch über das Fach hinaus Beachtung fanden: Zunächst galt die Aufmerksamkeit dem Projekt „Nur eine Frage der Zeit. 16 Fallstudien zum Älter- und Altwerden“ (1999). E. H. gab diesen Sammelband mit studentischen Arbeiten als Teil des großen interdisziplinär ausgerichteten und vom Grazer Historiker Gerald Schöpfer geleiteten Projekts „Altern – Lust oder Last“ heraus. 2005 griff E. H. wieder auf eines ihrer frühen Forschungsfelder zurück und untersuchte mit Studierenden das seit den 90er Jahren auch bei uns bekannte und populär gewordene Halloween („Halloween in der Steiermark und anderswo“, 2005). Sie verfasste dafür auch einen Grundsatzartikel, in dem sie sich kritisch mit der oberflächlichen Deutung von Halloween als keltischem Fest auseinandersetzt. Das letzte von ihr (gemeinsam mit dem Historiker Stefan Benedik Karner) herausgegebene Werk ist wiederum interdisziplinär ausgerichtet und befasst sich mit der Alltagsbewältigung in der Steiermark 1945–55 („Durch die Jahre ist es immer besser geworden“ 2007). Mit geänderten Fragestellungen und Perspektiven greift sie dabei zum letzten Mal auf eines ihrer frühesten Forschungsthemen zurück, nämlich auf den Alltag der Kinder, deren Leben in den Nachkriegsjahren im Mittelpunkt der Betrachtung steht. So wie diese studentischen Projekte jeweils aktuelle Themen aufgriffen und umsetzten, so war E. H. seit Beginn ihrer Grazer Zeit bemüht, ein vielfältiges Seminarprogramm anzubieten und die Themen gemeinsam mit ihren Studierenden zu erarbeiten. Exkursionen in zahlreiche europäische Länder bildeten neben den Seminaren einen Schwerpunkt in der Lehre, viele zählen heute noch zum narrativen Standardrepertoire der TeilnehmerInnen.
E. H. war in den letzten Jahren ihrer aktiven Laufbahn als Ordinaria gesundheitlich bereits schwer gezeichnet und konnte nur mehr mit Mühe ihre vielfältigen Aufgaben bewältigen. Für sie galt der Titel ihres letzten Buchprojektes „Durch die Jahre ist es immer besser geworden“ leider nicht. Sie starb nur knapp neun Monate nach ihrer Emeritierung am 20.6.2008.
Werke
unter Edith Klenk:
Lärmbrauchtum: Weihnachten- und Neujahr-Anschießen. In: Wolfram, R. (Hg.): Österreichischer Volkskundeatlas, 3. Lieferung, (laufende Nr.: 91), Bl. 47, Wien, 1968.
Das Kinderleben. In: Gaal, K. (Projektleitung): Wolfau. Eine dorfmonographische Untersuchung. (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, H. 42). Burgenländisches Landesmuseum, Eisenstadt, 1969, S. 231-290.
unter Edith Hörandner:
Nikolausbrauchtum I und II. In: Wolfram, R. (Hg.): Österreichischer Volkskundeatlas, 5. Lieferung, (laufende Nrn.: 83 und 84) Bl. 88 u. 89, Wien,1974, (mit Kommentar).
Küche und Kochen. In: Gaal, K. / Bockhorn, O. (Projektleitung): Tadten. Eine dorfmonographische Untersuchung. (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, H. 56). Burgenländisches Landesmuseum, Eisenstadt, 1975, S. 159-190.
Gem. mit Lunzer, H. (Hg.): Folklorismus. Vorträge der I. Internationalen Arbeitstagung des Vereins „Volkskultur um den Neusiedlersee“ in Neusiedl/See 1978, Neusiedl am See, 1982.
Morgenmahlzeit: Flüssige Speisen. In: Wolfram, R. (Hg.): Österreichischer Volkskundeatlas, 6. Lieferung/ 2. Teil, (laufende Nr.: 55), Bl. 105, Wien, 1979.
Morgenmahlzeit: Feste Speisen. In: Wolfram, R. (Hg.): Österreichischer Volkskundeatlas, 6. Lieferung/ 2. Teil, (laufende Nr.: 56), Bl. 106, Wien, 1979.
Model. Geschnitzte Formen für Lebkuchen, Spekulatius und Springerle. Callwey, München, 1982.
Gem. mit Fielhauer, H. P.: Zur Nahrungsvolkskunde der Großstadt. Ein Versuch, das Thema am Beispiel Wiens systematisch anzugehen. In: Kohlmann, Th. / Bausinger, H. (Hg.): Großstadt. Aspekte empirischer Kulturforschung. 24. Deutscher Volkskunde-Kongress in Berlin vom 26. bis 30. September 1983. (= Schriften des Museums für Deutsche Volkskunde Berlin, Bd. 13). Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, 1985, S. 279-290.
Volksfrömmigkeit. In: Valentinitsch, H. (Hg.): Hexen und Zauberer. Die große Verfolgung – ein europäisches Phänomen in der Steiermark. Leykam, Graz, 1987, S. 59-73.
„Hexenbilder“ – Zum Nachleben der Hexenvorstellungen in Märchen und Sage. In: Valentinitsch, H. (Hg.): Hexen und Zauberer. Die große Verfolgung – ein europäisches Phänomen in der Steiermark. Leykam, Graz, 1987, S. 351-354.
Die Stadt als Ausgangspunkt von Innovationen. In: Gaál, E. / Schebesta, E. B. (Hg.): Niederösterreich und seine historischen Nachbarn. Zentrale Orte und regionale Kultur im zentraleuropäischen Raum. UNESCO, Wien, 1988, S. 147-165.
„Alt wird man wohl, wer aber klug“. In: Hörandner, E. (Hg.): „Nur eine Frage der Zeit“. 16 Fallstudien zum Älter- und Altwerden (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Sonderband, 1999). Arbeitsgemeinschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Graz, 1999, S. 15-24.
Gem. mit Bockhorn, O. u. Dimt, G. (Hg.): Urbane Welten. Referate der Österreichischen Volkskundetagung 1998 in Linz, (Buchreihe der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde 16)
Wien 1999.
Halloween. Ein Druidenfest oder die Liebe zur Kontinuität. In: Hörandner, E. (Hg.): Halloween in der Steiermark und anderswo. LIT, Wien, 2005, S. 7-36.
Vom Umbruch bis zum Staatsvertrag. Alltagsbewältigung in der Steiermark 1945-1955. In: Hörandner, E. / Benedik Karner, St. (Hg.): „Durch die Jahre ist es immer besser geworden“. Alltagsbewältigung in der Steiermark 1945-55. (Volkskunde, Bd. 13). LIT, Wien, 2007, S. 9-22.
Literatur / Quellen
Eberhart, H.: Edith Hörandner (12.2.1939 – 20.6.2008). In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, 111. Jahrgang, im Selbstverlag des Vereines für Volkskunde, Wien, 2008, S. 329-333.