Bienenfeld, Bianca
Gynäkologin
1898 Matura, anschließend Studium naturwissenschaftlicher Fächer: Differential- und Integralrechnung, Experimentalphysik, Allgemeine Chemie, Anatomie, spezielle medizinische Pathologie, klinische Chirurgie, klinische Therapie, Klinische Gynäkologie und praktische Philosophie; 1904 Promotion als eine der ersten Frauen an der Wiener medizinischen Fakultät zum Doktor der Medizin; 1904 Hilfsärztin an der Klinik Schauta. Ernennung zur ersten weiblichen Sekundarärztin durch das k. k. Unterrichtsministerium; Ärztin am Sanatorium Löw; Privatpraxis, Vorstand einer gynäkologischen Station; 1912-1913 und 1915-1916 Vorträge im Wiener Volksbildungsverein und der Urania, Wien; Ordentliches Mitglied beim Fachärzteverband der Gesellschaft der Ärzte und der gynäkologischen Gesellschaft.
B. B. wurde als zweites Kind des Ehepaares Dr. Heinrich Leo Bienenfeld k. k. Hof- und Gerichts-Advocat, Verteidiger in Strafsachen und gerichtlich beeideter Dolmetsch für die polnische Sprache und seiner Gattin Gütel (korr. Gitla) Victoria am 10.11.1879 in Wien geboren.
Sie besuchte die gymnasiale Mädchenschule und maturierte am 9. Juli 1898 am Akademischen Gymnasium in Wien I als Externistin. Sie studierte ab dem Wintersemester 1898 an der Universität Wien naturwissenschaftliche Fächer wie Differential- und Integralrechnung, Experimentalphysik, Allgemeine Chemie, Anatomie, spezielle medizinische Pathologie, klinische Chirurgie, klinische Therapie, Klinische Gynäkologie und praktische Philosophie. Zu Ihren Lehrern zählten die Professoren Schauta, Krafft-Ebbing, Eisenberg, Neusser und Weichselbaum. Nach Abschluss ihrer Rigorosen (I. 26. Juni 1901, II. 10. März 1903, III. 4. März 1904) promovierte sie am 10. März 1904 an der Wiener medizinischen Fakultät zum Doktor der Medizin als eine der ersten Frauen, die ihr gesamtes Studium an der Wiener Universität absolviert haben. 1904 konnten Frauen nur als Hilfsärzte arbeiten. Diese wurden in Assistenten, Sekundarärzte und Aspiranten eingeteilt. Die Assistenten durften den Abteilungsvorstand unterstützen, vertreten und mussten gemeinsam mit den Sekundarärzten und Aspiranten für die Durchführung der ärztlichen Arbeit sorgen. B. B. begann ihre praktische Tätigkeit als Hilfsärztin in der Klinik Schauta. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten im Psychologischen Institut fielen den Hofräten Exner und Durig auf. Ihre diagnostische Begabung bewährte sich in den Kliniken Neusser, Ortner und Escherich so sehr, dass sie vom k. k. Unterrichtsministerium zum ersten weiblichen Sekundararzt in Österreich ernannt wurde. Anschließend arbeitete sie drei Jahre lang als Ärztin im Sanatorium Löw. Danach eröffnete sie ihre Privatpraxis. Von der Allgemeinen Arbeiterkrankenkasse wurde sie als Vorstand an die Spitze einer großen gynäkologischen Station berufen, die sie nach klinischen Grundsätzen ausbaute und führte. Sie wurde die erste Gynäkologin, die in Wien an leitender Stelle wirkte. In den Jahren 1912/13 und 1915/16 hat sie Vorträge im Wiener Volksbildungsverein und der Wiener Urania gehalten über: „Biologie des werdenden Menschen“ (nur für Frauen und erwachsene Mädchen) in 2 Teilen, „Brautkurs: Das Leben vor der Geburt“ und „Physiologie der Frau“. B. B. schilderte in ihrem Nachruf auf Direktor Otto Theodor Lindenthal, dem Leiter des Sanatoriums Löw, die damalige Situation auf dem Gebiet der Frauenheilkunde und würdigte seine Verdienste. Er hatte als erster in Österreich eine mustergültige geburtshilfliche Abteilung für Frauen geschaffen, die zur Geburt ihrer Kinder kein Spital aufsuchen mussten, aber trotzdem bei der Geburt ihrer Kinder optimal betreut werden sollten. Bereits Prof. Schauta hatte in der Antrittsrede bei der Übernahme der neuen Frauenkliniken den Wert der Anstaltsbehandlung in der Geburtshilfe betont. Lindenthal habe diese Anstalt für die Bedürfnisse einer Großstadt geschaffen. Diese Anstalt habe sich vor allem für Frauen, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren und kein eigenes Heim mehr gehabt haben, als Segen herausgestellt. Die Frequenz dieser Frauen sei besonders während des Krieges [I. Weltkrieg] sehr gestiegen. B. B. sah ein großes Verdienst der Anstaltsbehandlung darin, dass diese nun auch von allen Bevölkerungsschichten in Anspruch genommen werden konnte und gelangte zur Feststellung, dass diese Anstalten, da sie sich auf gute Resultate bei der Lebensrettung von Mutter und Kind stützen konnten, durchgesetzt haben. Anlässlich des deutschen Gynäkologenkongresses in Wien 1923 bemerkte sie, dass Wien schon seit zwei Jahrhunderten als eine der fruchtbarsten Pflegestätten der Geburtshilfe und Gynäkologie galt und auch heute noch gilt und dass in Wien Ärzte und Studierende seit jeher reiche Anregungen gefunden hätten. Sie würdigte die Arbeiten mit Röntgenstrahlen, die zu Erkenntnissen der Kindeslage und Anomalien geführt hätten und erwähnte auch die Behandlung mit Röntgenreizdosen, die zur erfolgreichen Bekämpfung gegen nicht mehr operable Krebsfälle mittels Radium verholfen und zu denen Wiener Forscher anregende Beiträge verfasst hätten. Die so schwierige Deutung von Fehlbildungen als Folge von Entwicklungsstörungen fänden in Wien einen ihrer besten Kenner. Außerdem wies sie noch auf die plastische Ausstellung der Konstitutionstypen der Frau durch deutschösterreichische Forscher und jene Arbeiten, die sich mit der Vererbung befasst hätten, hin. B. B. unternahm schon von der Matura an über das Studium an der Universität und auch im weiteren Leben vieles mit ihrer älteren Schwester Elsa Bienenfeld gemeinsam. Im August 1929 besuchte B. B. ihre Schwester, die als Rezensentin des „Neuen Wiener Journals“ von den Salzburger Festspielen berichtete, in Salzburg, um anschließend an die Festspiele ihren gemeinsam geplanten Urlaub in Italien anzutreten. Am 22. August 1929 befanden sich beide Schwestern im D-Zug nach Triest. Auf der Strecke zwischen Schwarzach-St. Veit und Loifarn kam es zu einer Kollision des D-Zuges nach Triest mit einem Personenzug, der aus Villach in der Gegenrichtung auf demselben Gleis unterwegs war, weil eine Weiche falsch gestellt worden war. Durch die Kraft des Zusammenstoßes sprangen beide Lokomotiven aus den Schienen. Vier Waggons des Schnellzuges und drei Waggons des Personenzuges schachtelten sich ineinander. In den vorderen Waggons des D-Zuges befanden sich die Schwestern Bienenfeld. Im Augenblick des Zusammenstoßes fiel ein schwerer Koffer aus dem Gepäcknetz auf B. B., sodass diese eine Schädelfraktur erlitt und sofort tot war. Elsa Bienenfeld blieb zwar unverletzt, erlitt aber angesichts der tragischen Umstände einen Nervenzusammenbruch und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. B. B. wurde wie ihre Eltern auf dem Wiener Zentralfriedhof (1. Tor) begraben. Von ihrem Grab konnte nur mehr die metallene Grabnummer über einem umgestürzten Grabsockel liegend gefunden werden. B. B.s Grab liegt vermutlich in jenem Teil des Friedhofs, der im Krieg von den Bomben zerstört worden war. Robert Tauber, Facharzt für Gynäkologie, hob in seinem Nachruf auf B. B. hervor, dass sie zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und in der Gesellschaft der Ärzte und der gynäkologischen Gesellschaft viele Vorträge und Demonstrationen gehalten habe. Er wies darauf hin, dass sie sich besonders gern mit Studien auf dem Gebiet der präklamptischen Zustände [jene, die den Mutterfraisen vorangehen] befasste und darüber auch seinerzeit eine sehr beachtete Untersuchung veröffentlichte. Er verwies auch auf die ordentliche Mitgliedschaft beim Fachärzteverband der Gesellschaft der Ärzte und der gynäkologischen Gesellschaft hin sowie darauf, dass sie zahlreiche Referate für wissenschaftliche Zeitschriften besaß, in denen sie einen Überblick über erschienene fachwissenschaftliche Artikel bot. Er schrieb, dass mit ihr eine hervorragende Ärztin und ein wahrhaft guter Mensch dahingegangen seien. Sechs Jahre nach ihrem Tod erinnerte im Abendblatt der „Neuen Freien Presse“ ein Artikel einer Ärztin gezeichnet mit Dr. F. P. unter dem Titel „Erinnerung an Dr. Bianca Bienenfeld“ daran, dass B. B. zuletzt mit einer umfassenden Arbeit auf dem Gebiete der Krebsforschung beschäftigt war. Im darauf folgenden Jahr erinnerte ein weiterer Artikel unter demselben Titel, gezeichnet mit D. F. P. B., an sie, in welchem sie als Vorbild mit ihrer Auffassung des ärztlichen Berufes und ihrer Güte in der Ausübung der Heilkunde beschrieben wurde. Und noch im Jahre 1937 wurden in einem weiteren Erinnerungsartikel mit dem Titel „Dem Andenken an die erste Frauenärztin in Oesterreich“ ihr tiefernster Forschungstrieb, ihr umfassendes Wissen und ihre unerschöpfliche Güte gewürdigt. Außerdem wurde festgehalten, dass sie in der Geschichte der Medizin als ein Ideal einer Frauenärztin fortleben werde. B. B. war nicht nur eine Größe in ihrem beruflichen Fachgebiet, die als Pionierin ihres Faches vielen später folgenden Kolleginnen diesen Berufsweg erleichterte, sondern auch ein Mensch mit großem sozialem Gewissen.
Literatur / Quellen
Arias, I.: Die ersten Ärztinnen in Wien. Ärztliche Karrieren von Frauen zwischen 1900 und 1938. In: Bolognese-Leuchtenmüller, Birgit (Hg.): Töchter des Hippokrates. 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich. Wien, 2000, S. 55-78.
Haas, G.: Die jeweils Ersten und … „Lektorat nur auf Kriegsdauer“. In: Antonicek, Th. / Gruber , G. (Hg.): Musikwissenschaft als Kuturwissenschaft – damals u. heute. Internationales Symposion (1998) z. Jubiläum d. Institutsgründung a. d. Universität Wien vor 100 Jahren. Tutzing, 2005, S. 91.