Gardiner-Buttinger Muriel, geb. Morris, verh. Buttinger; Widerstandskämpferin, Psychiaterin und Psychoanalytikerin

Geb. Chicago, Illinois, USA, 23.11.1901

Gest. Princeton, New Jersey, USA, Februar 1985

Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Edward Morris, ältester Sohn von Nelson Morris, dem Gründer von „Morris & Company“, einer der ersten und größten Fleischverarbeitungsfirmen in Chicago. Während der Einwanderungswellen aus Mitteleuropa in den Jahren nach 1848 war Großvater Morris, ein jüdischer Knabe, der früher Beisinger geheißen hatte, mit dreizehn Jahren (mit einem Dollar in der Tasche, wie den Kindern erzählt wurde), von Hechingen in Süddeutschland in die Vereinigten Staaten gekommen. Mutter: Helen Swift, Tochter von Gustav Swift, dem Gründer von „Swift & Company“, einem weiteren der großen Fleischereibetriebe von Chicago, ursprünglich englischer Abstammung. M. G.-B. war das jüngste von fünf Kindern (zwei Brüder und zwei Schwestern). Die Familie lebte in einem schlossartigen Anwesen im Süden der Stadt, umgeben von mehr als einem Dutzend Hausangestellten. Wichtigste Bezugsperson für M. G.-B. war ihre Kinderfrau Mollie. Für ihre Eltern empfand sie vor allem furchtsamen Respekt.

LebenspartnerInnen, Kinder: Um 1929/30 erste Ehe mit Julian Gardiner, ein in Wien studierender englischer Musik- und Kunststudent. Aus dieser Ehe stammt Tochter Connie. 1939 zweite Heirat mit Joseph Buttinger, Obmann des Zentralkomitees „Revolutionärer Sozialisten“ in Paris.

Ausbildungen: 1918-1922: Studium der Literatur und Geschichte am Wellesley College in Boston (B.A. der philosophischen Fakultät, Präsidentin einer liberal-sozialistischen Studentenorganisation), Psychoanalyse bei Ruth Mack Brunswick, 1932 Inskription an der medizinischen Fakultät in Wien, 1938 Promotion zum Dr.med.

Laufbahn: Das Erkennen von sozialer Ungerechtigkeit bestimmte trotz materieller Unabhängigkeit − ab ihrem 21. Lebensjahr verfügte sie über ein eigenes Einkommen aus der Familie − ihren bewußt auf Luxus verzichtenden sparsamen Lebensstil. Ihr Engagement in einer liberal-sozialen Studentenorganisation trugen ihr bald den Ruf einer „Bolshie“ ein. Ihre politisch aktivste Zeit sollte aber in Wien im Jahr 1934 beginnen, wo sie sich in Analyse bei Ruth Mack Brunswik, einer Schülerin von Freud, befand, als die Februarkämpfe ausbrachen. Über englische Freunde kam sie in Kontakt mit der Untergrundbewegung der RSÖ, die sie nun mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützte. Sie stellte ihre Wohnung und ihr Häuschen in Sulz für geheime Treffen zur Verfügung, versteckte Sozialisten und Juden, transportierte gefälschte Pässe und Untergrundliteratur, gab Garantieerklärungen für amerikanische Behörden und verhalf so unzähligen Personen zur Flucht. Ihre finanziellen Mittel stellte sie ausnahmslos der antifaschistischen Widerstandsbewegung zur Verfügung. Als sie 1938 unmittelbar nach ihrer Promotion zum Dr.med. an der Wiener Universität ihrem späteren Mann Joseph Buttinger, Obmann des Zentralkomitees der „Revolutionären Sozialisten“, nach Paris folgte, warnten sie Freunde davor, nach Wien zurückzukehren − sie war bereits als „Agentin“ registriert. 1939 gelang es Joseph Buttinger, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten und das Ehepaar Buttinger (sie hatten in Paris geheiratet) reiste in die Vereinigten Staaten. M. G.- B. wurde in Amerika eine anerkannte Psychoanalytikerin und Fachpublizistin.

Ausz.: In den 1970er Jahren verschiedene Ehrungen durch die Republik Österreich, 1980 Ehrenkreuz der Republik Österreich für Wissenschaft und Forschung. Verkehrsflächenbenennung: In Wien-Favoriten ist seit 1989 eine Verkehrsfläche (Muriel Gardiner-Buttinger-Platz) nach ihr benannt.

W.: „The Wolf-Man by the Wolf-Man” (1971), „The deadly Innocents: Portraits of Children who kill” (1976), „Code Name: Mary. Memoirs of an American Woman in the Austrian Underground” (1983)

L.: Lingens 1985, ÖNB 2002