Garelik Marta, geb. Friedländer; Rechtsanwältin und Kauffrau
Geb. Wien, 26.12.1902
Gest. Charlotte, North Carolina, USA, 21.4.1996
M. G. wurde am 26. Dezember 1902 als erstes von zwei Kindern von Mend(e)l (1870-1941) und Elsa Friedländer, geb. Münz (1879-1941(?)), geboren. Nach Auskunft der Israelitischen Kultusgemeinde Wien war Mendl Friedländer Schriftsetzer und seit 1908 Buchdruckereifaktor. Nach anderem Bericht war der Vater Chefherausgeber einer Wiener Abendzeitung gewesen. Der Mutter Elsa war ein heiß erwünschtes Medizinstudium als Frau noch verwehrt geblieben, umso mehr unterstützte sie den Studienwunsch ihrer Kinder. Das Elternhaus war sozialdemokratisch und jüdisch geprägt mit koscherem Haushalt und Sederabenden bei den Großeltern, wenngleich eine aktive Beteiligung am jüdischen Leben der Gemeinde unterblieb.
M. G. besuchte eine Wiener Volksschule und wollte danach von der Schule abgehen. Um dies zu verhindern, nahm die Mutter sie mit in eine Fabrik, in der Frauen in langen Reihen an ihren Nähmaschinen saßen, und führte ihrer Tochter eindringlich die Alternative zum Gymnasium vor. Derart vor eine Alternative gestellt, setzte sie nun doch alles daran, auf ein Gymnasium zu kommen. Mit einem Stipendium besuchte sie ein gutes Realgymnasium und legte ihre Matura ab. Nachdem M. G. bereits als Schülerin als Sekretärin bei dem Rechtsanwalt Fritz Kamman gejobbt hatte, entschloss sie sich nun für ein Studium der Rechte, das sie bald nach der Öffnung der juridischen Fakultät an der Universität Wien aufnahm. Ihrer Erinnerung nach war sie lange Zeit die einzige Jurastudentin an der Fakultät, die sie nach vier Jahren mit dem Dr.iur. verließ.
Die Ausbildung zum Rechtsanwalt in Österreich bedurfte einer weiteren siebenjährigen schlecht bezahlten Vorbereitungszeit: das erste Jahr am Gericht und sechs Jahre bei einem Rechtsanwalt. M. G. arbeitete weiterhin bei Fritz Kamman, dies sowohl als juristisch Auszubildende als auch als Sekretärin, um sich ein Zubrot zu verdienen. Im Jahr 1933 konnte sie sich schließlich als Rechtsanwältin niederlassen und eröffnete ihre Kanzlei im achten Bezirk in der Langegasse 63 und später im zweiten Bezirk, der Leopoldstadt, in der Unteren Augartenstraße 6. Der Anfang als Rechtsanwältin war hart, niemand wollte eine Frau engagieren. Aber nachdem sie ihre ersten Mandate erfolgreich beenden konnte, stellte sich der Erfolg schnell ein. Bald hatte sie eine erfolgreiche Praxis mit prominenten Klienten und war die erste Frau, die vor dem österreichischen Verfassungsgericht plädierte.
Am 31. März 1938 verbot die neue Regierung provisorisch allen jüdischen Rechtsanwälten die Ausübung ihres Berufes; zum 22. Juni 1938 hatten sie endgültig ihre Kanzleien zu schließen. Zu diesem Zeitpunkt waren 62 % aller Wiener Rechtsanwälte jüdisch, so dass nicht alle gleichzeitig ihre Arbeit niederlegen konnten, ohne die Rechtssicherheit zu gefährden. Während die Nationalsozialisten sich vorerst darauf konzentrierten, die Männer zu inhaftieren, konnte M. G. – blond und blauäugig – ihre Kanzlei noch einige Monate unbehelligt fortführen. Am 22. Juni 1938 musste auch sie ihre Kanzlei schließen und begann, sich nach einer Möglichkeit umzuschauen, das Land zu verlassen. Ein ganzes Netzwerk an Freunden und Klienten arbeitete daran, ein Visum für sie zu bekommen. Eine Klientin verschaffte ihr schließlich ein Visum für England.
Im Herbst 1938 in London angekommen, reiste M. G. gleich weiter nach Irland. Die dortige Regierung war daran interessiert, einige Fachleute für Handarbeiten zu finden. M. G. wurde Teamführerin einer Gruppe von Flüchtlingen, die sich jedoch von dem Besitzer in ihren neuen Jobs ausgebeutet fanden. Nachdem sie genügend Englisch gelernt hatte, ging sie zur Polizei und erklärte ihre missliche Situation. Danach arbeitete die Gruppe direkt für die Regierung. Die Kleidung, die M. G. entworfen hatte, verkaufte sich auf dem Festland erfolgreich; bald stand sie einer Gruppe von fast 100 Arbeitern vor.
Offenbar folgte Elsa Friedländer M. G. nach Irland, während der Vater im jüdischen Altersheim zurückblieb und dort 1941 verstarb. Auch der Bruder Otto (geb. 1908) stieß wieder zu ihnen. Nach dem Tod der Mutter in Irland, und da Otto Friedländer in Irland keine Arbeitserlaubnis erhielt, beschlossen die Geschwister, in die USA überzusiedeln. Am 11. Mai 1941 erreichten sie auf der Brittany New York und beschlossen, nach Texas zu ziehen. M. G. gründete gemeinsam mit einem Partner eine Fabrik für Strickwaren. Die dort produzierten Sweater machten sich bis Hollywood einen Namen. In ihren früheren Beruf als Juristin kehrte sie nie mehr zurück, doch ihre Kenntnisse im Recht halfen bei Vertragsschlüssen mit Subunternehmen und Klienten. 1944 heiratete M. G. einen Farmer russischer Herkunft. Nach dem frühen Tode ihres Mannes zog sie nach Charlotte zu Verwandten ihres Ehemannes, wo sie am 21. April 1996 von einem großen Freundeskreis und der jüdischen Gemeinde betrauert starb.
Qu.: Oral History Interview, Special Collection, UNC Charlotte; Material von Aleisa Fishman aus Privatbesitz Martha Garelik; Questionnaire „Martha Garelik“ von Harriet Pass Freidenreich; Verzeichnis der Rechtsanwälte in Wien, Niederösterreich und im Burgenlande ab 1933 bis 1938; Fishman, Aleisa, Austrian Anti-Semitism: One Woman’s Experience (Hausarbeit, 29. März 1990, Seminar Dr. Claudia Koonz, Duke University), LBI New York.
L.: Ingrisch 1997, Jessica Schorr Saxe, Marta Garelik – A Woman of Ruach, http://www.havurattikvah.org/marta.html.
Marion Röwekamp