Wohlfahrt Ida, verh. Luckinger; Zeugin Jehovas und Verfolgte des NS-Regimes

Geb. Dröschitz, Kärnten, 3.4.1923

I. W. wird als drittes von 6 Kindern am 3. April 1923 in Dröschitz 2, Gemeinde Köstenberg (Kärnten) als Tochter des Straßenarbeiters Gregor Wohlfahrt und der Bauerntochter Barbara Wohlfahrt geboren. Im Jahr 1926 erwerben ihre Eltern eine kleine Landwirtschaft (vulgo Kölbl) in St. Martin am Techelsberg, Nr.12. Die Familie wird, nachdem der Vater auch noch arbeitslos wird, zu Selbstversorgern. Mit dem Ertrag des zwei Hektar großen Feldes und ein paar Tieren bringt sich die achtköpfige Familie auch während der Arbeitslosigkeit des Vaters so recht und schlecht durch. I. W. wächst in einem sehr liebvollen Elternhaus auf, sie besucht die Volksschule in St. Martin am Techelsberg. Ihre religiöse Einstellung wird schon von klein auf dadurch geprägt, dass ihre Eltern im Jahr 1929 mit Jehovas Zeugen Kontakt aufgenommen haben. Ihr Vater – geprägt durch schreckliche Kriegserlebnisse im 1. Weltkrieg und negativen Erlebnissen mit religiösen Führern – erlangt eine völlig neue Einstellung zu Religion. Besonders einprägsam für I. W. ist das Pfänden aller acht Hühner durch den Kirchenkämmerer, weil ihre Eltern die Kirchensteuer nicht bezahlen können. Der Kirchenaustritt der Eltern löst in der kleinen Gemeinde einen Sturm der Entrüstung aus. Der Großteil in der Gemeinde beschimpft die Familie immer wieder wegen ihres neuen Glaubens. I. W. wird von ihren Eltern religiös erzogen. In ihrem Elternhaus finden regelmäßig Treffen von Gleichgesinnten statt. Wenn biblische Vorträge gehalten werden, ist oft der ganze untere Stock des Hauses voll mit Zuhörern und Diskussionen über Bibeltexte werden oft bis in die Morgenstunden fortgesetzt. Den katholischen Religionsunterricht in der Schule muss I. W. dennoch bis zum vierzehnten Lebensjahr besuchen. Am 20. September 1938 tritt auch die 15-jährige I. W. aus der katholischen Kirche aus. 1939 lässt sie sich im Wörthersee als Zeugin Jehovas taufen. Danach begleitet I. W. ihren Vater immer wieder bei seinen missionarischen Tätigkeiten. Schon einige Jahre bevor Hitler im Jahr 1938 in Österreich einmarschiert, wird I. W. von ihrem Vater auf schwierige Zeiten und Prüfungen und auf das wahrscheinliche Auseinanderreißen der Familie vorbereitet. Gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnen schwere Zeiten für I. W. und ihre Familie. Zunächst werden sie wegen der Verweigerung des Hitlergrußes drangsaliert. I. W. muss schließlich miterleben, dass beginnend mit dem 2. Weltkrieg ein Großteil ihrer Familie und Bekannten Opfer des NS-Regimes wird. Gleich nach Kriegsbeginn wird ihr Vater Gregor zum Kriegsdienst einberufen, er verweigert und wird wegen Kriegsdienstverweigerung vom Reichskriegsgericht am 8. November 1939 zum Tode verurteilt. Am 7. Dezember 1939 wird er in Berlin-Plötzensee enthauptet. Ihr Vater gehört somit zu den ersten hingerichteten Kriegsdienstverweigerern. Im Februar 1940 wird ihr 20-jähriger Bruder Franz während des Arbeitsdienstes ebenfalls wegen Kriegsdienstverweigerung zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt und ins Lager Rollwald gebracht. Am 31. Juli 1941 verweigert ihr Bruder Gregor den Kriegsdienst und wird am 14. März 1942 in Brandenburg enthauptet. Im Mai 1942 werden ihre Brüder Kristian (damals ca. 16 Jahre alt) und Willibald (damals ca. 14 Jahre alt) an die französische Grenze ins Landeserziehungsheim in Landau-Queichheim/Saarpfalz zur Umerziehung gebracht. Ihre jüngste Schwester Anna wird im Frühling 1941 als letztes der sechs Kinder von der Mutter weggebracht und schließlich in ein nationalsozialistisches Erziehungsheim verschleppt. I. W. lässt sich trotz all dieser negativen Erfahrungen nicht von ihrer Überzeugung abbringen. Motiviert durch die gute religiöse Belehrung des Vaters und sein standhaftes Vorbild unterstützt sie ihre Mutter so gut es geht. Finanziell ist es besonders schwer, denn ihre Mutter bekommt als Witwe eines Kriegsdienstverweigerers keine Lebensmittelkarten oder sonstige staatliche Unterstützung. I. W. wird allerdings mit 17 Jahren ebenfalls zwangsweise von ihrer Mutter getrennt. Am 21. September 1940 wird sie nach Klagenfurt in die Karnerstraße zu einer Offiziersfamilie namens Ebster gebracht. Sie muss ohne eine Ausbildung zu haben, für eine vierköpfige Familie den Haushalt führen. Wenn das Essen einmal nicht den Wünschen entspricht, wird sie von der Hausherrin geschlagen. Verängstigt durch diese Behandlung und verzweifelt aufgrund der Trennung von der Mutter flüchtet I. W. von dort. Sie ist nur zwei Tage zu Hause, als sie eine Vorladung des Reichsarbeitsamtes erhält. Dort will man sie zwingen, wieder in das Haus der Offiziersfamilie zurückzukehren. Mutig macht sie den Vorschlag, in der Landwirtschaft zu arbeiten, denn damit ist sie vertraut. So kommt sie im Jahr 1941 auf den Bergbauernhof von Luise Tarmann in Oberkreuth bei Fürnitz. Ihre Freundin, Maria Stossier, ist ebenfalls auf diesem Bauernhof tätig. I. W. muss sehr schwer arbeiten, doch andererseits hat sie Glück, denn Frau Tarmann bekennt sich zu den Zeugen Jehovas. Durch I. W.s Vater Gregor hat sie die Botschaft der Zeugen Jehovas schon einige Jahre vorher kennengelernt. Luise Tarman lebt jedoch sehr abgeschieden, sodass wenige von ihrer religiösen Gesinnung wissen. Die beiden Mädchen I. W. und Maria müssen zur Musterung des Reichsarbeitsdienstes nach Villach einrücken. Da sie aber bereit sind weiterhin auf dem Bauernhof zu arbeiten, können sie wieder dorthin zurückkehren. Immer wieder kann sich I. W. sogar heimlich mit ihrer Mutter treffen und ihr Lebensmittel und Fleisch nach Hause bringen. Ein Erlebnis prägt sich I. W. ein. Im Nachbardorf Korpitsch werden mehrere Familien auf die Lastkraftwagen der SS verladen. Angeblich sollen sie eine neue Landzuteilung erhalten, kommen aber in Wirklichkeit ins Konzentrationslager. Wochenlang bekommt sie das Weinen und Schreien dieser armen Menschen nicht aus dem Kopf. Auf Anraten eines Nachbarn wird I. W. bei ihm zu Hause versteckt, bis diese Deportationen aufhörten. I. W. erfährt am Bauernhof von Frau Tarmann von der Hinrichtung ihres Bruders Gregor am 14. März 1942. I. W. darf schließlich ungefähr Mitte 1943 wieder zu ihrer hilfsbedürftigen Mutter nach Hause zurückkehren. Die neu gewonnene Freiheit nützt I. W., um mit ihrer Freundin und Verlobten ihres Bruders Franz, Maria Stossier, ihre inhaftierten Brüder zu besuchen. Zunächst fährt sie ins Lager Rollwald, wo sich ihr Bruder Franz befindet. Beim Besuch ihrer Brüder Willibald und Emil im Erziehungsheim Landau muss sie erfahren, dass beide geschlagen wurden und Willibald von einem katholischen Priester auch sexuell misshandelt wurde. I. W. sieht Willibald nie mehr wieder, denn er wird im April 1945 beim Ausheben von Schützengräben erschossen. Mit Kriegsende muss I. W. erst realisieren, dass ihre einst achtköpfige Familie auf fünf Personen zusammengeschrumpft ist. Alle sind aber in ihrer Überzeugung ungebrochen, wiewohl sie all das Leid nur mit der Hilfe ihres starken Glaubens ertragen können. Die inzwischen 22-jährige I. W. heiratet am 13. Oktober 1945 in St. Martin den ehemaligen Soldaten Alfred Luckinger, der enttäuscht von der Praxis der Kirche Waffen zu segnen, gleich nach dem Krieg aus der Kirche austritt und ebenfalls ein Zeuge Jehovas wird. I. W. bekommt drei Kinder, Alfred, Erich und Renate. Durch Privatzimmervermietung in ihrem Haus in Pörtschach verdient I. W. etwas Geld dazu. I. W. pflegt schließlich bis zu deren Tod im Herbst 1996, ihre 99-jährige Mutter Barbara Wohlfahrt, die nie mehr geheiratet hat. I. W.s Mann ist inzwischen gestorben und nun (Stand Herbst 2009) lebt sie in einem Pflegeheim in Velden am Wörthersee.

Qu.: Jehovas Zeugen Österreich/Geschichtsarchiv: Erinnerungsbericht von I. W. aus dem Jahr 1998; diverse Dokumente (Geburtsurkunde, Kirchenaustrittsbescheinigung, Auszug aus der Einwohnerkartei, Gemeinde Techelsberg, Beschluss des Amtsgericht Klagenfurt vom 5.3.1942).

L.: Wölbitsch 2000

Heidi Gsell