Essipoff Annette von, auch Anna Nikolajewna, verh. Leschetitzky, Essipow-Leschetitzky; Pianistin, Komponistin, Klavierlehrerin
Geb. St. Petersburg, Russland, 31.1.1851
Gest. St. Petersburg, Russland, 18.8.1914

Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Hofrat.
LebenspartnerInnen, Kinder: Seit 1880 verheiratet mit Theodor Leschetitzky. Eine Tochter: Therese Leschetitzky (*1873).
Ausbildungen: Sie erhielt ihre erste musikalische Ausbildung vom Vater und wurde anschließend in einem französischen Internat von einem Herrn Wiespolsky in Klavier unterrichtet. Am 1. September 1865, mit 14 Jahren, bestand A. v. E. die Aufnahmeprüfung am Konservatorium in St. Petersburg und studierte zunächst in einer Vorbereitungsklasse bei Alexander Villuan und Karl von Ark, bevor Theodor Leschetitzky sie am 1. Januar 1866 als Schülerin übernahm.
Laufbahn: Zunächst in Russland als Klaviervirtuosin tätig, unternahm A. E. ab 1875 Konzertreisen durch Europa. A. v. E. trat u. a. regelmäßig in Berlin, London, Paris, Wien, Riga, Moskau und St. Petersburg sowie in weiteren europäischen Metropolen auf. Eine in der Presse vielbeachtete Tournee mit insgesamt 106 Konzerten führte sie von Oktober 1876 bis Juni 1877 durch die USA. Im Jahr 1878 ließ sie sich gemeinsam mit ihrem späteren Mann, Theodor Leschitzky, in Wien nieder. Parallel zu ihrer Laufbahn als Pianistin war A. v. E. auch eine gefragte Klavierpädagogin. Nachdem ihr Mann 1878 die Klavierschule „Leschetitzsky School of Pianists“ in Wien gegründet hatte, leitete A. v. E. dort die Vorklasse. In dieser unterrichtete sie z. B. Ignaz Jan Paderewski und Artur Schnabel, der dort 1890 mit neun Jahren aufgenommen worden war. In seinen Lebenserinnerungen schrieb er rückblickend: „Im ersten Jahr wurde ich eigentlich von seiner [Theodor Leschetizkys] Frau, Madame Essipoff, einer damals berühmten Klaviervirtuosin betreut, und er hörte mich nur gelegentlich. Madame Essipoff war sehr freundlich zu mir. Ich mußte Etüden und Übungsstücke, hauptsächlich Czerny, spielen, wie ich mich erinnere. Sie pflegte eine Münze auf meine Hand zu legen, eine Silbermünze, fast so groß wie ein Silberdollar, einen Gulden, und wenn ich eine Czerny-Etüde spielte, ohne die Münze fallen zu lassen, durfte ich sie behalten. Ich finde, das war reizend von ihr.“ (Schnabel 1991, S. 22)
A. v. E. lebte jedoch bis zu ihrer Scheidung 1892 vorwiegend als reisende Musikerin und kehrte dann nach St. Petersburg zurück. Sie galt als eine der herausragendsten KlaviervirtuosInnen ihrer Zeit. Leidenschaftlichkeit und poetische Auffassung wurden als Vorzüge ihres Spiels gerühmt. Eduard Hanslick schrieb über ihr Spiel „Mit einer für eine zarte Frau ganz ungewöhnlichen Kraft […], packte Frau Essipoff das Rubinsteinsche D-moll-Concert mit einem Sturm von Octavengängen, ließ es im Andante in den zartesten Silberfäden schimmern und führte es im Finale triumphirend auf die Höhe. […] Frau Essipoffs Vortrag des B-dur-Trios von Schubert bestätigte unsere Vermuthung, daß das eigentlich virtuose Können und die Freude daran in dieser Künstlerin überwiegen; der erste Satz und das Andante verriethen bei großer Sauberkeit der Ausführung doch nur geringe innere Betheiligung an der Composition, während die beiden glänzenderen und schwierigeren Sätze, Scherzo und Finale, alle Lebensgeister der Pianistin weckten.“ (Hanslick 1886, 94)
Von 1893 bis 1908 war sie Professorin am Sankt Petersburger Konservatorium. Zu ihren SchülerInnen gehörten Thomas de Hartmann, Leonid Kreutzer, Anastasia Virsaladze und Sergei Prokofjew. Sie pflegte ihre SchülerInnen auch dadurch zu unterstützen indem sie mit ihnen gemeinsam Konzerte gab und ihnen somit den Einstieg ins Berufsleben erleichterte.
A. v. E. galt als herausragende Interpretin von Kompositionen des 19. Jahrhunderts, besonders jenen der französischen Schule. Darüber hinaus trat sie mit nahezu dem gesamten klassisch-romantischen Repertoire auf, u. a. mit Werken von Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Robert Schumann, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt und Camille Saint-Saëns. Ihr Spiel der Kompositionen Frédéric Chopins wurde legendär. Stets waren ihre Darbietungen von Begeisterungsstürmen der Kritiker begleitet. Sie war sowohl beim internationalen Publikum, wie auch bei Komponisten und MusikerkollegInnen beliebt und bewundert.
Über die Kompositionen von A. v. E. ist im deutschsprachigen Raum kaum etwas bekannt. Das Autograph des Liedes „Die erwachte Rose“ befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.
Das Lied erschien vor 1904 bei Jurgenson in Moskau im Druck. Peter Seidle erwähnt in seinem Artikel über A. v. E., dass es weitere Kompositionen und Schriften gäbe, darunter Etüden, kleinere Stücke für Klavier sowie eine unvollendete Klavierschule.
Ausz.: Goldene Medaille des St. Petersburger Konservatoriums zum Ende ihres Studiums. Ende 1881 die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft des dänischen Königshauses und im April 1882 die goldene Verdienstmedaille erster Klasse des rumänischen Königshauses. Nach ihrer Teilnahme an einem Berliner Hofkonzert im April 1885 wurde Annette Essipoff der Titel einer königlich-preußischen Hofpianistin verliehen. Darüber hinaus wurden Annette Essipoff zahlreiche Kompositionen gewidmet, darunter das Klavierkonzert c-Moll „Caprice russe“ (op. 102) von Anton Rubinstein (1878).

L.: http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/annette-essipoff, Hanslick 1886, Rudolph 1890, Eisenberg 1893, Uglow/Hinton 1982, Flotzinger 2006, Ehrlich 1893, Mandyczewski 1912, La Mara 1875, Paderewski/Lawton 1980, Pazdirek 1904-1910, Prokofjew 1981, Schnabel 1991, Seidle 2001, Eisenberg 1891