Baitz Lilli, geb. Schreiber, Elisabeth Margaretha; Kunstgewerblerin und Unternehmerin
Geb. Bad Aussee, Stmk., 23.9.1874
Gest. Bad Aussee, Stmk., 14.8.1942
L. B. über ihre Arbeit als Puppenkünstlerin: „Da kann ich mich […] in Farben und Stoffen ausleben, wie andre Frauen es an der eignen Toilette tun. Ich schüttle meinen Märchenbaum und lasse Kleider wie Sonne, Mond und Sterne herabfallen.“
L. B. wurde als dritte Tochter des bekannten Kurarztes und kaiserlichen Rates Dr. Josef Schreiber 1874 in Bad Aussee geboren. Dieser hatte dort wenige Jahre zuvor eines der ersten Sanatorien der österreichischen Alpen gegründet. L. B.s Mutter, Clara Schreiber, geborene Hermann war schriftstellerisch tätig. Das Ehepaar Schreiber beeinflußte die Entwicklung Aussees zum mondänen Kurort maßgeblich. Ab Mitte der 1880er Jahre wurde ein weiteres Nobelsanatorium in Meran geführt. An beiden Orten war es vor allem Clara Schreiber als liberal gesinnte Salondame, die etliche Künstler, Schriftsteller und Politiker anzog. Vor diesem Hintergrund wuchsen die drei Töchter Ida, Adele und L. B. auf. Die Lebenswege der beiden Jüngeren, Adele und L. B. stellen aber im Rückblick einen Gegenentwurf dazu dar. Sie wehrten sich gegen die von ihrer Mutter (die zwar selbst eine für Frauen ungewöhnlich umfassende Ausbildung erhalten hatte) „klassische“ Erziehung zur Höheren Tochter. Sie wünschten eine fundierte Berufsausbildung, die ihnen aber von den Eltern verwehrt wurde. Vor allem Adele Schreiber opponierte früh gegen diese Einschränkung, ihr gelang es schließlich den Anspruch nach Unabhängigkeit und Bildung durchzusetzen. Sie verließ mit Ende Zwanzig das Elternhaus und ging nach Berlin, wo sie eine bekannte Frauenrechtlerin, Publizistin und Politikerin wurde.
L. B. ging als junge Frau rein äußerlich einen weniger „radikalen“ Weg, als ihre Schwester Adele. Sie besuchte verschiedene Kunstschulen (ohne Abschluss). Nach ihrer Heirat mit Roman Baitz 1902, schien ihr Weg vorerst als „bürgerliche Gattin“ vorgezeichnet. Das änderte sich aber rasch. Das junge Ehepaar Baitz war in die Geschäfte von Clara und Josef Schreiber involviert, mußte aber nach deren Tod feststellen, dass die hoch verschuldeten Sanatorien in Aussee und Meran nicht mehr ertragreich zu führen waren.1910 wurde der gesamte Besitz versteigert. Schon ein Jahr zuvor waren L. B. und Roman Baitz nach Berlin übersiedelt und auf Basis der Begabung und Kreativität von L. B. gelang dort die Gründung des Wiener Kunstgewerbeateliers „Lilli“, L. & R. Baitz. Begonnen hatte das Unternehmen mit der künsterlischen Ausgestaltung kleinerer Schaufenster. Wenige Jahre später zählten große Warenhäuser in Europa und Übersee zum Kundenkreis. Das Atelier stellte hochwertige und sehr kreativ und professionell gestaltete Puppen- und Kulissenarrangements her, die in den riesigen Fenstern und Atrien der Kaufhäuser aufgebaut werden konnten. Auch Fluglinien oder z.B. die Hamburg-Amerika-Schiffslinie HAPAG ließen sich Werbe-Gesamtkonzepte von L. & R. Baitz erstellen. Das Unternehmen wurde partnerschaftlich von L. B. und Roman Baitz geführt. L. B. war der künstlerische „Kopf“, Roman der kaufmännischer Leiter. Mit großem Gespür für den Zeitgeschmack und aktuelle Trends trafen ihre Produkte genau die Bedürfnisse der sich entwicklenden anspruchsvollen Konsumgesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam es mit der Gründung eines österreichischen Standortes in Salzburg/Parsch zu einem neuen Aufschwung des Ateliers. Die Herstellung von Krippen – im kleinen wie im großen Maßstab, gewann in der Salzburger Zeit zunehmend an Bedeutung – das Ehepaar Baitz konnte sich in dieser Zeit wieder eine finanzielle Basis schaffen, die L. B. später ihren Lebensabend sichern sollte. Nach dem Tod von Roman Baitz 1930 entschied sie sich mit 56 Jahren den Standort Salzburg aufzugeben, die Geschäftsleitung in Berlin vertrauten MitarbeiterInnen zu überlassen und selbst an ihren Kindheitsort Bad Aussee zurückzukehren. Sie baute sich dort ein Landhaus, das so genannte „Sonnenhäusl“ und bezog es gemeinsam mit ihrer engsten Freundin und Wegbegleiterin, der Ausseerin Paula Schmidl. Dort widmeten sich beide ihrem lebenslangen Interesse – dem Brauchtum und dessen Wiederbelebung in Form von künstlerisch gestalteten Trachtenpuppen und Krippen. Trotz der schrittweisen Arisierung des Berliner Ateliers bis 1938, konnten die Geschäftsleiter (Gudrun Schemell und Paul Friedel) in der Firma bleiben und L. B. war von Österreich aus im Hintergrund weiter der kreative Kopf des Ateliers. Absurderweise entdeckte gerade die „Reichsbahnzentrale für den Deutschen Reiseverkehr“ die Propaganda-Wirksamkeit der Baitz-Produkte und deklariert das Atelier als kriegswichtigen Betrieb.
Ab 1938 war L. B. aber auch in Bad Aussee zunehmend der nationalsozialistischen Dikriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Jahrelang versuchte Paula Schmidl mit allen Kräften Aufschübe der Enteignung und Deportation zu erreichen. Letztendlich konnte sie ihre Freundin aber nicht mehr schützen. Am Vorabend der endgültigen Deportation nahm sich L. B. am 14. August 1942 in ihrem Haus in Aussee das Leben.
Nach einer Neugründung des Ateliers 1946 durch Gudrun Schemell, Paul Friedel und Paula Schmidl, wurde das „Kunststgewerbeatelier Baitz Nachfolger“ in den 1950er und 60er Jahren mit der so genannten Baitz-Puppe, einer kleinen Souveniertrachtenpuppe, sehr erfolgreich und international bekannt.
Mit seinen innovativen Werbekonzepten und Produkten ist L. & R. Baitz ein interessanter Teil der deutschen und österreichischen Wirtschaftsgeschichte. L. B. kann auch als eine Trägerin der österreichischen Trachtenbewegung der Zwischenkriegszeit gesehen werden, deren Ziel die wissenschaftlich fundierte Erneuerung alten Brauchtums war.
Ausstellungen: „Baitz: Zwischen Fantasie und Repräsentation“ Sonderausstellung Vorarlberger Landesmuseum (VLM) 2005; Kuratorin: Gerda Leipold-Schneider. „Lilli Baitz: Leben und Werk einer Puppenkünstlerin“ Sonderausstellung Kammerhofmuseum Bad Aussee, 2010; Kuratorin Teil „Lilli Baitz − Lebensbild einer Heimkehrerin“: Barbara Motter.
Qu.: Nachlass Paula Schmidl, Privatbesitz
Nachlass Gudrun Schemell, Jüdisches Museum Hohenems
Nachlass der Firmen L. & R. Baitz und L. & R. Baitz Nachfolger, Puppenmuseum Blons, Kammerhofmuseum Bad Aussee, Baitz-Puppen-Sammlung, Puppenmuseum Blons, Großes Walsertal.
W.: „Die künstlerische Ausgestaltung der Kinderstube. In: Das Buch vom Kinde. Hg. V. Adele Schreiber“ (1907), „Ausseer Heimatkrippe. Von Lilli Baitz und Paula Schmidl“ (1936).
L.: Braune 2002, Leipold-Schneider 2005, Motter 2009, Pollner 2002, Pollner 2005, Schemell 1983
Barbara Motter