Wilbirg von Sankt Florian; Inklusin

Geb. ?
Gest. 11.12.1289

Herkunft, Verwandtschaften: Tochter eines gewissen Heinrichs und dessen Frau, deren Name nicht überliefert ist; ihre Amme Alhaid wurde ihre geistliche Mutter in asketischen und spirituellen Dingen; ihre Freundin Mechthild wurde ihre Vorklausnerin; ein Nahverhältnis bestand zu ihren Beichtvätern aus dem Stift Sankt Florian; zu Syboto, der 1257 zum Propst gewählt wurde, im 1258 resignierte und Pfarrer in Sankt Michael in der Wachau wurde; zu Einwik, seit etwa 1258 Mitglied der Klosterschule von Sankt Florian, 1272 zum Priester geweiht und seither Beichtvater der W., mit der er damals schon vertraut war; 1282 wurde er Kämmerer des Stiftes, 1287 bis 1295 Dekan und dann bis zu seinem Tod am 25. Dezember 1313 Propst. Einwik war einer der bedeutendsten Prälaten des Stiftes. Bischof Werner von Passau (1285-1313) ernannte ihn zum Visitator der Benediktinerklöster und Augustiner-Chorherrenstifte unter der Enns. Er wirkte tatkräftig beim Neubau der 1291 eingeweihten Stiftskirche mit, und er erwies sich als Förderer des Geistes- und Kulturlebens des Stiftes. Er gilt als der Verfasser der anonym überlieferten Kirchweihchronik des Stiftes Sankt Florian (vor 1294 fertiggestellt) und der Vita Wilbirgis (eine erste Fassung: lag schon zwischen 1289 und ca. 1293/94 vor; weitere Fassungen folgten; Einwik hat wohl bis zu seinem Tod 1313 an der Vita gearbeitet). Ferner war ein besonderer Vertrauter W.s Gutolf von Heiligenkreuz († um 1300), der spätere Abt von Marienberg in Ungarn, der ein umfassend gebildeter und ein recht vielseitiger Schriftsteller war. Er stand im regen Kontakt zu einigen Chorherren von Sankt Florian. W. war er in tiefer Verehrung zugetan. Später dürfte es zu einer heftigen Verstimmung zwischen Einwik und Gutolf gekommen sein, wie das negative Bild von Gutolf zeigt, das der positiven Schilderung in einigen Kapiteln mit der Zeichnung von Gutolf als Verführer und Hasser W.s entgegensteht. Enge Kontakte besaß W. auch zu einigen Mitgliedern des Zisterzienserklosters Baumgartenberg bei Grein, wie zu Otto, einem Mönch und Priester und gebürtigen Florianer, der zum Abt von Baumgartenberg (1299-1301) aufstieg, und zu dem sonst unbekannten Rüdiger von Baumgartenberg. Nicht ganz friktionsfrei erscheint in der Vita das Verhältnis zu Abt Walther von Baumgartenberg (1272-1275). Bischof Peter von Passau (1265-1280) schien sie hingegen sehr zugetan gewesen zu sein. Eine Gegnerin hatte W. in der Begine namens Alhaid, die ebenso wie ihre Amme hieß. Das Beginentum ist im österreichischen Raum nur recht marginal wahrnehmbar.

Laufbahn: W.s Geburtsdatum ist nicht überliefert. Es wird um 1230 angesetzt. Von ihren Eltern ist nur der Name ihres Vaters, Heinrich, bekannt. Welcher sozialen Schicht die Familie angehörte, wird nicht erwähnt. Die Charakterisierung Heinrichs als angesehenen Mann kann auch in den Bereich der Topoi gehören.

W. wurde bald nach ihrer Geburt einer Amme namens Alhaid übergeben. Diese Frau war Witwe und führte ein der Askese gewidmetes heiligmäßiges Leben. W. wurde von ihr rigoros gemäß den asketischen Idealen erzogen. Als W. ein Jahr alt war, brach ihr Vater zu einer Pilgerreise ins Heilige Land auf, wo er auch sein Leben beschloss. Die Mutter verarmte und konnte sich W.s Erziehung durch die Amme nicht mehr leisten und W. musste wieder bei ihrer Mutter leben, zumal auch Alhaid bald schwer an einer mysteriösen Krankheit litt. Um die drückende Armut abzuwenden, wurde von W.s Mutter und ihren Verwandten zwei Mal versucht, W. noch im Kindesalter zu verheiraten. Diese Heiratspläne behagten Alhaid gar nicht, da sie um W.s heiligmäßige Keuschheit fürchtete. Doch wurden sie ohnehin zunichte, da beide Male der Bräutigam auf geheimnisvolle Weise starb. Bald darauf verschied auch Alhaid, bis zu ihrem Tod in aufopfernder Weise von W. gepflegt. Für W. war Alhaid Vorbild und geistliche Mutter, während das Verhältnis zu ihrer Mutter durch auffällige Distanz gekennzeichnet ist. Alsbald nach Alhaids Tod gelobte W. ewige Jungfräulichkeit, was bedeutete, dass sie weiterhin bei ihrer Mutter lebte und sich von anderen Gläubigen durch Gelübde und besondere religiöse Übungen unterschied, aber auch durch die Verpflichtung zu einem Leben in Armut und zum Almosenspenden. Diese religiöse Lebensform von Frauen war in Antike und Frühmittelalter sehr populär. Kurz danach starb auch W.s Mutter und W. musste in äußerster Not leben.

Mechthild, ein junges Mädchen, das bereits etliche Pilgerfahrten unternommen hatte, lud W. zu einer Wallfahrt nach Santiago de Compostella in Spanien ein. Eine Pilgerreise nach Santiago war im 12. und 13. Jahrhundert nichts Außergewöhnliches, sondern vielmehr ein Massenphänomen, dessen wesentliche Motivationen Buße und Suche nach Heil, aber auch Abenteuerlust waren. Zunächst sträubte sich W. dagegen aus Angst vor dieser großen Reise, dann willigte sie schließlich doch ein. Wie gefährlich so eine Pilgerreise für zwei junge Frauen war, zeigt die in der Vita geschilderte Sorge der W., ihre Keuschheit könnte unterwegs Schaden nehmen. Diese Angst war durchaus berechtigt, denn Frauen ohne männliche Begleitung wurden durchaus als Freiwild betrachtet. Es ist zu vermuten, dass W. und Mechthild die Route über Salzburg nach Einsiedeln in der Schweiz nahmen und der Via Podiensis, die über Lepuy − Conques − Moissac − Ostabat führte, − diese wurde üblicherweise von deutschen Pilgern gewählt − , folgten. Ab Ostabat und in Spanien selbst führte ein Weg parallel zur Nordküste über Pamplona − Logrono − Najera − Burgos − Leon − Ponferrada nach Santiago de Compostella. Auf dem Weg nach Santiago de Compostella wuchs in W. der Wunsch auf eine zur Gänze auf Gott ausgerichtete Lebensführung heran, und sie fasste den Entschluss, sich in einer Klause einschließen zu lassen.

Zurück in Sankt Florian verwirklichte W. ihr Vorhaben. Am Tag Christi Himmelfahrt 1248 wurde W. eingeschlossen, und Mechthild wurde ihre Zuklausnerin. Ihr Leben war gekennzeichnet von Buße und Kasteiungen. So lebte sie 41 Jahre bis zu ihrem Tod. Nur ein einziges Mal musste sie ihre Klause verlassen, nämlich als Soldaten König Rudolfs von Habsburg 1276 Sankt Florian bedrohten.

W. war zwar eingeschlossen, aber dennoch nicht von der Welt ausgeschlossen. Ihr Rat und ihre Hilfe wurden von vielen Leuten der Umgebung gesucht. Mit einigen Mönchen des Klosters Baumgartenberg hielt sie regen Kontakt, ebenso zu Gutolf von Heiligenkreuz. W.s Ruhm reichte bis nach Böhmen und Italien. Agnes von Böhmen, die Tante König Ottokars II. Przmysl, (1207-1282), und die von Papst Johannes Paul II. 1989 kanonisiert wurde, die die Franziskaner sehr förderte, mit der heiligen Klara in Briefkontakt stand und in Prag ein Klarissenkloster gründete, in das sie sich 1234 zurückzog, wollte W. sogar unter Androhung von Gewalt für ihr Kloster gewinnen. Ebenso wollte eine vornehme Frau namens Katharina sie in das von ihr gegründete Kloster nach Italien holen. Dazu zog sie die Hilfe des Papstes Gregor X. (1271-1276) und des Bischofs von Passau, Peter (1265-1280), heran, der so auf W. aufmerksam wurde. Nun wollte dieser seinerseits W. für ein Frauenkloster in Meissen, woher er selbst stammte, gewinnen. Niemand von den genannten Personen erlangte sein Ziel. Inwieweit diese Darstellungen auch historisch glaubwürdig sind, konnte nicht eruiert werden. In der Agnes von Böhmen betreffenden Literatur ist W. kein Thema, wenngleich die Einstellung in der Vita gegenüber König Ottokar II. Przmysl wohlwollend ist. Ottokar hatte während seiner Regentschaft die Klöster sehr gefördert und Propst Arnold von Sankt Florian zu seinem Hoftitularkaplan ernannt.

Nichts Näheres lässt sich über die in der Vita genannte Jutta von Kapellen – W. schaut sie in einer Vision anlässlich von deren Tod −, ausmachen und auch nicht klären, ob und in welchem genealogischen Verhältnis sie zu der bedeutenden Misterialienfamilie von Kapellen stand.

Am 11. Dezember 1289 starb W. Unter dem Altar der heiligen Kunigunde fand W. ihre letzte Ruhestätte. 1511 wurde W.s Sarg entdeckt.

L. u. a.: Dinzelbacher 1986, Doerr 1934, Freeman Rosof 1978, Ganz-Blätter 1991, L’Hermite-Leclercq 1986, L’Hermite-Leclercq 1988, L’Hermite-Leclercq 1994, Niederstätter 2001a, Ohler 1999, Rehberger 1980, Sainitzer 1999, Schmidt 1962, Signori 1991, Stülz 1835, Zauner 1971, www.frauenkloester.de

Ingrid Roitner