Zur Mühlen Hermynia
Geb. Wien, 12.12.1883
Gest. Radlett/Hertfordshire, Großbritannien, 20.3.1951
Herkunft, Verwandtschaften: Ihr Vater Graf Victor Folliot de Crenneville (1847-1920) war Diplomat und unternahm zahlreiche Reisen mit seiner Tochter. Ihre Mutter Isabella Louise Alexandrina Maria von Wydenbruck (gest. 1936) hatte ein distanziertes Verhältnis zur Tochter. Ihre Familie, nachweisbar bis ins zwölfte Jahrhundert, zählte zu den angesehensten der Monarchie und war seit Generationen im Dienste der Habsburger. Die Autorin wuchs bei ihrer englischen Großmutter in Gmunden auf, die ihr zwar den Sinn für Gerechtigkeit beibrachte und sie zu einer kritischen Leserin heranzog, sie jedoch von der Welt fernhielt. Sie erhielt eine standesgemäße Bildung inklusive Bildungsreisen durch drei Kontinente und erlernte mehrere Fremdsprachen.
LebenspartnerInnen, Kinder:1908 heiratete sie Victor von zur Mühlen (1879-1950), Gutsbesitzer, 1918 wurde sie wieder geschieden. Ab Mai 1938 war sie mit Dr. Stefan Klein (1889-1960) verheiratet, geb. am 10. Mai 1889 in Wien. Er setzte sich nach dem Tode seiner Frau sehr für ihr Werk ein, starb jedoch arm und krank am 6. Oktober 1960 in Wien.
Ausbildungen: Erhielt Unterricht von Hauslehrern, besuchte das Sacré Coeur Algier und ab ihrem 15. Jahre ein Pensionat in Dresden. Ausbildung zur Volksschullehrerin in Ebensee. Sie wuchs mit der deutschen, englischen, russischen und französischen Sprache auf, lernte in ihrer Jugend auch Spanisch und Arabisch. H. Z. M. rebellierte aber schon früh gegen ihre gräfliche Herkunft, ließ sich zur Volksschullehrerin ausbilden, besuchte 1900/1901 die Lehrerinnenbildungsanstalt in Gmunden und legte das Examen für Volksschullehrerinnen ab.
H. Z. M. setzte sich schon früh mit sozialen Problemen und sozialistischen Ideen auseinander. Durch Literatur und zahlreiche Reisen, die sie mit ihrem Vater unternahm, interessierte sie sich auch schon bald für politische Fragen. Von ihren adeligen Eltern an der Ausübung ihres Wunschberufes – Volksschullehrerin – gehindert, begann sie um 1905 mit belletristischen Veröffentlichungen und arbeitete kurzzeitig in einer Buchbinderei, worüber sie später meinte: Diese Woche hat mich mehr gelehrt als viele dicke Bände über soziale Fragen. 1907 lernte sie in Meran den livländischen Großgrundbesitzer Victor von zur Mühlen kennen, den sie im darauffolgenden Jahr heiratete. Sie nahm die russische Nationalität an, um zum Protestantismus übertreten zu können und lernte bald im Baltikum das grausame russische System der Leibeigenschaft kennen. Die Familie ihres Mannes besaß in Eigstfer, im Bezirk Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland, in einer einsamen Gegend ein Gut, dessen Lebensstil der hochgebildeten und vielseitig interessierten H. nach kurzer Zeit unerträglich wurde. Ihre Ehe war unglücklich, da sie mit der konservativen Einstellung ihres Mannes und ihrer eigenen Lebensweise, die sie als Verrat empfand, nicht fertig wurde. 1913 ging sie zu einem Kuraufenthalt nach Davos in die Schweiz. Sie nutzte diese Gelegenheit, um sich nach sechsjähriger Ehe von ihrem Mann zu trennen und ließ sich später auch von ihm scheiden. Als Protest gegen die darauffolgende Behandlung ihrer livländischen Verwandten schrieb sie ihren Namen nach der Scheidung mit einem großen „Z“. Den Ersten Weltkrieg verbrachte sie in der Schweiz. In Davos lernte sie den Wiener Juden und Kommunisten Stefan Klein kennen, der in Ungarn aufgewachsen war und seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen aus dem Ungarischen bestritt. Zu diesem Zeitpunkt begann ihre Karriere als Schriftstellerin und Übersetzerin, wobei ihre Schriften ihre damalige revolutionäre Einstellung widerspiegeln. 1919 trat sie der KPD bei, der sie bis 1932 treu blieb. Sie brach alle Brücken zu ihrem bisherigen Leben ab, wurde hauptberuflich Schriftstellerin und zog nach Frankfurt. Unter anderem veröffentlichte sie in der kommunistischen Zeitschrift „Die Erde“. Darin greift sie u. a. auch die bürgerliche Kinderliteratur an. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich mit Übersetzungen für den Malik-Verlag und begann auch selbst – zunächst vor allem Märchen zu schreiben. Sie wurde 1924 aufgrund ihrer Erzählung „Schupomann Karl Müller“ wegen Hochverrat angeklagt. 1931 gehörte sie zur Opposition des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller. 1933 emigrierte sie von Frankfurt nach Wien, engagierte sich im Bund sozialistischer Schriftsteller Österreichs, arbeitete bis 1935 am Deutschen Sender des Prager Rundfunks, in der „Linksfront“, bei den „Arbeiter-Jahrbüchern“ und an der Exilzeitschrift „Neue Deutsche Blätter“ mit, ging 1938 über die Tschechoslowakei nach England und lebte in Radlett/Hertfordshire, wo sie mit Übersetzungen ihren Lebensunterhalt verdiente. Insgesamt übersetzte sie nahezu 150, meist sozialkritische, Werke russischer, französischer, englischer und amerikanischer AutorInnen. In ihren eigenen Romanen verknüpfte sie vielfach die Erfahrungswelt der Aristokratie mit sozialistischen und frauenbewegten Problemstellungen. Ihre finanzielle Situation war sehr angespannt, dennoch lehnte sie es ab, sich als „Arierin“ auszuweisen, um von ihrem Bankkonto abheben zu können. Außerdem war sie Mitarbeiterin des „Zeitspiegels“ und der Kulturblätter des „Free Austrian Movement“. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich im Exil. Sie starb 1951 völlig verarmt und weitgehend vergessen im Norden Londons in Hertfortshire an Tuberkulose. In der DDR wurden ihre Werke in den 1970er Jahren verstärkt rezipiert. Der literarische Nachlass wurde nach dem Tode von Dr. Stefan Klein achtlos vernichtet. Die meisten ihrer Romane erschienen zunächst in Zeitungen und Zeitschriften.
1919 bis 1932 war sie Mitglied der KPD. Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und des Free Austrian P.E.N.
Werke
W. u. a.: „Was Peterchens Freunde erzählen. Märchen“ (1921-24), „Der kleine graue Hund. Märchen“ (1922), „Licht. Roman“ (1922), „Märchen“ (1922), „Der Rosenstock. Märchen“ (1922), „Der Spatz. Märchen“ (1922), „Der Tempel. Roman“ (1922), „Warum? Ein Märchen“ (1922), „Die Märchen der Armen“ (1923/24), „ Ali, der Teppichweber. 5 Märchen“ (1923), „Das Schloß der Wahrheit. Märchen“ (1924), „Ende und Anfang. Ein Lebensbuch. (Autobiographie)“ (1929), „Reise durch ein Leben. Roman“ (1933), „Nora hat eine famose Idee. Roman“ (1933), „Schmiede der Zukunft. Märchen“ (1933), „Eine Dichterin und das Dritte Reich. In: Arbeiterzeitung, 26.10.1933“, „Fahrt ins Licht. 66 Stationen. Novelle“ (1936), „Unsere Töchter, die Nazinen. Roman“ (1935), „Als der Fremde kam“ (1947), „Was die Kohle erzählt, Warum?“ (1983), „Bernice Mc Fadden macht Karriere“ (1988), „Der Nachbar und andere Geschichten“ (2000)
Literatur / Quellen
L.: Altner 1992, Altner 1997, Ewers/Seibert 1997, Exenberger 2003, Frakele 1991, Früh 2000, Fuss Philipps 2001, Grünzweig 2001, Gürtler/Schmid-Bortenschlager 2002, Humer 2006, Matt 1986, Münchow 1988, Platzer, Elisabeth 1991, Scheriau 1996, Seeber 1998, Seibert 2005, Sevin 1992, Siegel 1992, Siegel 1992a, Staud 1983, Thunecke 2001, Vietor-Engländer 2001, Wall 1995, Wall 2004, www.onb.ac.at/ariadne/