Firnberg Hertha; Wirtschafts- und Sozialwissenschafterin, Politikerin und Bundesministerin
Geb. Wien-Währing, 18.9.1909
Gest. Wien, 14.2.1994

Herkunft, Verwandtschaften: Mutter: Anna Firnberg, war vor ihrer Heirat als Beamtin tätig, danach im Haushalt; Vater: Dr. Josef Firnberg, beide engagierte Sozialdemokraten; 2 Brüder, beide an Kriegsfolgen gestorben; Schwester: Trude. Ab 1916 lebte die Familie in Korneuburg, danach übersiedelte sie nach Niederrußbach im niederösterreichischen Weinviertel, wo der Vater als Gemeindearzt tätig war.
LebenspartnerInnen, Kinder: H. F. war vor dem Zweiten Weltkrieg zweimal verheiratet, beide Ehen wurden geschieden. Sie lebte mit ihrer jüngeren Schwester Trude zusammen, die im gemeinsamen Häuschen in Wien-Favoriten eine Leihbibliothek führte.
Ausbildungen: Gymnasium der Bundeserziehungsanstalt Wien, Kalvarienberggasse; zwei Semester Jus an der Universität Wien, danach Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Wien und Freiburg, 1936 Dr.phil. in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften; der Grund für den Abbruch des Jus-Studiums war laut H. F. eine öffentliche Absichtserklärung eines Universitätsprofessors, keine Frauen bei der Prüfung durchkommen zu lassen (Die Zeit, 5.3.1982).
Laufbahn: 1926 Beitritt zu den Sozialistischen Mittelschülern, 1928 Eintritt in die SDAP, unter dem NS-Regime nicht illegal tätig, während des Zweiten Weltkrieges Buchhalterin im Modeverlag Wiener Weltmode; September 1945 bis Mai 1946 Bilanzbuchhalterin bei der Städtischen Bestattung der Gemeinde Wien, freie Wirtschaftsjournalistin, Verlagsarbeit (Prokura), 1946-1948 Assistentin und Bibliothekarin am Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, Besuch von Statistik-Vorlesungen, in dieser Zeit Mitglied im Bund Sozialistischer Akademiker (BSA), 1948-1969 „Leitender Sekretär“ der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich, Leiterin der Studienbibliothek, 1948 Abteilung für Statistik in der AK NÖ, Aufbau einer sozialwissenschaftlichen Bibliothek, in der Folge vom Österreichischen Arbeiterkammertag als ordentliches Mitglied in die statistische Zentralkommission delegiert, Mitglied verschiedener Fachbeiräte, Expertin für sozialpolitische Angelegenheiten; Universitätsassistentin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte; 1959-1970 Mitglied der österreichischen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates, verschiedene Funktionen (Fritjof-Nansen-Ring), Vizepräsidentin der Kommission für Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, seit 1959 Mitglied des Asylbeirates im Bundesministerium für Inneres, Mitglied des Bezirksparteivorstandes der SPÖ Wien-Favoriten, 1966 (1967)-1981 Vorsitzende des Bundes-Frauenkomitees der SPÖ als Nachfolgerin von Rosa Jochmann, dadurch innerparteiliche Stärkung, sie wurde dies „parteiintern überraschend“ (profil, 9.4.1975); 1967-81 Stellvertreterin des Bundesparteivorsitzenden und Mitglied des Bundesparteipräsidiums, Bundesvorstandsmitglied des BSA, Vorsitzende der Frauenarbeitsgemeinschaft im BSA; Mitglied des Bundesrates SPÖ 26.6.1959-16.10.1963, Abgeordnete zum Nationalrat für den Wahlkreis 5 (Wien-Südost) (X.-XII. GP) SPÖ 16.10.1963-24.6.1970, Abgeordnete zum Nationalrat (XII.-XV.GP) SPÖ 19.10.1970-18.5.1983, Sprecherin der sozialistischen Fraktion in Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsangelegenheiten, Sprecherin für Fragen der Rechtsreform und Mitglied des Justiz-, des Finanz- und Unterrichtsausschusses (letzterer war bis 1971 auch für Wissenschaft und Forschung zuständig); der Ausgang der Nationalratswahlen vom 1.3.1970 deutete zunächst auf eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP hin. Nachdem die Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen 1970 an der Ressortverteilung scheiterten, wurde im SPÖ-Vorstand die Bildung einer Minderheitsregierung beschlossen. Nachdem Bruno Kreisky H. F. 1968/69 im Rahmen seiner Aktion 1400 Fachleute mit der Ausarbeitung eines Humanprogrammes betraut hatte, lag es nahe, dass H. F. nach dem Wahlerfolg vom März 1970 ein Umwelt- und Gesundheitsressort übernehmen würde. Aber Kreisky überlegte es sich im letzten Moment anders und wollte jemanden, vor dem „die Professoren Respekt hätten“ und bestellte H. F. zur Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung (26.7.1970-24.5.1983), erste sozialistische Ministerin Österreichs, zunächst ohne Portefeuille, da ihr Ressort erst durch eine Umstrukturierung der Kompetenzen − vornehmlich im Unterrichtsministerium − festgelegt werden musste. Die ÖVP stimmte gegen die Errichtung eines Wissenschaftsministeriums, was wenig Verhandlungsbereitschaft H. F.s mit der ÖVP später zur Folge hatte. Als H. F. das Ministeramt antrat, war sie 61 Jahre alt, sie gehörte zu den ganz wenigen, für die eine Ausnahme von der Altersklausel der SPÖ gemacht wurde. In ihrer Funktion als Ministerin setzte sie sich für die konsequente Förderung von Frauen ein. Der Kern der Firnbergschen Strukturreform war das Universitätsorganisations-Gesetz (UOG 1975). Es sollte vor allem demokratische Entscheidungsabläufe an den Universitäten sichern. Mit dem Rücktritt Kreiskys als Bundeskanzler nach den Nationalratswahlen 1983 endete auch die Amtsperiode H. F.s. Sie zog sich ins Privatleben zurück, behielt aber verschiedene Funktionen wie z. B. jene als Kuratoriumsmitglied des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, bis ca. 1991 war sie auch Vorsitzende der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft. Präsidentin des Arbeiter-Samariterbundes.
Ausz.: Zahlreiche nationale und internationale Ehrungen, Ehrendoktorate u. a. Mehrer Preise und Förderungen wurden nach ihr benannt, seit 2001 erinnert auch die Hertha-Firnberg-Straße in Wien-Favoriten an die Politikerin. Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 1969 Großkreuz des Belgischen Kronenordens, 1971 Trägerin des Goldenen Nasenringes, 1972 Großes Goldenes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich, 1974 Verdienstorden II. Klasse der Volksrepublik Polen, 1974, Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um das Land Wien, 1975 Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, 1976 Großkreuz des Verdienstordens des Großherzogtums Luxemburg, 1976 Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik, 1976 Bulgarischer Orden Kyrill und Method I. Klasse, 1976 Ägyptischer Orden der Republik I. Klasse, 1978 Großoffizierskreuz des Nationalordens des Löwen der Republik Senegal, 1978 Großkreuz des Melitensischen Verdienstordens, 1979 Trägerin der Großen Viktor-Adler-Plakette. Seit 14.12.1979 Ehrenbürgerin der Stadt Wien (als 1. Frau).

Qu.: Archiv der AK NÖ, Parlamentsarchiv, Archiv der SPÖ, Bibliothek des BM für Wissenschaft und Forschung, Tagblattarchiv (Personenmappe).

W. u. a.: „Lohnarbeit und freie Lohnarbeit im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit. Ein Beitrag zur Geschichte der agrarischen Lohnarbeit in Deutschland. Diss., Univ. Wien“ (1935), „Wesen und Wandel der Sozialschichtung Österreichs. In: Weber, Wilhelm (Hg.): Österreichs Wirtschaftsstruktur. Gestern − Heute − Morgen, Band 2.“ (1961), „Wesen und Wandlung der Sozialschichtung Österreichs. In: Österreich in Geschichte und Literatur, Band 9“ (1965), „Gem. mit Rutschka, Ludwig: Die Frau in Österreich“ (1967), „Die soziologischen Strukturveränderungen in Wien. Österreichische Gesellschaft für die Fürsorge und Erziehung des Kleinkindes (Hg.): Kleine Reihe für den Erzieher“ (1968), „Die gesellschaftspolitische Bedeutung der Wissenschaftspolitik. In: Mitteilungen des Instituts für Gesellschaftspolitik in Wien“ (1971), „Wissenschaftspolitik als zentrales gesellschaftliches Anliegen. Das 1970 errichtete Ministerium stellt die Weichen für die Zukunft unseres Landeszentralsekretariat der SPÖ“ (1975), „Zur Problematik von Politik und Wissenschaft. In: Neider, Michael (Hg.): Festschrift für Christian Broda“ (1976), „(Hg.): Studieren in Österreich. Ein Leitfaden für den Universitäts- und Hochschulbesuch“ (1981), „Die Frau in der sozialistischen Arbeiterbewegung Österreichs 1900-1938. In: Bornemann, Ernest (Hg.): Arbeiterbewegung und Feminismus. Berichte aus vierzehn Ländern“ (1982), „Österreichische Forschungspolitik in den 80er Jahren. In: Forschung – Perspektiven für die 80er Jahre. Hrsg. vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung“ (1982), „Die Rolle des Akademikers in der heutigen Gesellschaft. Akademiker und Intellektuelle in der Geschichte. In: Götschl. Johann (Hg.): Der sozialdemokratische Intellektuelle. Analysen – Bewertungen – Perspektiven“ (1983), „Gem. mit Bock, Fritz/Gredler, Willfried: Österreich zuliebe“ (1985)

L.: Bernold/Blimlinger/Ellmaier 1997, BLÖF, BMWF 1987, Bundesfrauenkomitee der SPÖ 1974, Frühauf 1975, Kratzer 2001, Politikerinnen in Wien 2000, Schachinger 2009, Steininger 1995a, Steininger 2002, http://www.renner-institut.at/, http://www.frauen.spoe.at/, http://www.dasrotewien.at/, www.aeiou.at