Fogel Dvoyre, auch: Debora Vogel; Debora Vogel-Barenblüth; Schriftstellerin, Literatur- und Kunstkritikerin, Übersetzerin, Pädagogin und Philosophin
Geb. Bursztyn, Galizien (Polen), 4.1.1900
Gest. Lemberg, Galizien (Lwiw, Ukraine), August 1942

Kurz nach D. F.s Geburt zog die Familie nach Lemberg um. Der Vater Anzelm Vogel war Hebraist und Beamter der jüdischen Gemeinde. Die Mutter Lea Vogel, geb. Ehrenpreis, war Lehrerin und Haushälterin des jüdischen Waisenhauses (Zborowska-Strasse 8). Ihre Ausbildung begann V. als Privatistin am VIII. Knabengymnasium in Lemberg; in der 4. Klasse wechselte sie ins Städtische Mädchenrealgymasium der Königin Hedwig. Den Ersten Weltkrieg verbrachte V. mit ihrer Familie in Wien, wo sie am 12.7.1918 am deutschen Gymnasium (Albertgasse 34) die Reifeprüfung bestand. 1919 kehrte V. nach Lemberg zurück und begann ihr Studium an der dortigen Philosophischen Fakultät der Jan-Kazimierz-Universität. Sie besuchte Seminare zu Philosophie, Geschichte und polnischer Literatur. Zu jener Zeit (1919-1921) war sie im Vorstand des galizischen Haschomer Hazair tätig. Im Juli 1926 wurde V. an der Jagiellonen-Universität in Krakau mit der Dissertation „Erkenntnisbedeutung der Kunst bei Hegel und deren Modifikationen bei Józef Kremer” zur Doktorin der Philosophie promoviert. V. verfügte über breite Sprachkenntnisse: Polnisch, Deutsch, Französisch, Hebräisch, Jiddisch und Latein.
Im Oktober 1926 unternahm D. F. eine sechsmonatige Bildungsreise nach Berlin, Paris und Stockholm. Unterkunft fand sie bei jüdischen Intellektuellen auf Empfehlung ihres Onkels Marcus Ehrenpreis (1869-1954), seit 1914 Rabbi in Stockholm. Nach ihrer Rückkehr arbeitete D. F. als Erzieherin im Waisenhaus an der Zborowska-Strasse. Von 1928 bis zumindest Ende 1939 unterrichtete sie Psychologie und Literatur am Hebräischen Lehrerseminar von Jakob Rottman in Lemberg. 1939 hielt sie dort Vorlesungen über jiddische Literatur, die u. a. Chone Shmeruk besuchte.
Im August 1929 lernte D. F. in Zakopane den Maler und Dramatiker Stanisław Ignacy Witkiewicz (gen. Witkacy, 18851939) kennen. In dessen Atelier begegnete sie um 1930 dem Zeichner und Maler Bruno Schulz (18921942), mit dem sie bis zum Lebensende eine Freundschaft verband. In seinen ersten, heute verschollenen Briefen schickte Schulz an D. F. Fragmente seiner frühen Prosa. Sie erkannte den grossen literarischen Wert dieser Texte und trug wesentlich zur Veröffentlichung von Schulz’ „Zimtläden” bei.
Am 11.10.1931 heiratete V. in Lemberg den Architekten Ing. Szulim Barenblüth. Am 3.5.1936 gebar sie ihren Sohn Aszer Józef. Ende 1941 musste V. ins Lemberger Ghetto umziehen. Zwischen 10. und 22. August 1942 wurde sie mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Mutter während einer Liquidationsaktion gegen Lemberger Juden erschossen.
D. F. führte rege Korrespondenz u. a. mit Shlomo Bickel, Marcus Ehrenpreis, Aaron Glanz-Leyeless, Melech Ravitch, Dov Sadan. Veröffentlicht wurden bisher nur fünf Briefe D. F.s an Schulz (vgl.: Ficowski [Hg.] 2002, S. 240-250), weitere Korrespondenzen sind in verschiedenen Archiven verstreut (u. a.: The National Library of Israel; The Archives of the Jewish Community in Stockholm; YIVO Archives).
Ab 1927 veröffentlichte D. F. psychologisch und soziologisch fundierte Aufsätze in „Przegląd Społeczny” (Lemberg) wie auch zahlreiche Rezensionen und Essays über moderne Kunst und jiddische Literatur, u. a. in „Chwila” (Lemberg), „Bodn” (New York), „Judisk tidskrift” (Stockholm), „Literarische bleter” (Warschau), „Der Morgen” (Lemberg), „Sygnały” (Lemberg), „Wiadomości literackie” (Warschau). In diesen Texten zeigte sie sich als eine einfühlsame Beobachterin und über Avantgarde-Strömungen bestens informierte Theoretikerin. Zentral für ihr kritisch-theoretisches Schaffen sind Themen wie Abstraktion, Montage, die Wechselwirkung zwischen Malerischem und Literarischem sowie die Affinität des Inhaltlichen mit dem Formalen.
1930 gehörte D. F. zu den GründerInnen der literarisch-künstlerischen Gruppe „tsushtayer” (u. a. mit Ber Horowitz, Rachel Korn, Mendl Neugröschl und Hersch Weber) und wirkte bei der Herausgabe der gleichnamigen Zeitschrift mit. 1936-1938 veröffentlichte sie in der Zeitschrift der New Yorker Introspektivisten „in zikh” mehrere neue Fragmente ihrer Montage-Prosa.

W.: „tog figurn. Lider” (1930, mit Ill. von Henryk Streng), „manekinen, lider” (1934), „akacjes blien. Montażn” (1935, mit Ill. von Henryk Streng), „Akacje kwitną . Montaże” (1936, mit Ill. von Henryk Streng), „Debora Vogel: akacje kwitną. montaże. und Nachwort von Karolina Szymaniak” (2006, mit Ill. von Henryk Streng), „Debora Vogel: Akacje kwitną“ (2009, ins Japanische übertragen von A. Kato)
L.: Auerbach 1965, Degler 1994, Ficowski 2008, Kato 2006, Misiak 2007, Misiak 2008, Misiak 2011, Schulz 2002, Shmeruk 1993, Sienkiewicz 1985, Sienkiewicz 1992, Szymaniak 2006

Anna Maja Misiak