Coreth, Anna
Archivarin und Historikerin
Geboren am 25.12.1915 in Innsbruck, Vater Emmerich (Graf) Coreth, Präsident des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes, Mutter Magdalena, geb. Gräfin Spiegelfeld. 1936-1940 Studium der Geschichte in Wien, 1940 Promotion; 1940-1944 Assistentin am Institut für Geschichtsforschung, 1945 angestellt bei der Tiroler Landesregierung, 1946 Eintritt in das Österreichische Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, 1952 Staatsarchivar 1. Klasse, 1956 Ernennung zur stellvertretenden Direktorin des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, 1963 Ernennung zum Oberstaatsarchivar, 1976 Ernennung zur Direktorin des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, 1976 Ernennung zum Wirklichen Hofrat; ab 1978 in Pension.
A. C. begann nach Ablegung der Matura in Wien ein Studium der Geschichte, der historischen Hilfswissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie. Daneben absolvierte sie den 42. Lehrgang am Institut für Österreichische Geschichtsforschung, den sie 1941 mit der Staatsprüfung abschloss. Am 29.4.1940 promovierte sie mit einer Dissertation über die politischen Ideen Maximilians I. im Spiegel der Kunst zum Doktor der Philosophie. Ihre bei Otto Brunner geschriebene Institutsarbeit behandelte das Thema „Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit“. Von 1940-1944 vertrat A. C. Heinrich Fichtenau als Assistentin am Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Sie war somit die erste Frau in solch einer Position am Institut. Eine geplante Aufnahme in das damalige Reichsarchiv Wien zerschlug sich, trotz der Befürwortung durch Heinrich von Srbik, am Widerstand der NSDAP. Nach der Befreiung 1945 arbeitete A. C. drei Monate für die Tiroler Landesregierung in einer Abteilung für die Rückführung der Kriegsgefangenen und bewarb sich danach um eine Stelle im Österreichischen Staatsarchiv. Am 1. Februar 1946 trat sie schließlich in das Österreichische Staatsarchiv und hier in die Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv ein. Sie war damit die erste weibliche akademische Beamtin in der damals knapp 200-jährigen Geschichte des Archivs. A. C. betreute die Akten der Kabinettskanzlei, den Staatsrat, und die Kaiser Franz Akten. Nach Aussagen von Rudolf Neck hat sie dabei versucht die Kriegsschäden, die gerade in ihrem Bereich am katastrophalsten waren, soweit es möglich war, zu sanieren, Lücken zu schließen und nach Ersatzmöglichkeiten für zerstörtes Archivgut wenigstens dem Inhalt nach zu suchen (Neck 1985, S. 545). Nach dem Wechsel Otto Friedrich Winters in das Kriegsarchiv betreute sie auch einige Zeit den umfangreichen Bestand der Reichsarchive. A. C. wurde rasch befördert, 1952 erhielt sie bereits den Rang eines Staatsarchivars 1. Klasse. Im Februar 1955 absolvierte sie als erste Österreicherin den Stage technique international d’Archives in Paris. 1956 wurde A. C. zur stellvertretenden Direktorin des Haus-, Hof- und Staatsarchivs ernannt, 1963 erfolgte die Ernennung zur Oberstaatsarchivarin. Am 1. Februar 1976 wurde sie zur Direktorin des Haus-, Hof- und Staatsarchivs ernannt und war damit die erste weibliche Abteilungsleiterin in der Geschichte des Österreichischen Staatsarchivs. Im gleichen Jahr wurde A. C. auch zum Wirklichen Hofrat ernannt. Mit 31. Juli 1978 ging sie in den Ruhestand. Im Archiv zeichnete sich A. C. durch strenges Pflichtbewusstsein aus. Rudolf Neck attestierte ihr „echte Führungseigenschaften“ und hob in seiner Würdigung der Leistungen A. C.s für das Österreichische Staatsarchiv besonders auch ihre Haltung in den schwierigen Verhandlungen mit Jugoslawien hervor. Große Verdienste erwarb sie sich auch durch die Rettung des Archivs der Familie Auersperg, das im Haus-, Hof- und Staatsarchiv hinterlegt wurde.
Ihr wissenschaftliches Werk widmete sich vor allem den Fragen der Kultur- und Religionsgeschichte. Hier ist A. C. mit Pietas Austriaca, das 1959 erstmals erschien, wohl das gelungen, was man heute mit Fug und Recht als eine der wenigen klassischen Studien der österreichischen Geschichtswissenschaft nach dem 2. Weltkrieg bezeichnen kann. Pietas Austriaca nahm vieles vorweg, was in den Jahrzehnten danach modern wurde: Mentalitätsgeschichte, Geschichte der Konfessionalisierung. Die Grundlage für diese Studie legte sie bereits in ihrem 1950 erschienenen Buch über „Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit“, ein bis heute unentbehrliches Grundlagenwerk. Ihr übriges wissenschaftliches Werk hatte neben religionshistorischen Studien auch einige archivwissenschaftliche Themen zum Inhalt.
Für A. C. war der Glaube die bestimmende Richtschnur ihres Lebens. Seit 1949 war sie Mitglied der Legio Mariae, ein Umstand, der sich auch in ihren Publikationen im „Jahrbuch für mystische Theologie“ niederschlägt. Diese Schriftenreihe wurde von Friedrich Wessely, dem Gründer der Legio Mariae in Österreich, begründet. Für ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde A. C. am 11. April 1984 als erster Frau das Ehrendoktorat der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien verliehen.
Literatur / Quellen
Coreth, Anna. In: Fellner, F. /Corradini, D.: Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon. Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 99, Böhlau, Wien, 2006, S. 80.
Fleissner-Rösler, K.: Die Archivarinnen und das Institut für österreichische Geschichtsforschung. In: MIÖG 117/2009, S. 358-378.
Hochedlinger, M.: Österreichische Archivgeschichte. Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Papierzeitalters, Böhlau, Wien, 2013.
Neck, R.: Anna Coreth zum 25. Dezember 1985. In: MÖSA 38/1985, S. 544-546.
Stoy, M.: Das Österreichische Institut für Geschichtsforschung 1929-1945. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsband 50, Böhlau, Wien, 2007, S. 379-380.
Nachruf: Leopold Auer, Anna Coreth (1915- 2008), Online unter: http://www.oesta.gv.at/site/cob__30818/5164/default.aspx
Werke
Job Hartmann von Enenkel, ein Gelehrter der Spätrenaissance in Österreich. In: MIÖG 55/1944, S. 248 – 302.
Dynastisch-politische Ideen Kaiser Maximilians I. Zwei Studien. In: MÖSTA 3/1950, S. 81-105.
Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit. Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 37, Holzhausen, Wien, 1950.
Der „Orden von der Stola und den Kanndeln und dem Greifen“ (Aragonesischer Kannenorden). In: MÖSTA 5/1952, S. 34-62.
Friedrich Engel von Janosi zum 60. Geburtstag. In: MÖSTA 5/ 1952, S. 504-506.
Pietas Austriaca. Wesen und Bedeutung habsburgischer Frömmigkeit in der Barockzeit. In: MÖSTA 7/1954, S. 90-119.
Das französische Archivwesen. Bericht über den internationalen Archivkurs in Paris 1954-1955. In: MÖSTA 8/1955, S. 334-350.
Die Mystik der Klarissin Giovanna Maria della Croce (1603-1673). In: Jahrbuch für mystische Theologie 1/1955, S. 235-296.
Unbekannte Briefe P. Marco d’Avianos an P. Gabriel Pontifeser aus Klausen (1690-1697). In: MÖSTA 9/1956, S. 23-47.
Die Karg-Bebenburg’sche Siegelsammlung. In: MÖSTA 10/1957, S. 414-433.
Das Eindringen der Kapuziner-Mystik in Österreich. In: Jahrbuch für mystische Theologie 3/1957, S. 9-95.
Das Schicksal des k. k. Kabinettsarchivs seit 1945. In: MÖSTA 11/1958, S. 514-525.
Pietas Austriaca: Österreichische Frömmigkeit im Barock, Verlag für Geschichte und Politik, Wien, 1959 (Neuauflage 1982, engl. 2004).
Kaiserin Maria Eleonore, Witwe Ferdinands III., und die Karmelitinnen. In: MÖSTA 14/1961, S. 42-63.
Die geistige Gestalt des heiligen Petrus Canisius. In: Jahrbuch für mystische Theologie 7/1961, S. 113-156.
Melchior Klesl und das päpstliche Alumnat bei den Jesuiten in Wien (1574-1585). In: MÖSTA 25/1972, S. 341-358.
Richard Blaas zum 60. Geburtstag. In: MÖSTA 26/1973, S. 566-567.
Persönlichkeit und Aktennachlaß des Marc Deffonseca. In: MÖSTA 28/1975, S. 89-114.
Fra Hippolito da Pergine und Kaiser Leopold I. In: MÖSTA 31/1978, S. 73-97.
Voraussetzungen zur Aufnahme der „neuen“ Herz-Jesu-Verehrung in Österreich vor 1700. In: Amon, K. / Primetshofer, B. / Rehberger, K. / Winkler, G. / Zinnhobler, R. (Hg.): Ecclesia peregrinans. Josef Lenzenweger zum 70. Geburtstag, Wien, 1986, S. 223-237.
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Liebe ohne Maß. Geschichte der Herz-Jesu-Verehrung in Österreich im 18. Jahrhundert, Maria Roggendorf, Salterrae, 1994.