Thenen Julie
geb. Waldberg; Schriftstellerin, Vereinsgründerin und –funktionärin
Geb. Lemberg, Galizien (Lwiw, Ukraine), 4.9.1833
Gest. Wien, 12.10.1919
J. Th. wuchs als Tochter des orthodoxen Rabbiners Yoel Waldberg in Lemberg auf. Zwei ihrer Brüder sind namentlich bekannt: es ist dies der 1884 nobilitierte Moses Freiher von W. (1832-1901), Bankier und talmudischer Gelehrter, sowie Samuel W., Rabbiner von Jaroslaw (1831-1906). 17-ährig heiratet J. Th. den Kaufmannssohn Isak Thenen (1833-1907), der später als Vorstand der Handelsfirma „Brüder Thenen“ in Galatz/Rumänien hervortritt. Das Paar hatte zwei Kinder, die Tochter Marie (verh. Jacobson, 1852-1918) und den behinderten Sohn Julius (1857-1923).
Von 1852 bis 1870 lebte die Familie in der kleinen westgalizischen Garnisonstadt Tysmienica im Bezirk Tlumacz. Unter dem Einfluß deutschsprachiger liberaler Kreise erweiterte J. Th. ihre Bildung und begann um 1860 über das jüdische Leben in Galizien zu schreiben. Hier schrieb sie auch ihren Roman „Der Wunder-Rabbi“, in dem sie das von Aberglauben, materieller Gier und mörderischen Intrigen beherrschte Leben im Hause eines mächtigen chassidischen Zaddik (Wunderrabbis) thematisierte. Dieses schmale Werk erschien jedoch erst 1880 bei der Verlagsbuchhandlung Leopold Rosner in Wien, nachdem verschiedene jüdische Zeitschriften seine Veröffentlichung abgelehnt hatten.
Bereits seit 1871 in Wien-Josefstadt ansässig, scheint J. Th. ab 1876 mit eigener Adresse zunächst in der Reitergasse (d. i. ab 1881 Skodagasse) und später in der Alserstraße auf.
Hier verfasste sie 1881 die von der zeitgenössischen Kritik als „ausgezeichnete psychologische Studie“ bewertete Erzählung „Fräulein Doctor im Irrenhause“, in der sie die verschiedenen ideologischen Aspekte der aufkommenden Frauenbewegung abhandelte. Es folgten 1883 zwei Novellen mit wiederum jüdischer Thematik. 1885 organisierte J. Th. mit der Journalistin und Schriftstellerin Ida Barber (1842-1931) u. a. die Gründung des „Vereines der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien“, eine Berufsgenossenschaft mit Pensionsvorsorge nach dem Vorbild des für Frauen nicht zugänglichen Journalisten- und Schriftstellervereins „Concordia“. J. Th. warb die ersten Mitglieder, führte das Gründungskomitee (dem u. a. Marie von Ebner-Eschenbach angehörte) zusammen und sammelte Geld für das Stiftungskapital, zu dem sie und ihr Ehemann eine beachtliche Summe Geldes beisteuerten. Bei der konstituierenden Versammlung am 1. April 1885 wurde J. Th. zur Schriftführerin gewählt, ist jedoch nach 1887 nur noch als ordentliches Mitglied zu finden. Ihre Erlebnisse aus der Gründungsperiode des Vereins beschrieb sie 1886 und 1887 in der Familienzeitschrift „An der schönen blauen Donau“. Im Jahr 1907, dem Todesjahr von Isak Thenen errichtete sie mit einer neuerlichen Einlage von 500 Kronen den nach ihr benannten „Thenenfonds“, der als Überbrückungshilfe für in Not geratene Vereinskolleginnen vorgesehen war.
1893 tritt J. Th. als Schatzmeisterin des „Deutschen Schriftstellerverbands in Wien“ hervor und war Mitglied in der von Carl von Thaler gegründeten Genossenschaft „Schriftstellerhaus“. In deren gleichnamiger Publikation veröffentlichte sie 1894 eine weitere Humoreske, die ihr Engagement in der Frauenstimmrechtsbewegung dokumentiert. J. Th. lebte gemeinsam im Familienverband mit Tochter Marie und deren Sohn, dem Rechtsanwalt und Botaniker Salvator Thenen (geb. Jacobson, 1872-1948) über zwanzig Jahre im Josefstädter Sternwartehaus in der Alserstraße. Nach dem Abriss des Hauses im Jahr 1910, zog J. Th. mit Tochter Marie in die Frankenberggasse und verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens mit „Nadelmalerei“ (d. i. Sticken nach künstlerischen Bildmotiven). Am 12. Oktober 1919, knapp ein Jahr nach dem Tod ihrer Tochter verstarb J. Th. in Wien. Den Tod ihres Sohnes vermeldet das Sanatorium Baumgartner Höhe mit 10. April 1923.
Werke
W. u. a.: „Der Wunderrabbi“ (1880), „Fräulein Doktor im Irrenhause“ (1881), „Der Sohn der Schrift. Novelle“ (1883), „Der Wunderthäter von Kotzk und Plotzk. Novelle“ (1883), „Aus den Memoiren einer Comite-Dame. Humoreske in Reimen. In: An der Schönen Blauen Donau. Jg 1, Heft 21“ (1886), „Aus den Memoiren einer Vereinsdame. Humoreske in Reimen. In: An der Schönen Blauen Donau. Jg 2, Heft 2“ (1887), „Der Bund der Sieben. Humoreske. In: „Schriftstellerhaus. Mit Beiträgen von Mitgliedern der Genossenschaft ‚Schriftstellerhaus’ und des Deutschen Schriftstellerverbandes in Wien“ (1894). Rezensionen: Feuilleton der Wiener Allgemeinen Zeitung, Nr. 75, 15. März 1880, III; Wiener Allgemeine Zeitung, Mittagblatt, Nr. 508, Freitag 29. Juli 1881, 4; Neue Freie Presse, Litteratur-Blatt, Nr. 5574, 5. Mär. 1880, 4; Neue Illustrirte Zeitung. Wien. Jg. IX, Nr. 49, Bd II. 28.08.1881.
Literatur / Quellen
Qu.: Encyclopedia of Jewish Communities, Poland (Żółkiew). Online in WWW: http://www.jewishgen.org/yizkor/pinkas_poland/pol2_00206.html/. Zentralfriedhof Tor 1, 50/1/85: Isak, Julie, Julius Thenen, Marie Jakobsohn. Online in WWW: http://friedhof.ikg-wien.at. WStLA: Kartei der Fremden: A 959/105 R vol. 393, Thenen; Lehmann: 1871-1919; Sterbebuch der IKG: MF A 988/18/1923, RZ. 802, 10. 4. 1923. Archiv der Universität Wien: Salvator Thenen (Jacobson) Juridische (1889) und Philosophische Fakultät (1911).
L.: Dopplinger-Loebenstein 1989, Friedrichs 1981, Fünfundzwanzig Jahre Geschichte des Vereines der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien 1911, Gross 1882, Jahresberichte des Vereines der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien 1885/86 –1920/21, Nigg 1893, ÖNB 2002, Pataky 1898, Schmidt-Bortenschlager 1983-1985, Wininger Bd. 6, Wurzbach Bd. 44, Frauen-Werke, Jg 1, Nr. 5, 1894, NFP Abendblatt v. 26.6.1907, Prager Tagblatt v. 16.5.1906