Hagen Anna, verh. Embser, verh. Paur; Gerichtsschreiberin und Amtsverwalterin
Geb. Lustenau, Vbg., um 1600
Gest. Wasserburg, Vbg., um 1669
Herkunft, Verwandtschaften: A. H., auch Anna Hagin, Anna Hägin, entstammte einem den Grafen von Hohenems leibeigenen Bauerngeschlecht.
LebenspartnerInnen, Kinder: Mit der Heirat ihres ersten Mannes führte A. H. seit ca. 1620 den Namen Embser, mit der zweiten Heirat um 1634 wechselte sie auf den Namen Paur (auch Baur). Man nannte sie aber auch, besonders nach dem Tod ihres zweiten Mannes, nach dessen Beruf Gerichtsschreiberin oder Amtsverwalterin. Manchmal hieß sie in dem kleinen Dorf Mitten (heute Ortsname obsolet, mit Wasserburg identisch) nur einfach die Witwe. Gelegentlich wird sie als „Fraw“ Anna Hagin bezeichnet; der Ehrentitel „Fraw“ stand eigentlich nur Adligen zu.
Laufbahn: Die genauen Geburts- und Todesdaten sind unbekannt, es lässt sich nur ein ungefährer Zeitraum erschließen. A. H. wurde um 1600 im mit der Grafschaft Hohenems eng verbundenen Reichshof Lustenau (Bez. Dornbirn, Vorarlberg) geboren. Sie ist um 1669 in Wasserburg am Bodensee (Lkr. Lindau, Bayern) gestorben; doch ist das Todesjahr wohl nur sehr ungenau. Vermutlich wurde sie in der Grabstätte ihres Mannes auf dem Friedhof der St. Georgskirche in Wasserburg beigesetzt. Lebensmittelpunkte waren in der Jugendzeit Lustenau und das benachbarte Gericht Höchst-Fußach (Bez. Bregenz, Vorarlberg), die Heimat ihrer Mutter, seit ca. 1620 Hohenems (Bez. Dornbirn, Vorarlberg), seit 1634 Wasserburg am Bodensee.
A. H.s Vater Magnus (Mang) Hagen (ca. 1550-1621) war Leibeigner der Grafen von Hohenems, denen er für den Todfall 1 Ross um 30 Gulden schuldete. Er besaß ein beträchtliches Vermögen. Er war Mitglied des Gerichts, Stabhalter (Stellvertreter des Hofammanns) und zwischen 1593 und 1609 viermal Hofammann. 1599 erhielt er durch den mit den Grafen von Hohenems verschwägerten Freiherrn Hans Ernst von Hohenschwangau und Erbach einen Wappenbrief. Magnus Hagen war zweimal verheiratet, in erster Ehe seit 1576 mit Anna Holenstein (spätere Schreibweise Hollenstein), in zweiter Ehe mit Anna Schellenbreid (†1654) aus Fußach. A. H. entstammt wie vermutlich auch ihr Bruder Magnus Hagen aus der zweiten Ehe.
Aus ihrer Verwandtschaft ragen heraus: ihr Halbbruder aus der ersten Ehe ihres Vaters Hans Hagen (ca. 1595-1657), Fähndrich zwischen 1625 und 1653 fünfmal Hofammann von Lustenau und ihr Bruder Magnus Hagen (†1664), aus der zweiten Ehe stammend, Leutnant und 1658-1664 Hofammann von Lustenau. Von Wasserburg aus waren über den See die Kontakte zu ihrer Mutter und ihren Brüdern leicht zu halten. Ihr Vater hatte aber auch alle anderen Kinder gut untergebracht. Die Töchter Maria Philippa und Franziska wurden Klosterfrauen in Appenzell, Katharina heiratete den Bürgermeister von Bludenz Hieronymus Zürcher. Die Nichte Maria Agatha Zürcher, Tochter ihrer Schwester Katharina, heiratete den Stadtammann von Bregenz Hans Rüst. Franz Hagen, ein Sohn des Lustenauer Hofammanns Magnus Hagen Jun., wurde Ammann zu Hohenweiler. Anna, eine Tochter von Magnus Hagen Jun., ehelichte um 1618 den Ammann von Höchst Hans Georg Schneider. Magnus Hagen Jun. hatte aus seiner zweiten Ehe mit Anna Zumtobel, einer Schwester des Dornbirner Ammanns Barthle Zumtobel, eine weitere Tochter Anna Maria Hagen. Die nächsten Verwandten der H. waren mithin in den politischen Führungsschichten von Lustenau, Höchst-Fußach, Hohenweiler, Dornbirn, Bregenz oder Bludenz vertreten. H. selbst gewann in dem – allerdings bereits verstorbenen – Söldnerführer Graf Jakob Hannibal I. von Hohenems ihren Schwiegervater und kein geringerer als dessen Bruder, der in Hohenems regierende Graf Kaspar, stiftete ihre Ehe mit dessen Sohn Rochus Embser.
So sehr A. H. mit ihrer Verwandtschaft glänzte, so bescheiden lebte sie in Mitten als tüchtige Hausfrau, umgeben von ihrer Tochter Barbara sowie der über Jahre als Hexe verschrienen Magd Apollonia (Appl) Scheffler, pflegte selbst zu kochen und ihre Wäsche im Bodensee zu waschen; sie stiftete Frieden, wenn ihr Mann mit einer Partei ins Streiten kam.
A. H.s erste Ehe verlief wenig glücklich, auch wenn sie mit ihr zu Ansehen und Wohlstand gelangte. Sie heiratete um 1620 den unehelichen Sohn des Grafen Jakob Hannibal I. von Hohenems und dessen Konkubine Felizitas Walser (†1628); hier bleibt jedoch anzumerken, dass der Graf von seinen ehelichen Kindern verlangte, seine Geliebte wie eine Ehefrau anzuerkennen. Rochus Embser, geboren am 22. Oktober 1584, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen unehelichen Sohn des Konstanzer Domherrn Georg Sigmund von Ems, führte wegen seines Vagantenlebens den Beinamen „Picaro“ (span., Schelm). Er begab sich 1610 in Kriegsdienste nach München. Als er 1611 nach Ems zurückkehrte, gab ihm sein Bruder Kaspar ein Almosen von 2 Dukaten. 1612 war er Kammerdiener in Schloss Hohenems. Er diente dann als gefreiter Soldat auf Schloss Werfen (Bez. St. Johann im Pongau, Salzburg), wurde dort nach einem Streit entlassen und begab sich in die Niederlande. Auf dem Weg dorthin wurde er zwischen Bonn und Köln von brandenburgischen Reitern bis aufs Hemd ausgeraubt, fand Hilfe in Bonn, reiste nach Düsseldorf und Aachen weiter, dann aber wieder auf dem Rhein stromaufwärts bis nach Salzburg, von dort weiter auf der Suche nach Kriegsdiensten nach Wien, Graz, Villach. Im Oktober 1615 kam er in zerrissenen Kleidern nach Hohenems. Das alles lag vor der Eheschließung mit A. H. Um diesem Vagantentum ein Ende zu machen, verheiratete Graf Kaspar seinen Neffen mit A. H. und machte ihn in der Dompropsteigasse in Hohenems ansässig, beförderte ihn 1621 zum Leutnant und beteiligte ihn an der Verwaltung. 1623 erneuerte er ihm die bei einem Brand des Hauses der Felizitas Walser zugrunde gegangenen Lehenbriefe über den Weilerhof zu Hohenems. Aber schon 1624 folgte Embßer wieder einem Kriegszug, von dem er erneut mit abgerissenen Kleidern heimkehrte. 1626 lehnten es A. H. und ihr Bruder Hans Hagen unter Hinweis auf Rochus’ notorische Verschwendungssucht ab, als Bürgen für ihn gerade zu stehen; doch bestand das Gericht in Hohenems auf einer Zahlung der Schuld in Höhe von 120 Gulden. Rochus ist vor dem 11.3.1633 fern der Heimat in Genua gestorben. Das einzige Kind aus dieser ersten Ehe Katharina Embser wurde im Kloster St. Ottilia Grimmenstein (Walzenhausen, Kanton Appenzell Außerrhoden) versorgt.
Vermutlich bereits 1634 heiratete A. H. in zweiter Ehe Johann (Hans) Paur in Mitten. Dieser diente 1616 noch als gewöhnlicher Schreiber, hatte aber um 1621 seinen Vorgänger Vinzenz Forster als Gerichtsschreiber der Herrschaft Wasserburg abgelöst; zuletzt finden wir ihn noch 1647 in diesem Amt. Der Gerichtsschreiber war nach dem Oberamtmann der zweithöchste Beamte in der Verwaltung der Herrschaft Wasserburg. Da der Herrschaftsinhaber Georg Fugger auch an der Spitze der Landvogtei Schwaben im nahen Altdorf (heute Weingarten, Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg) stand, wurde Johann Paur von ihm auch als Landschreiber eingesetzt. Bei der über viele Jahre währenden Nähe zum Landesherrn ist es nicht überraschend, dass Johann Paur zuletzt auch als Oberamtsverweser, d. h. als Stellvertreter des Oberamtmanns, verwendet wurde. Paur hatte einen Hof im benachbarten Bettnau (Ortsteil von Bodolz, Lkr. Lindau, Bayern) inne. Als Todesjahr von Johann Paur wird 1648 genannt. Außer den schon erwähnten Töchtern Katharina und Barbara ging aus dieser zweiten Ehe ein Sohn Johann Andreas Paur (1635-1728) hervor, der den Beruf seines Vaters ergriff. Er wurde 1674 vom Fürstabt des Klosters Weingarten zum Landschreiber der Reichsherrschaft Blumenegg ernannt und verblieb mit Wohnsitz in Thüringen (Bez. Bludenz, Vorarlberg) 52 Jahre in diesem Amt. Er wurde 1724 wegen seiner treuen Dienste mit dem Prädikat von Liechtenau in den Ritterstand erhoben. Mit seiner Ehefrau Anna Maria Reiter hatte Paur wenigstens sechs Söhne, von denen mehrere studiert haben und Geistliche wurden: (1) Johann Alphons Paur von Liechtenau, 1675-1751, seit 1702 Pfarrer der weingartenschen Pfarre Ludesch (Bez. Bludenz, Vorarlberg), fürstbischöflicher Rat in Chur; (2) Martin Matthäus Paur von Liechtenau; (3) P. Agricola Paur von Liechtenau OSFr.; (4) P. Narcissus Paur von Liechtenau OSFr.; (5) Benedikt Dionys Paur von Liechtenau, Zoller in Feldkirch (Vorarlberg); (6) Friedrich Leopold Paur von Liechtenau, 1685-1746, 1707-1716 Beichtiger in Rankweil (Bez. Feldkirch, Vorarlberg), 1717-1746 Pfarrer der weingartenschen Pfarre St. Gallus in Ausnang-Hofs (heute Stadt Leutkirch, Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg), 14 Jahre lang Dekan des Kapitels Isny (Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg), auch Fürstlichkemptischer Rat.
Johann Alphons stiftete 1749 aus Anlass seines 50-jährigen Priesterjubiläums den Rosenkranzaltar in der Pfarrkirche St. Georg in Wasserburg. Das Altarbild dieses südlichen Seitenaltars neben der Kanzel, Öl auf Leinwand, zeigt die Muttergottes mit dem hl. Dominikus und der hl. Katharina von Siena mit der Inschrift „JOSEPH WALSER INVENIT PINX“. Das Bild ist von je zwei Säulen flankiert, zwischen denen die überlebensgroßen Figuren des hl. Martin und des hl. Benedikt stehen. Die Stiftungsinschrift befindet sich in einer Kartusche unter dem Bild und lautet im lateinischen Original.
Deo uni et trino │ Almae dei Matri, aeternaeque Virgini │ optimae maximae │ confraternitatis S. S. Rosarij Reginae │ Protectrici Potentissimae │ Singulari Suae Matri ac Patronae │ insuper etiam │ S. Alphonso archiepiscopo Toletano, huius Virginis │ Cultori Eximio │ Itidem Leopoldo Confessori S. Martino Episcopo │ Turonensi et S. Benedicto Patriarchae │ hanc aram sacram │ et pereue ad Posteros Monumentum Parentum Suorum Andreae Paur de Liechtenau │ Dynastiae Blumeneggensis Archigrammtaei 52 ann. Annae Mariae Reiterin │ uti et Fratrum │ Martini Matthaei, P.P. Agricolae et Narcissi Ordinis S. Francisci │Benedicto Dyonisi Teleonarii in Veldkirch, Friderici Leopoldi │ S. Rdi. Principis Campidonensis Consiliarii Capituli Ruralis │ Ysnensis 14 ann. Decani ac Parochi in Hoffs 30 ann. │ Omnium que Agnatorum │ anatheM, sVspenDIt atqVe ereXIt │ CLIens Vere pIVs et │ sVppLeX │ Plrm R. Praenob. ac Clar. D. Ioannes Alphons. Paur de │ Liechtenau S. R. I. Principis et Episcopi Curiensis │ Consiliarii │ Venerab. Cptli. Vallis Drusianae │ deputati │ Ac Parochi 48 annis in Ludesch │ Anno Aetatis Suae 75 Sacerdotii Sui 50 Seu Iubilaeo │ Post Virginis Partum │ MDCCXLIX.
(Dem einen und dreifachen Gott, der gütigen Gottesmutter und ewigen Jungfrau, der besten und größten Königin der Bruderschaft des Heiligen Rosenkranzes und mächtigsten Beschützerin, seiner einzigartigen Mutter und Schutzheiligen, ferner noch dem heiligen Alphons, Erzbischof von Toledo, dem herausragenden Verehrer dieser Jungfrau, ebenso dem Bekenner Leopold, dem heiligen Martin, Bischof von Tours, und dem heiligen Erzvater Benedikt, hat diesen heiligen Altar aufgehängt und errichtet, zum ewigen Andenken für die Nachkommen als Denkmal für seine Eltern, nämlich Andreas Paur von Liechtenau, 52 Jahre lang Landschreiber der Herrschaft Blumenegg, und Anna Maria Reiter sowie auch seine Brüder Martin Matthäus, der Patres Agricola und Narcissus aus dem Franziskanerorden, des Benedikt Dionysius, Zollers in Feldkirch, des Friedrich Leopold, des hochwürdigen Fürsten von Kempten Rats, 14 Jahre lang Dekans des Landkapitels Isny, 30 Jahre lang Pfarrers in Hofs, sowie aller Blutsverwandten zum Weihegeschenk, als wahrhaft frommer Schutzbefohlener und Schutzflehender der ehrwürdige, edle und berühmte Herr Johannes Alphons Paur von Liechtenau, des Heiligen Römischen Reichs Fürsten und Bischofs von Chur Rats, Angehörigen des ehrwürdigen Drusianischen Kapitels und 48 Jahre lang Pfarrers in Ludesch, im Alter von 75 Jahren und im 50. bzw. Jubeljahr seines Priestertums nach der jungfräulichen Geburt 1749). Das in der Inschrift durch Großbuchstaben (römische Zahlzeichen) hervorgehobene Chronogramm ergibt gleichfalls das Jahr MDCLLXXVVVVVIIII = 1749).
In dieser Inschrift gedenkt der Stifter Johann Alphons Paur wohl seiner Eltern, nennt aber die Großeltern nicht. Da er 1675 geboren wurde, kannte er sie auch gar nicht; über dies gehörten sie auch nicht der geadelten Familie von Liechtenau an. Dennoch ist unverkennbar, dass A. H. und ihr Vater Magnus Hagen die treibende Kraft für die Nobilitierung gewesen waren. Daher wird man den Altar in der St. Georgskirche in Wasserburg auch als ein Denkmal für A. H. ansehen müssen.
A. H. ist mit ihrer ganzen Familie ein Musterbeispiel für einen sozialen Aufstieg. Sie wurde durch die Heirat mit einem illegitimen Grafensohn zu einer reichen Frau und stand nach ihrer zweiten Heirat als Frau und Witwe eines leitenden Beamten in ihrer dörflichen Umgebung in hohem Ansehen. Sie erreichte letztlich, wenn auch erst nach ihrem Tod, das Ziel, als ihr Sohn Andreas 1724 mit dem Prädikat von Liechtenau in den erblichen Ritterstand erhoben wurde. So ganz glatt ist diese Entwicklung allerdings nicht verlaufen. A. H. konnte nur über die Heirat mit einem illegitimen Taugenichts in die gräfliche Familie Aufnahme finden; und die Noblilitierung erfolgte auch nicht durch den Kaiser, sondern durch einen Fürstbischof.
Qu.: Staatsarchiv Augsburg, Herrschaft Wasserburg, Akt Nr. 73, fol. 58r-64v, 66r-67r; Akt Nr. 76, fol. 6r u. v, 9v, 10r, 60v – 61r.
L.: Stetter/König 2012, Burmeister/Tschaikner 2008, Scheffknecht 1988, Welti 1973, Welti 1965, Horn/Meyer 1954, Ulmer 1925
Karl Heinz Burmeister