Falk, Gertrud Edith
* 8.6.1911, Wien, † 25.12.2013, London, G.B.
Psychologin
Besuch des Realgymnasium für Mädchen, Albertgasse in Wien; ab 1929 Studium der Psychologie an der Universität Wien; Promotion 1934 bei Charlotte Bühler; anschließend Mitarbeiterin Prof. Bühlers, auch Assistentin Paul Lazarsfelds; vor 1938 erfolgreich als wissenschaftliche Psychologin in Wien; 1938 Flucht nach GB, dort zuerst als Nanny tätig, dann Kinderpsychologin; Schulpsychologin in Chelmsford; 1975 Heirat und Aufgabe des Berufs.
G. F. war die Tochter von Berthold Falk (2.12.1870-1942), Geschäftsmann im Textilvertrieb, der gerne Schach im Wiener Café Zentral spielte. Ihre Mutter Olga „Ollie“, geb. Horner, (15.3.1879-1942), war eine kultivierte Frau, die sowohl Englisch als auch Deutsch sprach und als Sängerin des Wiener Staatsopernchors unter Bruno Walter „Das Lied von der Erde“ aufführte. Beide Eltern waren tschechische Juden und wurden Opfer des Holocaust. G. F. hatte viele Tanten und Onkel, deren Schicksale allerdings unbekannt sind. Jedoch blieb sie in Kontakt mit einer Verwandten, deren Eltern in Wien als U-Boote den Holocaust überlebten. 2012 stellte überraschenderweise eine Nichte aus Wien den Kontakt mit G. F. her: es stellte sich heraus, dass Berthold Falk 1918 eine Beziehung zu einem Hausmädchen gehabt hatte. Der Sohn (1919-2010), der die Nazizeit überlebt hatte, heiratete und hatte zwei Töchter. Eine von ihnen (*1960) besuchte G. F. schließlich in England, nachdem sie G. F. über das Internet ausfindig gemacht hatte.
G. F. heiratete Geoffrey Holmes (1918-2008), metallurgischer Chemiker und hat einen Stiefsohn: Peter Holmes.
G. F. besuchte das Realgymnasium für Mädchen in der Albertgasse in Wien. Ab 1929 studierte sie an der Universität Wien Psychologie und schloss das Studium 1934 mit der Dissertation „Die soziale Geschwistersituation“ bei Charlotte Bühler ab. G. F. spricht Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und ist firm in Latein. In Großbritannien ließ sie sich später zur Sprachlehrerin ausbilden.
Vor 1938 hatte Dr. G. F. eine erfolgreiche Karriere als wissenschaftliche Psychologin in Wien. Nachdem sie gezwungen war vor den Nazis zu fliehen, praktizierte sie als Kinderpsychologin in Großbritannien. Beschenkt mit einem bis vor kurzem noch außergewöhnlichen Erinnerungsvermögen, konnte sich G. F. noch erinnern, einst für Kaiser Franz Josef 1916 gebetet zu haben, obwohl sie später eine entschiedene Sozialistin werden sollte. Einer ihrer engsten Freunde war Wolf Speiser, Sohn des Vizebürgermeisters Paul Speiser des Roten Wien zur Zeit des Bürgermeisters Carl Seitz.
Nach ihrer Promotion wurde G. F. Mitarbeiterin Prof. Bühlers für die Studie „Das Kind und seine Familie“. Sie war auch Assistentin Paul Lazarsfelds, der später ein weltbekannter US-Psychologe sein sollte. Mit ihm arbeitete sie an einer Marktforschungsstudie für die Firma von Julius Meinl, warum die WienerInnen keinen Tee trinken würden.
G. F. war auch bekannt mit Prof. Marie Jahoda, zu jener Zeit Ehefrau Lazarsfelds, die später an der Universität Sussex lehrte.
Als sich jedoch die Wolken über Wien verdunkelten, musste G. F. Wien verlassen. Sie reiste bereits viel in den 1920er und 30er Jahren und so war ihre Reise nach Großbritannien im Jahre 1938 nicht die erste. Tragischerweise konnten ihre Eltern ihr nicht folgen, jedoch sandten sie bis zum Herbst 1941 regelmäßig Briefe an ihre Tochter von Nazi-Wien. Diese Briefe sind Dokumente eines Lebens, das trotz aller Bemühungen den Anschein von Normalität zu wahren, zusehends auseinanderfiel. Schließlich überschlugen sich die Ereignisse und G. F.s Eltern wurden aus ihrer Wohnung in ein Wiener Übergangslager gebracht und anschließend ins Ghetto in Lodz deportiert. Dort starben sie 1942. G. F. erfuhr von ihrem Schicksal 1947 und ließ ihre Sterbedaten in Wien registrieren. Dieses Dokument erlaubte schließlich ihrer Nichte sie zu finden.
Nach G. F.s Flucht nach England mit Hilfe eines Visums für Hausangestellte, arbeitete sie einige Zeit unglücklich als Nanny. Einmal sandte sie ein Telegramm an ihre Mutter und fragte sie nach einem Rezept für Wiener Kaffee.
Später wurde sie Lehrerin und unterrichtete Sprachen an der Perse School in Cambridge, wo eine ihrer SchülerInnen Rita Pankhurst (geb. Eldon) war. Zu jener Zeit war diese gerade aus Rumänien geflüchtet, heiratete später Richard Pankhurst, welcher der Sohn der großen britischen Feministin und antiimperialistischen Aktivistin Sylvia war.
G. F. wurde schließlich Kinderpsychologin. Viele Jahre lang war sie Schulpsychologin in Chelmsford, ein Beruf, den sie 1975 aufgab, als sie Geoffrey Holmes heiratete. Sie heirateten nach dem Tod seiner ersten Frau „Rosl“, Chaje Ruchel Windler, (1914-1974), die eine Freundin G. F.s war und ebenfalls aus Wien geflohen war.
Nach ihrer Pensionierung verbrachten G. F. und Geoffrey viele glückliche Jahre. Sie bereisten die Welt, trafen ihre vielen Freunde und genossen ihre gemeinsame Liebe zu Kunst und Kultur.
G. F. behielt sich einen wachen und kritischen Geist bis ihre Sehkraft und ihre Erinnerung langsam in den späten 90ern nachließ. Viele Jahre lang vermied G. F. es über ihre Erfahrungen in Wien zu berichten und sprach niemals über das Schicksal ihrer Eltern. 2008-2010 war sie bereit über einige Aspekte ihres früheren Lebens zu sprechen, über jene Zeit verfügte sie über ein bemerkenswertes Maß an Erinnerungen. Diese Erinnerungen wurden nach besten Möglichkeiten von ihrem Stiefsohn Peter Holmes und dessen Frau Ann aufgezeichnet.
Zu ihrem 100. Geburtstag erhielt G. F. Glückwünsche aus der ganzen Welt, eingeschlossen von der Familie Pankhurst aus Äthiopien.
Bis zu ihrem Tod mit 101 Jahren lebte sie in ihrer eigenen Wohnung mit einer Pflegerin.
Werke
Die soziale Geschwistersituation. Phil. Diss., 1934.
Mitarbeit: Bühler, Ch.: Kind und Familie: Untersuchungen der Wechselbeziehungen des Kindes mit seiner Familie. Fischer, 1937, 1940, 1999.
Mitarbeit an der Marktforschungsstudie: Lazarsfeld, P.: Der Tee und die Wiener. 1932.
Literatur / Quellen
www.acrwebsite.org/search/view-conference-proceedings.aspx?Id=7627
www.bps.org.uk/news/societys-oldest-member-celebrates-her-100th-birthday