Daniel Judith; Handelsfrau und Philanthropin
Geb. Frankfurt/Main (Deutschland), 1746
Gest. Hohenems, Vbg., 17.4.1810

J. D. erscheint regelmäßig unter ihrem Mädchennamen; als Witwe benannte sie sich nach ihrem verstorbenen Ehemann Lazar Jos. Levischen seel. Wittib. Auch auf ihrem Grabstein wird sie Gitel Levi genannt. Sie selbst schrieb ihren Vornamen vorzugsweise als Gitel (so auch auf ihrem Grabstein). Ihre Söhne nahmen 1813 – wie behördlich vorgeschrieben – den neuen Namen Löwenberg an, während ihre Töchter nach den neuen Namen ihrer Ehemänner hießen (Neuburger, Schweizer alias Guggenheim, Hirschfeld). J. D. war israelitischen Bekenntnisses. Sie konnte lesen und schreiben, sie war des Deutschen, Jiddischen und vermutlich auch des Hebräischen kundig. J. D. war selbständige Handelsfrau, zugleich Ehefrau eines erfolgreichen und in der jüdischen Gemeinde besonders engagierten Kaufmannes. In besonderem Maße zeigte sie sich als Philanthropin.
J. D. wurde 1746 in Frankfurt/Main geboren, sie ist am 17.4.1810 in Hohenems gestorben. Ihre Lebensmittelpunkte waren in ihrer Jugend vermutlich Frankfurt/Main, später Gailingen am Hochrhein (Lkr. Konstanz, Baden-Württemberg) und Hohenems (Vbg.). J. D. fand ihren Lebenspartner in Lazar Josef Levi (später Löwenberg), geboren am 17.11.1743 in Hohenems als Sohn des Josef Wolf Levi und der Maria (Koschel) Moos, gestorben am 4.10.1806. Er bewohnte mit seinem älteren Bruder Hirsch (1735-1792) das Haus Nr. 34 in der Judengasse, das dem Brand von 1777 zum Opfer fiel. Um 1806 bewohnte er das Haus Judengasse Nr. 2, sein Sohn Joseph das Haus Nr. 1; beide Häuser waren auf 4.000 bzw. 3.500 Gulden veranschlagt. 1802 wird in einer Statistik seine ehemals wichtige Handlung noch geführt mit der Bemerkung, er habe „sich zur Ruhe begeben und lebet nun von den Interessen seines Vermögens“. Lazar Josef Levi war eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Er war einer der sehr bedeutenden Kaufleute in Hohenems und gründete die erste Bank in Vorarlberg. Er war einer der wichtigsten Arbeitgeber für die christliche Gemeinde, indem er immer wieder wertlose Grundstücke ankaufen und meliorieren ließ. 21 Jahre lang war Lazar von 1785 bis 1806 ehrenamtlicher Vorsteher der jüdischen Gemeinde, vielseitig tätig, „groß, edel, tolerant, wohltätig – also echt jüdisch in allem, was er unternahm“ (Tänzer). Er war streng religiös, ein tüchtiger Talmudkenner, Besitzer einer bedeutenden Bibliothek, die später an seinen Urenkel Josef Löwenberg überging. Lazar Josef Levi war, gemeinsam mit dem Rabbiner Löb Ullmann (1716-1799) der Gründer der meisten israelitischen Vereine in Hohenems (Chewra Kadischa, Chewra Dowor tow, Frauenverein, Chewra Talmud Thora, Chewra Ketanoh) und machte sich um die Erweiterung des jüdischen Friedhofs verdient. Er war österreichischer Patriot und trat während der Koalitionskriege als Heereslieferant hervor. Kaiser Franz II. verlieh ihm am 29.5.1795 ein Hoffaktorpatent, das ihn, seine Familienmitglieder und Dienstleute von Abgaben befreite und ihm das Tragen von Degen und Pistolen erlaubte (Tänzer, S. 326, 426 f.). Auch Lazars jüngerer Bruder Wolf Josef Levi (1746-1823) gründete ein erfolgreiches Handelshaus, erwarb 1800 das berühmte Schwefelbad in Hohenems, wo sein Sohn eine Spinnerei errichtete. Auch Wolf wurde 1797 mit einem Hoffaktorpatent ausgezeichnet. Er stand ebenso wie sein Bruder wegen seiner Wohltätigkeit und seiner bildungsfördernden Maßnahmen in hohem Ansehen. Besonders erfolgreich war der 1796 zum k. k. Hoffaktor ernannte Michael Levi Neumann, ein weiterer Bruder von Lazar und Wolf; er konnte 1823 die ehemalige Adelsherrschaft Randegg (seit 1974 ein Ortsteil von Gottmadingen, Lkr. Konstanz, Baden-Württemberg) an sich bringen. Die kaiserliche Ehrung mit dem Hoffaktorpatent dürfte für das Ehepaar Lazar und J. D. auch der Anlass gewesen, ihre Porträts malen zu lassen.
J. D. hat um 1765 Lazar Josef Levi geheiratet. Sie schenkte ihm neun Kinder: Beß, Babette (Elisabeth), geb. um 1766, gest. 1829, in 1.Ehe verheiratet mit Josua Neuburger, in 2. Ehe mit Benedikt Schweizer (seit 1813 Guggenheim) (1775-1847); Sophie, geb. 1768, gest. 1788; Joseph (Löwenberg), geb. 1774, gest. 1839, verheiratet mit Emilie Goldtschmidt (1780-1848) aus Frankfurt/Main; Simon (Löwenberg), geb. 1775, gest. 1845, verheiratet mit Sarah Dreyfuß (1782-1824); Jeanette, geb. 1778, gest. in Pforzheim, verheiratet mit H. Ullmann in Pforzheim; Daniel (Löwenberg), geb. 1778, gest. 1870, verheiratet mit Sarah Löwengard (1782-1820); Rosa, geb. 1782, gest. 1841, verheiratet mit Joseph Hirschfeld (1779-1851); Elias, geb. 1783, gest. 1785; Moses (Moritz Löwenberg), geb. 1784, gest. 1836, verheiratet mit Clara Ullmann (1786-1854).
Von den fünf Söhnen war Elias im Kindesalter verstorben; auch die Tochter Sophie war vor der Mutter gestorben. Sowohl die vier überlebenden Söhne als auch die drei überlebenden Töchter haben eine größere Zahl von Enkeln hinterlassen, von denen die meisten aber erst nach dem Tod der J. D. zur Welt kamen. Genannt werden von J. D. die Enkel, die sie selbst kannte, desgleichen aber auch ohne Namensnennung jene Enkel, auf die sie Hoffnungen setzte, dass sie Hebräisch studieren würden.
Freundschaftlich verbunden war J. D. mit dem gelehrten Rabbiner Samuel Ullmann (1740-1824) aus Ichenhausen (Lkr. Günzburg, Schwaben, Bayern), den sie ihren Schwager nennt. Dieser hatte den Unterricht seines Vaters Juda Löb Ullmann (1716-1796), die Rabbinerschule in Fürth (Mittelfranken, Bayern) besucht, seinem Vater, der seit 1760 Rabbiner in Hohenems war, ausgeholfen und war 1797 dessen Nachfolger geworden. Eine monumentale Grabschrift auf dem jüdischen Friedhof würdigte seine Verdienste. J. D. vermachte ihm 50 Gulden. Ebenfalls 50 Gulden vermachte sie dem Rabbiner Salomon Ehrlich aus Kalladey (Koloděje nad Lužnicí, Tschechien), der ein Lieblingsschüler von Rabbi Samuel Ullmann war und von diesem ohne Erfolg als Nachfolger vorgeschlagen worden. Rabbi Ehrlich wirkte in Hohenems auch als Hebräischlehrer. Somit erklärt sich auch J. D.s persönliches Anliegen der Stiftung des Erlöses für ihre Brilliant-Ohrringe, aus dessen Zinsen einer ihrer Enkel Hebräisch studieren sollte; findet sich keiner, so fließt das Geld in die Stiftung für „Kinder zum hebräischen Unterricht“. Der Wert der Ohrringe lag bei 250 Gulden.
Das Testament liegt in zwei Fassungen vom 31.3.1809 und vom 7./19.2.1810 vor. Die erste Fassung hatte J. D. gemäß Art. 969 f. des damals höchst aktuellen Code Napoleon [„écrit en entier, daté et signé de la main du testateur“] in hebräischer Sprache „ganz eigenhändig geschrieben“, möglicherweise aber nur in Jiddisch in hebräischer Schrift; das Original ist verschollen, es liegt heute nur mehr eine Translation vor. Die zweite Fassung schien wohl deshalb geboten, weil der Code Napoleon in Bayern kein geltendes Recht war und J. D. daher verlangte, dass der Rabbiner Ullmann und der Lehrer Lazar Levi ihr am Krankenbett ein in jeder Hinsicht vollgültiges Testament erstellen sollten. J. D. mahnte ihre Kinder, nicht „neumodisch“ zu sein; sie war bemüht, eine größtmögliche Gerechtigkeit zu erreichen und forderte ihre Kinder auf „seyd gut und einig miteinander“. Benachteiligte die erste Fassung des Testaments noch die Töchter, die nur einen halben Sohnesanteil bekommen sollten, so stellte die zweite Fassung die Töchter Beß und Rosa mit den Söhnen gleich, weil diese „in ihrer Krankheit sie so gut verpflegt und in all Erfordernissen ihr sorgfältig gewartet haben“. Zugleich hatte J. D. auch soziale Anliegen, indem sie ihre Kinder verpflichtete, 2.000 Gulden aus der Erbschaft auszusondern, um sie ihren „Freunden“ (Verwandten) zukommen zu lassen. Sie stellte den Kindern anheim, auf der Grabstätte 40 Gulden an die Armen der Gemeinde zu geben. „Dan ihr werdet wissen, daß meine Seele sich freuet, wenn ihr Gutes thut, nach euer Vermögen“. Auch an die christlichen Armen sollte ein Quantum Getreide ausgeteilt werden. Besonderen Wert legte J. D. darauf, dass auch alle Enkel ein Andenken an ihre Großmutter erhalten sollten. Daniel Joseph Hirsch Levi (Hirschfeld), Sohn der Tochter Rosa, geb. ca. 1801, sollte ein Salzbüchslein und ein Beschneidungsbüchslein sowie ein silbernes Messer und eine Gabel erhalten; Joseph Simon Lazar (Löwenberg), geb. 1803, ein Paar rote Ohrgehänge; Wolf Beer (Wilhelm) Joseph Lazar (Löwenberg), geb. 1804, ein silbernes Messer und eine Gabel. In diesem Sinne setzte sie auch ihren Geschwistern und deren Kindern Legate aus, einen doppelten Dukaten ihrem Schwestersohn Abraham Isaac in Baisingen (Stadtteil von Rottenburg am Neckar, Lkr. Tübingen, Baden-Württemberg), je einen Dukaten ihrer Schwester Simcha Isaac und ihrer Schwester Vögel verh. Mayer in Prenzlau (Lkr. Uckermark, Brandenburg).
J. D. fand ihre letzte Ruhestätte im oberen (ältesten) Teil des jüdischen Friedhofs in Hohenems in der Grabstätte Nr. 31. Sie ordnete an, dass das Jahrlicht für sie nicht zwölf Monate, sondern nur einen Monat brennen sollte; die dabei ersparten 40 Gulden sollten an die Armen der Gemeinde ausgeteilt werden. Den Kindern legte sie noch ans Herz: „Versäumet das Seelengebet nicht“.
Obwohl die 1617 gegründete jüdische Gemeinde Hohenems schon immer rege Kontakte zu Gemeinden außerhalb des Landes hatte, wirkte sich die enge Verbindung über J. D. zu Frankfurt positiv aus. 1809 gewährte Frankfurt den Hohenemser Juden ein Darlehen von 4.000 Gulden. Nicht nur J. D. stammte aus Frankfurt, auch ihr ältester Sohn Joseph heiratete mit Emilie Goldschmidt eine Frankfurterin. J. D. erscheint um 1800 als die Grande Dame der Hohenemser Gesellschaft, die im 19. Jahrhundert einen wesentlichen Beitrag zur gegenseitigen Annäherung der christlichen und der jüdischen Gemeinde erbracht hat. Das Rabbinat Hohenems umfasste in dieser Zeit sämtliche Juden in Vorarlberg und Tirol einschließlich Südtirol, namentlich die im späten 19. Jahrhundert zahlenmäßig herausragenden Gemeinden in Bozen und Meran. J. D. und die Hoffaktoren Lazar Joseph Levi mit seinen Brüdern und deren Nachkommen haben Hohenems Glanzlichter aufgesetzt, wie sie heute noch im Jüdischen Museum Hohenems oder auch in Aron Tänzers meisterhaften Monographie „Die Geschichte der Juden in Hohenems“ (Meran 1905) greifbar sind. J. D. hat bis in die Gegenwart als Vorbild gewirkt. Als eine ihrer Nachfahrinnen hat zuletzt die Philanthropin Clary Hirschel (Hirschfeld) von sich reden gemacht (Tiroler Tageszeitung vom 12. April 1963), die im hohen Alter aus den Vereinigten Staaten nach Österreich zurückgekehrt ist, um auf demselben Friedhof ihre letzte Ruhestätte zu finden, auf der auch J. D. 1810 bestattet wurde.

Qu.: VLA Bregenz, Hs. Landger. Dornbirn 9; Hs. Landger. Dornbirn 228, Stifts. 2054/27 (1836); Misc. 195/7.
L.: Burmeister 1975, Burmeister/Niederstätter 1988, Grabherr 1996, Grabherr 2003, Tänzer 1905, Volaučnik-Defrancesco 1993

Karl Heinz Burmeister