Wagner, Ina
Physikerin, Informatikerin und Soziologin
Studium Irregulare der Physik mit Nebenfach Pädagogik, Auseinandersetzung mit Philosophie und Erkenntnistheorie; 1972 Promotion in Kernphysik, Universität Wien; Assistentin Schwerpunkt Physikdidaktik am Institut für Festkörperphysik, Universität Wien; 1979 Habilitation an der Universität für Bildungswissenschaften, Klagenfurt; in den 1980er Jahren für die Frauenabteilung des Sozialministeriums (3 Frauenforschungsprojekte) tätig; 1987 Professorin und Leiterin für Multidisziplinäres Systemdesign am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung − erste von außen berufene Professorin an der Fakultät für Informatik, TU Wien und zweite Frau, die einen Lehrstuhl erhielt. 1998 Habilitation in Informatik, TU Wien. Ab 2001 Mitglied der österreichischen Bioethik-Kommission; ab 2009 aktive Professur an der Universität Oslo; ab 2010 Associate Professorship an der TU Sydney; 2011 Pensionierung in Österreich.
Für I. W. war ihr Vater, von Beruf Maschinenbauer, ein großes Vorbild. Er unterstützte sie in ihrem Entschluss Physik zu studieren, obwohl sie in der Schule darin nicht außergewöhnlich erfolgreich gewesen war. Durch die Arbeit ihres Vaters lernte sie die Fertigungsstraßen von VW, Opel und Ford kennen, die sie faszinierten. Dieses Schlüsselerlebnis führte sie später auch dazu sich mit dem Thema Arbeit auseinanderzusetzen.
Im Zusammenhang mit den drei Frauenforschungsprojekten, die sie in den 1980er Jahren für die Frauenabteilung des Sozialministeriums durchführte, erforschte sie Mädchen in nichttraditionellen Lehrberufen, Frauenarbeit im automatisierten Büro (weltweit 1. Studie zur Büroautomation) und Frauen in ungelernten Berufen. In ihrer weiteren Laufbahn sollte sie sich 35 Jahre lang mit der Untersuchung von Frauenarbeitsplätzen beschäftigen.
Arbeit und Technik und ihr damit verbundenes Interesse Technologien zu entwickeln, die Menschen in ihrer Arbeit unterstützen und zusätzliche Ressourcen bieten, bewirkte, dass sie Prototypen mithilfe partizipativer Methoden entwickeln sollte, die spätere AnwenderInnen von Anfang an mit einbezogen. So wurden BenutzerInnen zu Co-DesignerInnen. Um die Komplexität von Arbeit zu verstehen, wandte sie dabei ethnographische Methoden an. Ihre Versuche sich auch mit Technik im Gesundheitsbereich zu beschäftigen, konnten in Österreich jedoch nicht weiter verfolgt werden, da der partizipative Ansatz in diesem Feld auf kein Echo stieß.
An der TU war I. W. die erste Professorin, die von außen berufen war. Außer ihr gab es nur eine weibliche Kollegin, eine Mathematikerin. Danach dauerte es zehn Jahre bis eine dritte Professorin berufen wurde.
I. W., die es schaffte die Frauenforschung an der TU Wien zu etablieren, berichtet, dass sich besonders die ersten Jahre schwierig gestalteten, wobei sie nicht identifizieren konnte, ob der Grund darin lag, dass sie eine Frau ist, politisch engagiert war oder ihr interdisziplinärer Zugang zur Technik befremdlich anmutete. Gerade die Verbindung von Technik mit Sozialwissenschaft, Design und Kunst, kombiniert mit Frauenthemen war zu jener Zeit schlichtweg ungewöhnlich. In ihrer Funktion als Betreuerin von Diplomarbeiten und Dissertationen vergab sie dennoch häufig interdisziplinäre Themen.
I. W. baute den Arbeitskreis für Gleichbehandlung an der TU Wien mit auf und war von 1995-1997 die Vorsitzende des Gleichbehandlungskreises im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. In dieser Zeit schrieb sie gemeinsam mit Silvia Ulrich den ersten Frauenförderplan. Für sie persönlich war es besonders wichtig Frauen dabei zu unterstützen Führungspositionen an den Universitäten zu erreichen. Ohne den Gleichbehandlungsarbeitskreis wäre dies, in ihren Augen, zumindest an der TU nie gelungen.
1998 habilitierte I. W. zum zweiten Mal in Informatik (Bereich Computer Supported Cooperative Work) an der TU Wien. Forschungsaufenthalte führten sie an die Harvard University, das Wissenschaftszentrum Berlin, das Centre on Research for Women am Wellesley College, USA, nach Paris, Frankfurt und Kopenhagen.
Seit 2009 ist I .W. auch an der Universität Oslo tätig und seit 2010 auch an der TU Syndey.
1997-2000 war I. W. Mitglied der Ethikgruppe der Europäischen Kommission und ist seit 2001 für die österreichische Bioethik-Kommission tätig. Sie arbeitete außerdem an EU-Projekten in den Bereichen Architektur und Stadtplanung, zuletzt etwa „Integrated Project City“.
Wissenschaftlich galt ihr Unabhängigkeit als höchste Maxime, wodurch sie ihren eigenen Forschungsinteressen folgen konnte. Das zu tun, was sie wollte, war für sie entscheidend um ihren Beruf als befriedigend zu erleben.
Ihre Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der feministischen Forschung, Frauenforschung und Gender Studies im Umfeld von Naturwissenschaft und Technik sind richtungsweisend. Gleichzeitig hat I. W. durch ihr langjähriges Wirken an der TU Wien in der täglichen Praxis Ausdauer und stete Auseinandersetzungsbereitschaft im Bezug auf Fragen der Gleichstellung und Frauenförderung bewiesen, was sich in ihrem Institut an der überproportionalen Anzahl junger Studentinnen zeigt. Aus diesen Gründen wurde I. W. 2012 mit dem Gabriele Possanner-Staatspreis für wissenschaftliche Leistungen, die der Geschlechterdemokratie förderlich sind, vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ausgezeichnet.
I. W. ist Mutter zweier Kinder.
Werke
Zahlreiche Publikationen über Fragen der feministischen Perspektive in Naturwissenschaft und Technik.
Gem. mit Bratteteig, T.: Moving healthcare to the home: the work to make homecare work. In: ECSCW 2013: Proceedings of the 13th European Conference on Computer Supported Cooperative Work, Springer Publishing Company, 2013.
Gem. mit Bratteteig, T.: Disentangling power and decision-making in participatory design. In: Halskov, K. / Winschiers-Theophilus, H. / Lee, Y. / Simonsen, J. / Bødker, K. (ed.): (PDC ’12) Proceedings of the 12th Participatory Design Conference: Research Papers – Volume 1. Association for Computing Machinery (ACM), 2012, S. 41-50.
Gem. mit Robertson, T.: Ethics: Engagement, representation and politics-in-action. In: Simonsen, J. / Robertson, T. (Hg.): International Handbook of Participatory Design. London, New York, Routledge, 2012, S. 64-85.
Gem. mit Bratteteig, T.: Spaces for participatory creativity. CoDesign – International Journal of CoCreation in Design and the Arts. 2012, S. 105-126 .
Gem. mit Bratteteig, T.: Epilogue: A Multidisciplinary Take on Digital Design. In: Exploring digital design: multi-disciplinary design practices. Springer, 2010, S. 283-286.
Gem. mit Bratteteig, T.: Spaces for Participatory Creativity, in: Proceedings of the 11th Conference on Participatory Design, PDC 2010, ACM Press, 2010, S. 51-60.
Gem. mit Bratteteig, T. / Morrison, A. / Stuedahl, D. / Mörtberg, Ch. M.: Research practices in digital design. In Exploring digital design : multi-disciplinary design practices, Springer, 2010, S. 17-54.
Gem. mit Morrison, A. / Stuedahl, D. / Mörtberg, Ch. M. / Liestøl, G. / Bratteteig, T.: Analytical perspectives. In Exploring digital design : multi-disciplinary design practices, Springer, 2010, S. 55-103.
Gem. mit Mörtberg, Ch. M. / Bratteteig, T. / Stuedahl, D. / Morrison, A.: Methods that matter in digital design research. In Exploring digital design : multi-disciplinary design practices. Springer. 2010, S. 105-144.
Gem. mit Birbaumer, A. / Lebano, A. / Ponzellini, A. / Tolar, M.: From the Margins to a Field of Opportunities: Life Story Patterns of Women in ICT. In: Women’s Studies International Forum 30/6, 2007, S. 486-498.
Gem. mit Wodak, R.: Performing Success: Identifying strategies of self-presentation in women’s biographical narratives. In: Discourse & Society 17/3, 2006, S. 385-412.
Gem. mit Birbaumer, A.: Les Femmes cadres dans les enterprise. In: Travail, genre et sociétés 17, 2007, S. 49-78.
Informatique Médicale. In: Hottois, G. / Missa, J.-N.: Nouvelle encyclopédie de bioéthique, De Boeck Université, Brussels, 2001, S. 529-535.
Hard Times: The Politics of Women’s Work in Computerised Environments. In: European Journal of Women’s Studies 2, 1995, S. 295-314.
Gem. mit Lechner, F. / Papouschek, U. / Steinhardt, G. / Volst, A.: Vergessene Frauenarbeitsbereiche: Berufsverläufe, Arbeitsbedingungen, Lebensperspektiven, Focus Verlag, Gießen, 1995.
Women’s Voice: The Case of Nursing Information Systems. In: AI & Society 7/4, 1993, S. 295-310.
Gem. mit Volst, A.: Balanceakt modernes Leben: Berufsbiographien ‘ungelernter’ Frauen. In: Feministische Studien 1, 1992, S. 70-86.
Gem. mit Volst, A.: Inequality in the Automated Office: The Impact of Computers on the Division of Labour. In: International Sociology 3/2, 1988, S. 129-154.
Equal Talents – Unequal Measures: Skilled Women Workers in Austria’s Metal Industry. In: European Journal for Engineering Education 11/3, 1986, S. 321-329.
Informationstechnik im Krankenhaus – eine ethische Perspektive. In: Herbig, B. / Büssing, A. (Hg.): Informations- und Kommunikationstechnologien im Krankenhaus, Schattauer Verlag, Stuttgart/New York, o.J., S. 185-200.
Literatur / Quellen
http://www.inawagner.at/cv/
http://www.tuwien.ac.at/aktuelles/news_detail/article/7436/
http://www.mn.uio.no/ifi/english/people/aca/inawa/
http://diestandard.at/1326502772538/Uni-Professorin-im-Portraet-Haette-ich-emeritieren-koennen-waere-ich-geblieben